Donald Trump hat die Antifa als „Terrororganisation” eingestuft. Warum hat Trump die Antifa zur Zielscheibe gemacht, wenn sie in den USA kaum präsent ist?
Das Paradoxe ist ja, dass in den USA klassische Antifa-Gruppen – vor allem unter diesem Namen – kaum präsent sind. Natürlich gibt es antirassistische und linke Gruppen, die etwa gegen Aufmärsche des Ku-Klux-Klan protestieren. Und es gibt Bewegungen wie Black Lives Matters, die direkt von Rassismus Betroffenen geschaffen wurden. Aber eine Antifa, wie wir sie aus Deutschland kennen, ist immer noch eine Seltenheit in den USA. Doch unter rechtsextremen und offen faschistischen Kreisen in den USA, darunter vielen Unterstützern von Trump, existiert das Feindbild Antifa schon länger. Das ist vermutlich über faschistische Online-Medien aus Europa rübergeschwappt.
Trump gebraucht das Wort „Antifa“ ja oft synonym mit dem Begriff „Anarchisten“. Sein Ziel ist es die breite antirassistische Bewegung, die sich nach dem Polizeimord an George Floyd landesweit gebildet hat, als destruktiv, gewalttätig und chaotisch zu diffamieren. Bei Terrorismus denken die meisten Amerikaner zudem an eine Bedrohung aus dem Ausland, an dschihadistische Gruppen wie den sogenannten Islamischen Staat. Und gerade weil es in den USA kaum klassische Antifa-Gruppen gibt, haftet ja auch dem Begriff Antifa etwas Ausländisches an. Suggeriert wird so, dass ausländische Brandstifter in den USA Terror und Chaos schaffen wollen.
Dass der tiefsitzende Rassismus in der US-Gesellschaft die Ursache für die Wut der Demonstranten ist, kann sich Trump vermutlich gar nicht vorstellen. Vergessen wir nicht; die Wurzeln der US-Gesellschaft liegen beim Genozid an den Native Americans und in den Sklavenstaaten des Südens. Und heute dient der Rassismus zur Spaltung der Lohnabhängigen, damit diese keine einheitliche Front gegen die Ausbeuter bilden können. Und außenpolitisch muss Rassismus weiterhin zur Rechtfertigung der Kolonialkriege der USA herhalten.
Letztlich geht es Trump aber mit seinen Angriffen auf die Antifa darum, alles, was links von ihm steht, als terroristisch zu diffamieren – einschließlich der pro-imperialistischen Demokratischen Partei. In diesem Wahn ähnelt Trump dem türkischen Präsidenten Erdogan, der auch überall nur noch Terroristen sieht.
Nach Äußerung von Trump kam die Antifa auch auf die bundesweite Tagesordnung. Die linke Bewegung wird öfters mit Rechtsextremismus verglichen. Wieso der Vergleich?
Das stimmt so nicht ganz. In Deutschland gibt es schon seit mehreren Jahren den Versuch, sowohl von Seiten der extremen Rechten als auch durch den Verfassungsschutz, die Antifa zu diskreditieren und zu kriminalisieren. Insbesondere der frühere Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen hat sich hier hervorgetan. In den Verfassungsschutzberichten wird Antifaschismus seit langem als „linksextremes Betätigungsfeld“ benannt – als ob nicht auch bürgerliche Demokraten gegen Faschismus sein könnten und müssten. Und die Gewerkschaft der Polizei hat gerade auf Twitter behauptet, dass Antifaschisten „anti Mensch“ wären. Doch schon vor einigen Jahren hat die GdP versucht, einen Antifa-Kongress im Münchner Gewerkschaftshaus zu verhindern. Ich frage mich wirklich, was so eine Gewerkschaft noch im DGB verloren hat, der schließlich Antifaschismus zu seinen Grundwerten zählt. Vor allem die AfD im Bundestag bemüht sich seit langem, die Antifa zu ächten. Erst kürzlich debattierte der Bundestag über einen Antrag der AfD, die ein Verbot der Antifa forderte. Auch Teile der Unionsparteien und der FDP sind längst mit auf diese Diffamierungskampagne aufgesprungen. Es ist diesen Kräften leider gelungen, den Diskurs so weit nach rechts zu verschieben, dass die Antifa auch in bürgerlichen und liberalen Kreisen zunehmend ausgegrenzt, angefeindet und dämonisiert wird.
Fließende Übergänge zwischen Faschisten und bürgerlichen Parteien
Auch Politikerinnen wie die SPD-Vorsitzende Saskia Esken, die erst auf Twitter erklärt hatte, sie sei selbst Antifa, weil sie gegen Faschismus ist, knickte nach Kritik von rechter Seite sofort ein und distanzierte sich von vermeintlich gewalttätigen Gruppierungen. Von konservativen und rechten Publizisten und Politikern sowie vom Verfassungsschutz wird in der Tat immer dann, wenn einmal die extreme Rechte thematisiert wird, auf die angeblich ebenso gefährliche radikale Linke verwiesen. Ziel ist es natürlich, einerseits davon abzulenken, dass die faschistische Rechte mit vielen Fäden mit der sogenannten Mitte der Gesellschaft verbunden ist und es fließende Übergänge zwischen den Faschisten und den sogenannten bürgerlichen Parteien gibt. Und andererseits geht es diesen Kreisen primär um die Bekämpfung der radikalen antikapitalistischen Linken. Denn CDU/CSU und FDP haben mit der AfD die entscheidende Gemeinsamkeit, dass sie alle ohne jede Einschränkung das Privateigentum verteidigen. Linke dagegen – selbst in ihrer gemäßigten sozialdemokratischen Form – treten dagegen für Einschränkungen in Form von höheren Steuern und Veränderungen im Mietrecht zugunsten von Mietern oder gar die durch das Grundgesetz gedeckten Forderung nach Enteignung und Vergesellschaftung ein. Wenn es um die Verteidigung des Privateigentums an Kapital, Immobilien, Fabriken geht, also um das Recht auf Ausbeutung, dann suchen die vermeintlich demokratischen bürgerlichen Parteien den Schulterschluss auch mit den Faschisten. Denn der Feind steht für diese Kreise immer links. Das hat die Geschichte leider oft beweisen.
Ist die Vorgehensweise, antifaschistische Bewegung mit Rechtsextremismus gleichzusetzen und die Antifa als „Staatsfeind” darzustellen, nicht ein Versuch, Faschist*innen und Rechtsextremist*innen zu exkulpieren?
Indem die extreme Rechte mit der antifaschistischen Linken gleichgesetzt wird, soll erstere verharmlost und letztere dämonisiert werden. Der Verfassungsschutz und ihm nahestehende Politikwissenschaftler gebrauchen dazu das unwissenschaftliche theoretische Konstrukt vom Hufeisen. Demnach gibt es eine demokratische Mitte und zwei extremistische Enden, die sich zwar auf den ersten Blick spinnefeind sind, aber sich in Wahrheit mit ihren Zielen und Methoden näher stehen als eben der Mitte. So heißt es nach dieser Gleichung, antifaschistische Linke und faschistische Rechte würden beide die parlamentarische Demokratie in ihrer bestehenden Form ablehnen. Das stimmt nur auf den ersten Blick. Denn Linke wollen die Demokratie ausweiten, sie wollen mehr basisdemokratische Strukturen wie Räte etablieren, sie wollen Demokratie auch in der Wirtschaft, sie wollen, dass alle hier lebenden Menschen ungeachtet ihrer Herkunft und ihres Passes gleiche demokratische Rechte haben. Die extreme Rechte dagegen möchte die bestehende bürgerliche Demokratie einschränken oder ganz abschaffen, sie will einen autoritären Führerstaat, sie will ganzen Bevölkerungsgruppe wie Migranten, aber auch Sozialhilfeempfängern das Wahlrecht aberkennen. Wie absurd die Gleichsetzung von rechts und links ist, zeigen auch die Zahlen. Seit der deutschen Vereinigung 1990 wurden rund 200 Morde durch Faschisten und Rassisten begangen – dem steht in diesem Zeitraum ein einziger Mord von Links durch die RAF gegenüber. Wer angesichts einiger eingeschlagener Schaufensterschreiben kürzlich in der Stuttgarter Innenstadt von „linkem Terrorismus“ spricht, verharmlost damit die faschistischen Morde und Massaker wie im Februar in Hanau.
Der Militärische Abschirmdienst (MAD) hat im Januar in seinem Jahresbericht angegeben, dass 2019 insgesamt 592 Personen innerhalb der Bundeswehr registriert worden sind, die Verbindungen zu Rechtsextremisten aufweisen. Darunter fallen auch Sonderkommandos. Können Sie uns die Beziehungen zwischen Neonazi-Gruppen und der Bundeswehr erklären?
Zum einen sind Armeen mit ihren Waffen und ihren autoritären Strukturen und ihrer Lizenz zum Töten immer attraktiv für Menschen mit einem rechten, nationalistischen und militaristischen Weltbild. So ist es sicherlich kein Zufall, dass die Bundeswehr solche Leute anzieht, die sich dort an der Waffe ausbilden lassen wollen. Dazu kommt, dass die Bundeswehr ja von alten Nazi-Militärs aufgebaut wurde. Kasernen waren lange nach Hitlers Generälen benannt und in Traditionskabinetten wurden die angeblichen Heldentaten der Wehrmacht, die einen mörderischen Vernichtungskrieg geführt hat, gefeiert. Erst 2018 gab es nach vielen öffentlichen Protesten und dem Auffliegen diverser Naziskandale in der Bundeswehr einen neuen Traditionserlass, der die Truppe nicht mehr in die Tradition der Nazi-Wehrmacht stellt. Immer, wenn es Nazivorfälle bei der Bundeswehr oder der Polizei gibt, wird uns von den Regierenden verklickert, dass das nur bedauernswerte Einzelfälle seien. Das glaube ich allerdings nicht, denn hinter diesen vielen Einzelfälle gibt es eine Systematik. Insbesondere bei Soldaten des streng geheim agierenden und nicht einmal durch den Bundestag kontrollierten Kommando Spezialkräfte (KSK), die Waffendepots mit geklauter Munition angelegt und Feindeslisten zusammengestellt hat, handelt es sich nicht um Einzelfälle. Mein Eindruck ist, dass sich innerhalb des KSK aber auch anderer Teile der Bundeswehr, ihrer Reservisten, aber auch der Polizei-Strukturen einer Schattenarmee gebildet haben. Also eine Truppe, wie sie zu Zeiten des Kalten Krieges die NATO-Geheimarmee Gladio war, die in vielen Ländern aus Neofaschisten gebildet wurde, um nicht nur im Kriegsfall hinter feindlichen Linien zu kämpfen, sondern bereits vorher gegen den Feind im Inland, gegen Sozialdemokraten und Kommunisten, vorzugehen. In Italien haben die Gladio-Kräfte etwa in den 70er und 80er Jahren mit zahlreichen Anschlägen eine regelrechte Strategie der Spannung gefahren, um einen Putsch vorzubereiten.
Der Autor, Historiker und Journalist Dr. Nikolaus „Nick“ Brauns lebt in Berlin. Er veröffentlichte Bücher und Artikel zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Deutschland sowie zur Geschichte und Politik der Türkei, der Kurden und des Nahen und Mittleren Ostens, unter anderem bei junge Welt und Yeni Özgür Politika. Mehrmals war er als Mitglied diverser Delegationen in den Regionen unterwegs und berichtete ausführlich über seine Eindrücke. Mit Brigitte Kiechle schrieb Brauns das Buch „PKK – Perspektiven des kurdischen Freiheitskampfes: zwischen Selbstbestimmung, EU und Islam“, mit Murat Çakır verfasste er das Werk „Partisanen einer neuen Welt – Eine Geschichte der Linken und Arbeiterbewegung der Türkei“.
Neues Gladio als Bürgerkriegsarmee in Deutschland
Auch in der Türkei hat Gladio mit Hilfe der „Grauen Wölfe“ in den 70er Jahren eine solche Strategie betrieben, um mit Terror den Militärputsch vom 12. September 1980 vorzubereiten. Und vom Anschlag auf das Münchner Oktoberfest mit vielen Toten im Jahr 1980 führt eine Spur zu Gladio. In Deutschland wurde anders als etwa in Italien nach dem Ende des Kalten Krieges die Geschichte von Gladio nie aufgearbeitet. Und jetzt sehen wir, dass sich ein neues Gladio als Bürgerkriegsarmee heranbildet und dabei offensichtlich den Schutz von Teilen des Staatsapparates genießt. Es gibt ein ganzes Netzwerk von rechtsextremen Soldaten, Angehörigen von Polizeispezialeinheiten, aber auch Teilen der sogenannten Prepper-Szene, die sich auf einen Tag X – den Zusammenbruch der staatlichen Ordnung – vorbereiten. Und zu dieser Vorbereitung gehört für diese Leute das Anlegen von Feindeslisten mit Namen linker und demokratischer Politiker, kritischer Journalisten, Migranten oder Vertretern jüdischer Gemeinden, die im Krisenfall ermordet werden sollen. Wie ernst es diesen Kreisen ist, zeigt, dass einige der in den letzten Monaten aufgeflogenen Nazizellen sich bereits Leichensäcke und Löschkalk zur Entsorgung ermordeter Gegner besorgt hatten. Im Zentrum dieses Netzwerkes scheint der Verein Uniter zu stehen, der offiziell nur so eine Art Selbsthilfegruppe und Jobbörse für Mitglieder und ehemalige Mitglieder von Spezialeinheiten der Bundeswehr und Polizei ist. Der von einem KSK-Offizier geleitete Verein vermittelt nicht nur Jobs als Söldner an Ex-Soldaten, sondern bietet auch Kampftraining an.
Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer will die Elitetruppe KSK nun auf mehrere Standorte verteilen und hofft auf „Selbstheilung“ dieser Truppe. Das ist in meinen Augen nicht nur gefährlich naiv, das erscheint vielmehr als bewusste Täuschung der demokratischen Öffentlichkeit. Das KSK muss ersatzlos aufgelöst werden, alles andere ist nur Augenwischerei, bei der die Gladio-Strukturen nicht angerührt werden.
Nach den rassistischen Angriffen türkischer Faschist*innen in Wien wurde die Solidarität mit der Antifa zum Thema. Würde dies die Diskussionen in eine andere Richtung ziehen bzw. dem Image der Antifa schaden?
Ich hatte eher den Eindruck, dass in Österreich rechte Medien und Politiker versucht haben, die Angriffe der Grauen Wölfe auf Linke und die kurdische Frauenbewegung als eine Auseinandersetzung im Migrantenmilieu dazustellen – mit dem Ziel, so auch die beteiligten linken türkischen und kurdischen Vereinigungen gleich mit zu kriminalisieren. Es gab aber in der Tat auch Artikel in der österreichischen Presse, in denen sich die Autoren erfreut darüber zeigten, dass die „linksextreme Antifa“ von „nationalistischen Türken“ verprügelt worden sei. Die darin anklingenden Sympathien von österreichischen Rechten mit den Grauen Wölfen sind schon bezeichnend. In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, dass es Ende der 70er Jahre in der Bundesrepublik der damalige CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß und deutsche Geheimdienste waren, die aktiv bei der Etablierung der Grauen Wölfe als militantes Gegengewicht zu sozialistischen Strömungen unter der türkeistämmigen Arbeitsmigration geholfen haben. In Österreich wird es wohl ähnlich gewesen sein. So ist es nicht verwunderlich, dass die Grauen Wölfe, deren Symbole in Österreich anders als in Deutschland inzwischen verboten sind, geschont werden, während Antifa aber auch die kurdisch-türkische Linke als Feindbild präsentiert werden.
In Lüneburg hat es einen Prozess gegen einen Antifaschisten gegeben, weil er die Antifa-Enternasyonal-Fahne, die der KCK-Fahne ähnelt, auf einer Demonstration bei sich trug. Wie interpretieren Sie diesen Prozess? Sind das die Folgen der Repressionen und Kriminalisierung durch die Bundesregierung?
Die scharfe Verfolgung der kurdischen Bewegung und ihrer Symbole ist ja nichts Neues. Ich kann mir vorstellen, dass es längerfristig Bestrebungen gibt, die grüne Antifa-International-Fahne als ein PKK-Ersatzsymbol einzustufen und zu kriminalisieren – so wie es in den letzten Jahren schon mit den Öcalan-Fahnen und den YPG/YPJ-Fahnen geschehen ist. Eine weitere Komponente dieses Verfahrens ist aber die Sorge des Staates vor einem Zusammengehen der radikalen Linken in Deutschland mit der kurdischen Bewegung. Der Verfassungsschutz hat ja mehrfach vor so etwas gewarnt. Daher wird versucht, diejenigen Aktivisten, die heute schon Seite an Seite mit der kurdischen Bewegung kämpfen, zu bestrafen und so andere Linke einzuschüchtern. Die Botschaft lautet: haltet euch von der kurdischen Bewegung fern.
Die seit Ende der 1980er Jahre ausgeübte Repression gegen die kurdische Bewegung und das PKK-Verbot hatten vor allem außenpolitische Gründe. Es ging um die Waffenbrüderschaft der Bundesrepublik mit dem NATO-Partner Türkei. Doch sozialistische Gruppen hatten schon in den 1990er Jahren davor gewarnt, dass die Angriffe auf die Kurdinnen und Kurden in Deutschland als Angriffe auf demokratische Grundrechte und auf die Linke und Arbeiterbewegung insgesamt zu werten sind. Früher oder später würden solche Angriffe, die zuerst als Test gegen weitgehend isolierte und rechtlose Bevölkerungsgruppen gefahren werden, auf andere Teile der Bevölkerung ausgeweitet werden. So wurde ja Mitte der 1990er Jahre sogar einmal eine 1.Mai-Demonstration im Ruhrgebiet verboten, weil es hieß, die PKK könnte dort mit ihren Fahnen hinkommen.
Kriminalisierung von Ende Gelände Vorbote verschärfter Verfolgung
Wir müssen damit rechnen, dass zukünftig nicht nur die kurdische Bewegung sondern auch Antifa-Gruppen, die ökologische Bewegung, die Flüchtlingssolidarität und die Rote Hilfe verschärfter Repression ausgesetzt sein werden. Drohungen zu einem Verbot der linken Schutz- und Solidaritätsorganisation Rote Hilfe mit ihren über 10.000 Mitgliedern gab es ja schon von Seiten des Bundesinnenministeriums. Und erst kürzlich wurden in Verfassungsschutzberichten die Klimabewegung „Ende Gelände“ und die Flüchtlingsrettungskampagne „Seebrücke“ als linksextremistisch diffamiert. Das können Vorboten einer verschärften Verfolgung sein. Oder nehmen wir ein anderes Beispiel. Weil der bayerische Verfassungsschutz die größte antifaschistische Vereinigung, die VVN-BdA, als linksextrem beeinflusst bezeichnet hat, wurde diesem Verband im vergangenen Jahr vom Finanzamt die Gemeinnützigkeit aberkannt. Für einen Verband, der von Spenden lebt, ist das ein schwerer Schlag. Fatal ist zudem die damit verbundene Botschaft, dass Antifaschismus eben nicht gemeinnützig ist.
In Deutschland organisiert die kurdische Bewegung Aktionen gemeinsam mit der Antifa, in gegenseitiger Solidarität. Kann sich diese gemeinsame politische Haltung zu einem politischen Kampf umwandeln?
Schon in den 1990er Jahren gab es ja einzelne Kooperationen zwischen antifaschistischen Gruppen und der kurdischen Bewegung. Einzelne Antifa-Aktivisten sind ja auch nach Kurdistan gegangen, um sich der Guerilla anzuschließen und dort von der Bewegung zu lernen. Diese Kooperation ist insbesondere in den letzten zehn Jahren – gerade vor dem Hintergrund der Rojava-Revolution – enger geworden. Antifa-Gruppen, die nicht nur den Kampf gegen Rechts auf ihrer Agenda haben, sondern diesen Kampf in einen größeren Rahmen des antikapitalistischen Kampfes und des Kampfes für den Sozialismus einordnen, schauen mit großem Interesse nach Rojava. Und bei immer mehr antifaschistischen Gruppen setzt sich die Überzeugung durch, dass der Kampf gegen Faschismus letztlich international erfolgen muss und internationalistisch orientiert sein sollte. Viel zu lange haben viele deutsche Antifaschisten ja die Augen vor türkischen Faschisten wie den Grauen Wölfen verschlossen, weil ihnen nicht in den Sinn kam, dass Menschen, die hier in Deutschland oder Österreich rassistischer Diskriminierung ausgesetzt sind, selbst rassistisch und faschistisch sein können. Hier findet zum Glück langsam ein Wandel statt. Perspektivisch wäre es allerdings wichtig, dass nicht nur deutsche oder internationalistische Antifaschisten sich auf die kurdische Bewegung orientieren und von dieser lernen. Umgekehrt hoffe ich auch, dass sich in Deutschland oder Österreich lebende Kurdinnen und Kurden mit ihren Vereinigungen viel stärker als bislang an antifaschistischen Organisationen, Protesten und Kämpfen beteiligen. Es geht hier nicht nur um Solidarität mit den Antifaschisten. Vielmehr sind Kurden – ebenso wie andere Migranten – ja direkt vom Rassismus betroffen. Dass nach dem Massaker von Hanau der Ruf nach Migrantifa ertönte, ist sehr wichtig. Es geht um eine migrantische Antifa. Es geht darum, dass sich die direkt vom Rassismus betroffenen und am meisten von Faschisten bedrohten Bevölkerungsgruppen selbst organisieren und antifaschistischen Selbstschutz aufbauen. Die kurdische Bewegung mit ihrer großen Erfahrung und ihren vielen Anhängern in Deutschland hat hier eine besondere Verantwortung und sollte sich aktiv in den Aufbau von Antifa und Migrantifa einbringen. Wie sehr die Rechten übrigens Angst vor einer engeren Kooperation von Antifa und kurdischer Bewegung haben, zeigt eine aktuelle Kleine Anfrage der AfD im Bundestag. Die AfD will darin allen Ernstes von der Bundesregierung wissen, welche Erkenntnisse es darüber gäbe, dass Antifa-Aktivisten in Syrien militärisch ausgebildet wurden. Die AfD springt hier offensichtlich auf eine Kampagne der türkischen Regierung auf, die nach Trumps Antifa-Äußerungen behauptet hat, die YPG in Rojava habe die Antifa ausgebildet und stecke daher hinter den Massenprotesten in den USA. Allerdings ist es richtig, dass der Kampf gegen den IS und später die türkische Invasion von Antifas aus Deutschland und anderen europäischen Staaten zu Recht als eine Form des antifaschistischen Kampfes begriffen wurde. So ist es ja kein Zufall, dass internationalistische Freiwillige in den Reihen der YPG/YPJ ein Antifa-Tabur gebildet haben und die bekannte Fahne der Antifaschistischen Aktion in Rojava weht.
Eine eher neuere Gruppe innerhalb der Klimabewegung zeigt Interesse an allgemeinen politischen Themen und internationaler Solidarität, war beim Kampf um den Hambacher Forst und während der Besetzung von Rojava sehr aktiv. Den Sicherheitsbehörden hat dieser Zuspruch nicht besonders gefallen. Wie interpretieren Sie das?
Solange Strömungen wie Fridays for Future nur mit Schulstreiks an die Politik appellieren, mehr für Klimaschutz zu tun, wurden sie von den Herrschenden nicht als Gefahr angesehen. Es wird stattdessen versucht, sie in das System einzubinden und mit ihrer Hilfe den Kapitalismus zu modernisieren. Doch Teile dieser Bewegung haben die Erfahrung gemacht, dass sie selbst mit ihren gemäßigten Forderungen schnell an die Grenzen des Systems – des Kapitalismus – stoßen, wenn sie es ernst meinen. Gruppen aus der Ökologie- und Klimabewegung haben wahrgenommen, dass in Rojava versucht wird, eben nicht nur eine radikaldemokratische und feministische sondern auch eine ökologische Gesellschaft aufzubauen, die durch die Angriffe des NATO-Staates Türkei bedroht ist. Und sie haben die Zusammenhänge zwischen Klimagerechtigkeit und dem Kampf gegen Krieg erkannt. Denn es sind ja oft dieselben Firmen, die Waffen und umweltschädliche Technologien produzieren. Aktionen von Teilen der Klimabewegung, aber auch der Riseup4Rojava-Kampagne, richten sich letztlich gegen das Recht von Konzernen wie RWE, für ihre Profite den Hambacher Fort abzuholzen, oder von Rheinmetall, mit dem Geschäft mit dem Tod Milliarden zu verdienen. Zwar können Kampagnen wie Riseup4Rojava oder „Rheinmetall Entwaffnen“ bislang nicht verhindern, dass der Rüstungskonzern weiter Waffen an die Türkei oder andere Länder liefert. Aber auch symbolische Proteste und Blockaden tragen dazu bei, in der Öffentlichkeit ein kritisches Bewusstsein über die schmutzigen Geschäfte von solchen Konzernen zu schaffen. Die Sicherheitsbehörden sehen in den Aktionen dieser Aktivistinnen und Aktivisten eine Gefahr für die attackierten Unternehmen, für deren Image, für deren Recht auf Profit auf Kosten von Umwelt und Menschenleben. Der Verfassungsschutz hatte im vergangenen Jahr sogar mit einer „Allianz für Sicherheit der Wirtschaft“ eine gemeinsame Tagung in Berlin veranstaltet, auf der es um die vermeintlichen Angriffe von radikalen Linken auf Unternehmen ging.
Innerhalb der Antifa gibt es mannigfaltige Richtungen. Wäre es möglich, dass sich diese Strukturen innerhalb der Bewegung durch die Kriminalisierung der Bundesregierung lösen oder – im Gegenteil – die gegenseitige Solidarität noch weiter stärken?
Die AfD spricht immer von „der Antifa“ und suggeriert, es handele sich um eine einheitliche schlagkräftige Organisation mit eingeschriebenen Mitgliedern. Doch das völlige Gegenteil ist der Fall. Antifa-Gruppen unterscheiden sich stark in ihren Methoden und Zielen. Es gibt Gruppen, die nur Recherchearbeit betreiben und dabei oft mehr über die extreme Rechte wissen, als jeder Verfassungsschützer. Dann gibt es auch einige Antifas, die militante Aktionen bis hin zu Brandanschlägen auf Autos von Faschisten gutheißen. Einige Gruppen setzten sich für möglichst breite Bündnisse gegen rechts ein, in denen auch der örtliche Pfarrer und vielleicht sogar ein CDU-Stadtrat mitmachen können. Andere lehnen eine Zusammenarbeit mit Parteien, die selbst in der Regierung sind und Flüchtlinge abschieben lassen, dagegen strikt ab. Es gibt Antifa-Gruppen, die sich als kommunistisch oder anarchistisch verstehen und im Sinne des Schwurs der Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald die „Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln“ – gemeint sind die kapitalistischen Wurzeln – und den „Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit“ als Ziel haben. Und dann gibt es Antifa-Gruppen, die sich wirklich nur dem Kampf gegen Nazis widmen, aber die soziale Frage völlig ausblenden oder offen halten, um auch Liberale und Bürgerliche in den antifaschistischen Kampf einzubinden. Hier halte ich es lieber mit dem Philosophen Max Horkheimer, der am Vorabend des zweiten Weltkrieges erklärte: „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“. Und dann gibt es wiederum gar nicht so wenige Antifa-Gruppen, die den sogenannten Antideutschen zuzurechnen sind. Das ist eine Strömung, die sich vermeintlich gegen Antisemitismus richtet, aber in Wahrheit bedingungslose Solidarität mit dem zionistischen Israel zeigt. Solche antideutschen Antifa-Aktivisten gehen auch schon mal mit US-Fahnen auf Demonstrationen, weil die USA ja die Schutzmacht von Israel sind. Und einige dieser selbsternannten Antifas, die das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser bestreiten, finden sich dann plötzlich Seite an Seite mit extrem Rechten wie der AfD vereint, wenn es gegen vermeintlichen oder tatsächlichen Antisemitismus unter Muslimen geht. Mit linker Politik und tatsächlichem Antifaschismus, der über Faschisten in der israelischen Regierung nicht schweigen sollte, hat das dann aus meiner Sicht nichts mehr zu tun.
Kurdische Bewegung bringt unterschiedliche Spektren zusammen
Die Gefahr, dass eine verstärkte Kriminalisierung und Dämonisierung gegen die Antifa dazu führt, dass sich gemäßigtere Teile der antifaschistischen Bewegung von militanten oder ihrem Programm der sozialrevolutionären Antifa-Gruppen distanzieren, ist in der Tat groß. Oft sind das dann aber nur so Mode-Antifas wie die SPD-Vorsitzende Saskia Esken, die mit dem Antifa-Begriff nur kokettiert, während die Praxis ihrer Partei seit Jahrzehnten schon eine ganz andere ist.
Der kurdischen Bewegung ist es umgekehrt aber auch gelungen, auf Rojava-Solidaritätsdemonstrationen Aktivisten von Antifa-Gruppen zusammenzubringen, die sonst niemals ein Bier miteinander trinken würden. So habe ich auf einigen Demonstrationen für Rojava sowohl gemäßigte Antideutsche als auch Aktivisten mit antiimperialistischem Selbstverständnis gesehen. Die Feindbilder IS und Erdogan aber auch die antinationalistische Stoßrichtung der Rojava-Selbstverwaltung bieten Anknüpfungspunkte für Linke und Antifaschisten aus sehr unterschiedlichen Spektren.
Gegen den rassistischen Mord an George Floyd in den USA ist weltweit demonstriert worden. Dabei wurden Denkmäler von Ausbeutern zerstört. Können diese Aktionen als eine Entstehung einer neuen Bewegung interpretiert werden?
Es schaut ganz danach aus. Wenn im Zuge dieser Bewegung in Deutschland Statuen oder Straßennamen von Kolonialschlächtern oder Nazikollaborateuren beseitigt werden und ins Museum kommen, wäre das sehr erfreulich. Allerdings bin ich persönlich nicht dafür, alle Denkmäler von Persönlichkeiten der Geschichte von ihren Sockeln zu stürzen, nur weil sie nicht unseren heutigen Maßstäben entsprechen. Nicht umsonst heißen diese Statuen ja „Denkmal“ – wörtlich ist das eine Aufforderung zum Denken. Viele historische Persönlichkeiten, die heute in die Kritik geraten sind aufgrund von rassistischen oder antisemitischen Äußerungen oder antidemokratischer Auffassungen, haben dennoch in der Geschichte den Fortschritt repräsentiert. Martin Luther etwa war ein wüster Antisemit und hat die Abschlachtung der rebellischen Bauern propagiert. Doch die von Luther vor 500 Jahren angeschobene Reformation war ein welthistorischer Fortschritt. Ebenso war die von Bismarck betriebene Reichseinigung 1871 ein Fortschritt gegenüber der feudalen Kleinstaaterei. Doch weil diese Einigung mit Feuer und Schwert von Oben betrieben wurde, war sie zugleich eine unheilvolle Weichenstellung für das Deutsche Reich. Es sollte meiner Ansicht nach darum gehen, solche Statuen aus der Geschichte kritisch zu kommentieren, und so zur Kritik der Gegenwart zu gelangen. Denn rassistische und unterdrückerische Strukturen verschwinden ja nicht dadurch, dass Namen oder Figuren entfernt werden. Auch wenn eine Statue im Museum oder im Fluss landet, besteht das ausbeuterische und rassistische System weiter. Als ich letztes Jahr auf Kuba war, habe ich dort in Barakoa als dem Ort, wo Columbus erstmals gelandet ist, eine Statue dieses Kolonialisten gesehen. Niemand nimmt daran Anstoß. Doch niemand würde den Kubanern vorwerfen wollen, dass sie Kolonialismus verherrlichen. Wenige hundert Meter von Columbus entfernt steht dort übrigens eine andere Statue, die an den Taino-Häuptling Hatuey erinnert, der als erster Kämpfer gegen die weißen Kolonialisten in der sogenannten „neuen Welt“ verehrt wird. Nicht aus dem Vergessenmachen des Kolonialräubers Columbus, sondern aus dessen Gegenüberstellung mit dem Freiheitskämpfer Hatuey erwächst der in Cuba lebendige Geist des antikolonialen Widerstands. Von einem solchen dialektischen Umgang mit Geschichte, der übrigens auch in der sozialistischen DDR gepflegt wurde, sollten wir in Deutschland lernen.
Das Interview führte der Journalist und Kolumnist Ismet Kayhan für die Tageszeitung Yeni Özgür Politika.