Menschenrechte in der EU abgeschafft
Am vergangenen Mittwoch hat das Europaparlament mehrheitlich der Einführung eines Gemeinsam Europäischen Asylsystems (GEAS) zugestimmt. Dieses System treibt die Abschottung der EU auf die Spitze und brutalisiert die Situation der Menschen, die vor Krieg, Folter, Dürre, Hunger, Armut und Tod fliehen. Mit dem Paket werden unzählige Männer, Frauen und Kinder zu einem Leben in Haftlagern an den EU-Außengrenzen und anschließender Abschiebung verdammt. Die Regelung der „sicheren Herkunftsstaaten“ und „sicheren Drittstaaten“ wird skrupellos auf alle Staaten mit einer europäischen Schutzquote von unter 20 Prozent ausgeweitet. Damit wird das individuelle Recht auf Asyl über Bord geworfen. Der Journalist Ercüment Akdeniz sieht darin ein deutliches Signal, das Europa aussendet: „Schutzsuchende haben keinen Platz mehr in Europa.“
Im ANF-Gespräch wies Akdeniz darauf hin, dass der Ratifizierungsprozess des GEAS noch nicht vollständig abgeschlossen ist, die bisherige Entscheidung aber eine Weichenstellung darstelle: „Der neue Pakt der Europäischen Union zu Migration und Asyl ist der Hauptbestandteil der neuen europäischen Migrationsstrategie. Es handelt sich um einen umfangreichen Entwurf, der Klausel für Klausel sowohl in der Europäischen Kommission als auch im Europäischen Parlament abgestimmt wird. Diese muss er der Reihe nach durchlaufen. Es handelt sich also um eine Untergesetzgebung der Europäischen Union und des Neuen Pakts zu Migration und Asyl, der ein Entwurf für die Hauptstrategie ist. Wenn der gesamte Pakt verabschiedet ist, bedeutet das, dass Migrant:innen Stück für Stück das Leben genommen wird.“
„Ein Triumph für die extreme Rechte“
Akdeniz erinnerte daran, dass der Entwurf dieses Gesetzes vor seiner Verabschiedung in der Europäischen Kommission nach sehr harten Diskussionen angenommen wurde, und fuhr wie folgt fort: „Kritik kam vor allem von der Linken, aber es gelang dennoch, das Gesetz zu verabschieden. Sogar Ylva Johansson, die EU-Kommissarin für Inneres, brach damals in Tränen aus. Sie ist eine Person des rechten Spektrums. Diese Information ist aus folgendem Grund wichtig: Das Gesetz wurde mit 322 zu 266 Stimmen verabschiedet. Der rechte Flügel des Europäischen Parlaments ist zum Beispiel die Europäische Volkspartei (EVP), aber auch die Sozialdemokraten (SD) und die Liberalen haben dieses Gesetz unterstützt. Die Sozialdemokraten machten sich also mitschuldig an diesem Verbrechen. Dies ist ein schwerer Schlag für die europäische Demokratie. Das Europäische Parlament ist rechtslastiger geworden. Ich kann sagen, dass die extreme Rechte mit diesem jüngsten Gesetz triumphiert hat, und es werden noch weitere folgen."
„Schutzsuchende erhalten Pro-Kopf-Preis“
Ercüment Akdeniz wies darauf hin, dass die EU-Peripheriestaaten Griechenland, Italien und Spanien mit der Aufnahme von Schutzsuchenden alleine gelassen wurden. Daher sei nun eine Lösung zu deren Beschwichtigung vorgelegt worden: „Diese Lösung sieht folgendermaßen aus: Andere Länder nehmen die Migranten auf, und das Land, das sie nicht aufnimmt, zahlt 20.000 Euro pro Schutzsuchenden. Dies ist in zweierlei Hinsicht problematisch. Erstens werden Schutzsuchende damit einer Kopfpreislogik unterworfen. Zweitens ist zum Beispiel Griechenland im Vergleich zu Italien und Spanien ein ärmeres Land. Durch die Aufnahme von Schutzsuchenden im Gegenzug zu Zahlung von 20.000 Euro kann Griechenland zu einem regelrechten Lagerhaus werden. Wenn wir uns die Balkanländer anschauen, z.B. Albanien, Bulgarien und andere Länder, können sie, da sie ärmer sind, ebenfalls Schutzsuchende für 20.000 Euro aufnehmen. Das bedeutet, dass die Europäische Union nach der Türkei, Libyen und Marokko nun auch eigene Inselstaaten für Schutzsuchende schafft.“
Schnellverfahren mindern Chancen auf Asyl
Akdeniz kritisierte auch die Schnellverfahren. Asylverfahren sollen auf zwölf Wochen verkürzt werden. Er warnte: „Das ist nicht möglich, denn manchmal müssen Schutzsuchende während des Asylverfahrens Dokumente und Unterlagen (Verfolgungsnachweise) aus ihren Ländern beibringen, und dafür brauchen sie Zeit. Mit dieser Regelung wird darauf abgezielt, die Schutzsuchenden zurückzuschicken, bevor die Dokumente und überzeugenden Unterlagen eintreffen. Deshalb werden von nun an viel weniger Schutzsuchende nach Europa einreisen können.“
Selbst Kindern werden Fingerabdrücke abgenommen
Akdeniz sprach von Brüchen internationalen Menschenrechts durch die Regelungen: „Es gibt ein System namens EuroDAC, das ist eine Datenbank. In dieser Datenbank werden die Fingerabdrücke von Migrant:innen, sowie Porträtfotos, mit allen Ländern in Europa ausgetauscht. Die Daten müssen im Land der Antragsstellung bleiben. Die gemeinsame Nutzung von Daten ist in jeder Hinsicht problematisch. Man hat noch etwas viel Schlimmeres eingeführt: Man wird auch die Fingerabdrücke von Kindern nehmen. Mit anderen Worten: Flüchtlinge werden etikettiert, und jeder Flüchtling wird wie eine Person behandelt, die ein Verbrechen begangen hat. Das wird die Ausgrenzung noch verstärken.“
Primat der Kapitalinteressen nicht der Menschenrechte
Die Regelung basiere nicht auf Menschenrechten, sondern sei Kapitalinteressen unterworfen, so Akdeniz: „Außerdem können diejenigen, die nicht abgeschoben werden, d.h. deren Asylantrag angenommen wurde, nach sechs Monaten eine Arbeit aufnehmen. Auch das ist interessant, denn es handelt sich um eine Verkürzung. Das wird gemacht, um den Arbeitskräftemangel im alten Europa zu decken, vor allem in den führenden kapitalistischen Ländern in der Mitte Europas.“
EU will sich angesichts bevorstehender Katastrophen abschotten
Akdeniz sieht in der Regelung den Versuch, Migration zu minimieren. Dies sei jedoch angesichts der Fluchtbewegungen weltweit illusorisch. Er führte aus: „Die Europäische Union schaut sich die Prognosen für die nächsten 30 bis 50 Jahre an. Es besteht die Möglichkeit eines pazifischen Krieges oder einer Intervention im Iran, oder, sagen wir, eines Anstiegs der globalen Temperatur, einer Dürre und damit verbundener Migrationen ... In Erwartung dieser Entwicklungen wird eine gesetzliche Regelung getroffen, um dafür zu sorgen, dass die weniger entwickelten Staaten mit viel größeren Migrationsbewegungen fertig werden müssen. Europa macht klar, dass es von nun an keinen Platz mehr für Flüchtlinge in Europa gibt, und will damit nicht nur seine Gegenwart, sondern auch seine Zukunft sichern.“
Notstandsregelung hebelt Genfer Konvention aus
Akdeniz unterstreicht, dass einer der Artikel dieses neuen Asyl- und Migrationsabkommens es den Ländern ermöglicht, eine Krisensituation auszurufen und die Asylverfahren angesichts einer Entwicklung wie einer plötzlichen Vergrößerung der Zahl von Asylbewerbern, vorübergehend auszusetzen: „Wenn beispielsweise die israelisch-iranischen Spannungen eskalieren und dies zu einem regionalen Krieg und einem großen Zustrom von Schutzsuchenden, insbesondere aus dem Iran, führt, kann die Europäische Union das Asylverfahren im Rahmen dieses Abkommens aussetzen. Dies würde bedeuten, dass die Flüchtenden, komme was wolle, gezwungen wären, in der Türkei oder in anderen Ländern außerhalb Europas zu verbleiben. Die Hauptlogik der Genfer Konvention von 1951 ist jedoch, dass Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, einen Anspruch auf Asyl haben. Die EU schafft das Recht auf Asyl und Zuflucht im Kriegsfall ab.“