Eine brisanter Datensatz deckt umfangreiche Details zu den Verbindungen zwischen hochrangigen Mitgliedern der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) und dem NATO-Mitglied Türkei auf. Mehr als 40 ehemalige Mitglieder der Dschihadistenmiliz arbeiten in der von der Türkei installierten Militärverwaltung im nordsyrischen Kanton Efrîn, enthüllt die Datenbank des Rojava Information Center (RIC), die am Donnerstag veröffentlicht wurde. Dazu gehören Kommandeure, Brigadenführer, Rekrutierungsoffiziere und Koordinatoren, die eng mit dem türkischen Geheimdienst MIT zusammenarbeiten sollen. Die elektronische Datenbank mit quellenfundierten Informationen zur Rolle der ehemaligen IS-Mitglieder im selbsternannten Kalifat, ihrer neuen Rolle als Teil der türkischen Besatzungstruppen in Efrîn, ihrem Standort und biografischen Informationen liefert einen klaren Hinweis darauf, was in einem von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan geplanten „Friedenskorridor” in Nordsyrien passieren wird.
IS-Identitäten von Experten bestätigt
Einige Namen und Fotos der Personen wurden gemeinsam von RIC-Mitarbeitern und OSINT-Experten (Open Source Intelligence) aus Telegramm-Kanälen von dschihadistischen Gruppen in Efrîn zusammengetragen. Andere Informationen hat das Büro für auswärtige Angelegenheiten der Autonomen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien recherchiert. Internationale Dschihadismus-Experten haben einige dieser IS-Identitäten bereits im Rahmen des Anfang Juli in Amûdê veranstalteten IS-Forums bestätigt.
Die 43 gelisteten ehemaligen IS-Mitglieder sind den Recherchen zufolge durch den türkischen Staat in die unter dem fadenscheinigen Etikett „Freie Syrische Armee“ (FSA) bezeichneten Milizen, die sich an der Invasion von Efrîn beteiligten, reorganisiert worden. Die sogenannte FSA setzt sich aus Dutzenden Dschihadistenmilizen zusammen, darunter Jaish al-Islam, Sulaiman Schah und Sultan-Murad-Brigade, deren Kriegsverbrechen vielfach dokumentiert wurden. Die Datenbank enthält unter anderem die Namen von Isma’il Firas al-Abbar, einem ehemaligen IS-Kommandeur in Deir-ez Zor, der heute Brigadenführer in Efrîn ist; Basil Nayef al-Shehab, der für den IS in Kobanê gegen die YPG kämpfte, bevor er Kommandeur der Sultan-Murad-Brigade wurde und an der Besatzung Efrîns teilnahm, und Abu al-Baraa al-Ansari, ebenfalls IS-Kommandeur in Deir ez -Zor, der jetzt Kommandeur der protürkischen Miliz Ahrar al-Sharqiya ist.
FSA-Milizen werden Kriegsverbrechen beschuldigt
In der bis zur türkischen Invasion im Januar 2018 friedlichsten Region Syriens ist durch die Türkei und ihre FSA-Milizen ein Terror-Regime aufgebaut worden - Vertreibungen, Plünderungen, Entführungen und Folter sind die Folgen. Wo einst Geschlechtergerechtigkeit und ein demokratisch-pluralistisches Zusammenleben der Völker möglich war, herrscht heute ein Scharia-System, in dem Frauen dazu gezwungen werden, nur noch verschleiert und in männlicher Begleitung das Haus zu verlassen. Die weit verbreiteten Entführungen von Zivilisten sind zu einer gängigen Einkommensquelle der dschihadistischen Hilfstruppen des türkischen Staates geworden. Viele der Entführten werden gegen Lösegeldzahlungen wieder freigelassen, sofern ihre Angehörigen das Geld aufbringen können. Personen, denen eine Nähe zu den zuvor in Efrîn aufgebauten Selbstverwaltungsstrukturen nachgesagt wird, werden hingegen in die Türkei verschleppt oder ermordet. Andersgläubige müssen ohnehin um ihr Leben fürchten.
„Gruppen sind Teil einer Befehlskette, die in Ankara bei Erdoğan beginnt“
RIC-Mitarbeiter Joan Garcia erklärte zu dem Bericht: „Diese Datenbank führt nur einen Bruchteil des Ausmaßes der Absprachen zwischen dem IS und der Türkei auf. Es sind mehrere prominente IS-Kommandeure und -kämpfer, die dem türkischen Geheimdienst unterstehen und mittlerweile offen als Kommandanten der Milizen agieren, die von der Türkei finanziert, bewaffnet, ausgebildet und kontrolliert werden. Sie alle sind Teil einer Befehlskette, die in Ankara bei Präsident Recep Tayyip Erdoğan beginnt. Die Türkei gehört nur dem Namen nach der internationalen Anti-IS-Koalition an. In Wirklichkeit ist sie ein staatlicher Sponsor von Terrorismus und unterstützt Zehntausende Dschihadisten, darunter etliche mit direkter Verbindung zum IS.“
Die Datenbank kann unter folgendem Link eingesehen werden:
An dieser Stelle verweisen wir auch auf einen Bericht des Rojava Information Centers zu den wirtschaftlichen Beziehungen von Rüstungsunternehmen in den NATO-Ländern mit der Türkei.