Die türkischen Pläne für Südkurdistan – Teil 2

In den folgenden Teilen des Dossiers wird es um die neue Qualität der Angriffe des türkischen Staates auf Südkurdistan gehen. Dieser Teil dreht sich um die 23-jährige türkische Besatzung Südkurdistan.

Nach der Anerkennung der südkurdischen Regionalregierung im Jahr 1994 errichtete der türkische Staat in 18 verschiedenen Regionen Südkurdistans Militärbasen und Geheimdiensteinrichtungen. Das Regionalparlament Kurdistan hatte in einer Entscheidung 2005 erklärt, die Türkei müsse sich aus Südkurdistan zurückziehen. Das Gegenteil der Entscheidung geschah und obwohl die Besatzungsversuche zunahmen, schweigt die Regionalregierung noch immer.

Militärische Besatzung

Südkurdistan steht seit dem Ende des ersten Weltkriegs bis heute ganz oben auf der Tagesordnung des türkischen Staates. Der türkische Staat hat niemals Südkurdistan als ein Land oder kurdische Region akzeptiert. Er betrachtete die Region immer als Teil des türkischen Staates und versuchte diese Sicht der Welt aufzuzwingen. Die „Forscher“ des türkischen Staates stellen Südkurdistan als Teil des osmanischen Staates seit Selcuk dar.

Der türkische Staat betrachtet Südkurdistan als „Provinz Mossul“ – das heißt als Teil des Osmanischen Reiches – und versteht sich als der rechtmäßige Eigentümer der Region. Kerkûk und Silêmanî (Sulaimaniyya) werden als Verlängerung der „Provinz Mosul“ und daher ebenso als Teil türkischen Bodens betrachtet.

Die Abkommen von Ankara und Lausanne

Als das Osmanische Reich im ersten Weltkrieg besiegt wurde, geriet ein großer Teil dessen, was als Mesopotamien bekannt ist, das heißt der Irak und Südkurdistan, unter die Herrschaft Großbritanniens. Auf diesem von Großbritannien beherrschten Land, wurde der irakische Staat gegründet und das heutige Südkurdistan in diese Grenzen mit eingeschlossen. Der türkische Staat akzeptierte dies nie und versuchte seit dem immer wieder, südkurdischen Boden unter seine Kontrolle zu bringen. Bei den Verhandlungen in Lausanne hatte es große Kontroversen über die Provinz Mossul gegeben, diese hatten allerdings zu keinem Ergebnis geführt.

In Lausanne wurde beschlossen, die Entscheidung über das Schicksal der Provinz Mossul dem Völkerbund zu überlassen. Eine eingerichtete Kommission stellte Untersuchungen in der Region an und bereitete Berichte zu diesem umstrittenen Gebiet vor. Dem Bericht zu Folge waren die meisten Einwohner*innen der Region Kurdisch, aber es wurde ebenfalls festgestellt, dass es dort auch eine arabische und eine turkmenische Bevölkerung gebe. Der Bericht empfahl, die Region innerhalb der irakischen Grenzen zu belassen.

Die Türkei protestierte heftig gegen die Annahme des Berichts durch den Völkerbund. Nach Diskussionen kam es am 5. Juni 1926 zum Abkommen von Ankara, in dem der türkische Staat den Verbleib Mossuls in den Grenzen des Iraks akzeptierte.

Der türkische Staat hat die Nachkriegsordnung niemals hingenommen

Der türkische Staat hatte zwar das Abkommen von Ankara unterzeichnet, betrachtete aber dennoch Südkurdistan weiterhin als ureigenes Territorium.

Aus Dokumenten des türkischen Staates wird deutlich, wie wenig der Staat diese Entscheidung akzeptierte: Die Reaktion des türkischen Staates auf den Völkerbund war sehr streng. Es gab jedoch zu dieser Zeit keine internationale Unterstützung für den türkischen Staat, der selbst mit einem Krieg im Inneren zu kämpfen hatte. Deshalb musste sich der türkische Staat pro forma der Entscheidung beugen, ließ aber auch danach keine Gelegenheit aus, die Region zu besetzen.

Die Kriege von 1991 und 2003

Die ersten Angriffe des türkischen Staates auf Südkurdistan begannen im Jahr 1983 und setzten sich bis 1986 fort. In den Jahren 1991 und 2003, als der Westen unter der Führung der USA im Irak intervenierte, versuchte die Türkei ebenfalls die Region zu besetzen, wenn auch ohne Erfolg. Also begann die Türkei sich in Südkurdistan niederzulassen, um die eigene Präsenz in der Region zu sichern.

Türkische Militärbasen

Mit der Verhängung einer Flugverbotszone [durch die USA] über [Nord-] Irak begann der türkische Staat, nach einem umfassenden Angriff im Jahr 1992, 1994 mit dem Bau seiner Militärbasen in Südkurdistan. In Südkurdistan befinden sich offiziell 18 türkische Militärbasen und Einrichtungen des türkischen Geheimdienstes MIT.

Mit Erlaubnis der Regierung

Nach internationalem Recht darf ein Staat nicht ohne Erlaubnis der betreffenden Regierung mit Militär in ein fremdes Staatsgebiet einrücken. Damit wird deutlich, dass die Militärbasen des türkischen Staates mit der Erlaubnis der Kurdistan Regionalregierung eingerichtet worden sind. Als die Basis in Başika (Baschiqa) bei Mossul auf die Tagesordnung kam, erklärte die Regionalregierung, dass sich die türkischen Soldaten dort mit ihrem Wissen aufhalten.

Die erste Militärbasis wurde in Selehedîn errichtet

Nach Angaben der türkischen Presse hat der türkische Staat als erste Militärbasis 1994 in der etwa 25 Kilometer von Hewlêr (Erbil) entfernten Selehedîn-Gemeinde errichtet. Auf diesem Gebiet befinden sich Einheiten der türkischen Spezialkräfte.

Weiter Basen

Auf die Basis in Selehedîn folgten Einrichtungen in Hewlêr, Zaxo, Silêmanî, Duhok, Diyana, Batufa, Bamernê, Amêdiyê und Kanîmasî. Die in den letzten 23 Jahren in Südkurdistan eingerichteten türkischen Militärbasen befinden sich an folgenden Orten:

*Batufa – Militärbasis

*Kanîmasî (Girêbaruxê) – Militärbasis

*Bamernê – Logistik, Flughafen und Militärbasis

*Sinkê – Militärbasis

*Bêgova (Girê Biyê) – Militärbasis

*Geliyê Zaxo – Militärbasis

*Sîrê (Şêladizê) – Militärbasis

*Sîrê (Şîrtê) – Militärbasis

*Kupkê – Militärbasis

*Berwarî: Qimrê – Militärbasis

*Koxê Spî – Militärbasis

*Deriyê Dawetiya – Militärbasis

*Çiyayê Serzêrî – Militärbasis

*Meqlub-Berg – Militärbasis

*Başîqa (Nordwestlich von Mossul) – Militärbasis

In Südkurdistan befinden sich mindestens 5.000 türkische Soldaten

In diesen Zentren befinden sich in der Regel Spezialeinheiten des türkischen Militärs und Logistik wie Munition. In der Basis von Kanîmasî befinden sich neben Spezialeinheiten auch Bataillone mit Soldaten, in der Bamernê Basis ein Bataillon mit Panzern und schweren Waffen. Dort befindet sich auch ein Flughafen. Bilder von Panzern und Soldaten von dort erschienen schon häufig in der Presse. Es heißt, dass in Südkurdistan etwa 5.000 Soldaten stationiert seien.

Ausbildung für Peschmerga – Besuch von Davutoğlu

Nach Angaben türkischer Quellen haben türkische Soldaten in der Basis von Diyana PDK-Peschmergas ausgebildet. Im Jahr 2015 hatte der damalige türkische Ministerpräsident Davutoğlu die Basis besucht und die Ausbildung beobachtet.

Die Zentren des MIT

Neben Militärbasen befinden sich in Südkurdistan auch viele Einrichtungen des türkischen Geheimdienstes MIT. Nach Angaben regionaler Quellen befinden sich in Batûfa in Zaxo wie auch im Zentrum von Zaxo und Duhok MIT-Zentren.

Neue Basen und Unterstützung für den IS

Der Islamische Staat (IS) hatte im Jahr 2014 Mossul, Şengal und viele andere Orte besetzt und Massaker verübt. Der türkische Staat erkannte in der Anwesenheit des IS in der Region eine Gelegenheit und unternahm einen neuen Versuch, die Besetzung von Südkurdistan auszuweiten. Zu dieser Zeit wurde einerseits der IS unterstützt und andererseits Milizen unter dem Schlagwort „Militärische Ausbildung“ auf den Kampf vorbereitet. Während der IS in Şengal und Mossul Massaker verübte, passierte den im türkischen Konsulat in Mossul vom IS festgesetzten türkischen Diplomaten und Agenten rein gar nichts. Der IS übergab die Mitarbeiter des Konsulats später am Grenzübergang Akçakale der Türkei.

Als der IS die Region beherrschte brachte der Republikspräsident Erdoğan seine Träume von der Besetzung der Region zur Sprache. Den politischen Willen Südkurdistans missachtend sagte Erdoğan: „Wir haben auch Fehler gemacht bei der Schaffung des Systems im Süden. Wenn wir 2003 bei der Irak-Operation mitgemacht hätten, wäre so etwas nicht passiert. Dass wir nicht an der Operation teilnahmen wurde von den Kurden genutzt, um eine Föderation zu bilden.“ Als die Operationen auf Mossul und Şengal begannen sagte Erdoğan: „Wir werden am Boden wie am Verhandlungstisch sein, ohne uns wird nichts möglich sein.“

Die Basis von Başika

Im Rahmen seiner Besetzungspläne errichtete der türkische Staat im Jahr 2015 bei Mossul die Basis von Başika. Die von der Türkei etwa 100 Kilometer entfernte Basis befindet sich an einem strategisch bedeutsamen Punkt im Dreieck Kerkûk, Mossul und Hewlêr. In der Basis befinden sich nach Angaben des türkischen Staates 600 Soldaten, Panzer, Panzerfahrzeuge und große Mengen an Waffen. Im März 2018 wurden dort allerdings 3.500 weitere Soldaten stationiert.

Reaktionen auf die Militärbasen

2005 hatte sich das kurdische Regionalparlament in einer Sondersitzung mit den türkischen Militärbasen befasst und entschieden, dass sie geschlossen werden müssten. In der Entscheidung hieß es: „Die Existenz ausländischer Militärbasen in der Region ist inakzeptabel.“ Dennoch hat der türkische Staat seine Präsenz seitdem sogar massiv ausgeweitet.

Anfang 2018 fand eine Unterschriftenkampagne für die Schließung der Militärbasen und den Rückzug der Soldaten statt. Im Rahmen der Kampagne wurden 10.000 Unterschriften gesammelt und an die entsprechenden Institutionen weitergeleitet. Allerdings machen diese keine Anstalten, für einen Rückzug der türkischen Armee zu sorgen.

Es sollen neue Basen errichtet werden

Am 14. Dezember 2017 überschritt der türkische Staat die Grenze nach Südkurdistan bei Şemzînan (Şemdinli) in der Region Çolemêrg (Hakkâri). In den Regionen Geliyê Reş, Çiyayê Siro, Çiyayê Evdilkofi, Ava Hecibegê wurden Soldaten aus Helikoptern abgesetzt. Es fanden heftige Angriffe auf die Regionen Sîdekan, Lêlîkan und Bermizê statt. Nach regionalen Quellen hat der türkische Staat in der Region schwere Waffen stationiert und bereitet die Einrichtung neuer Militärbasen vor.

Nach einer Erklärung der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) haben die aktuellen Angriffe auf die Region eine neue Dimension, es gehe um die vollständige Besetzung des Gebiets.

Angriffe auf die Region und die Bevölkerung

Die in Südkurdistan stationierten militärischen Kräfte haben in Şengal, Kerkûk, Behdinan, Bradost und Soran viele Angriffe durchgeführt. Der türkische Staat hat bei diesen Angriffen viele Zivilist*innen ermordet und benutzte seine Milizen um Kerkûk anzugreifen.

In Teil 3 des Dossiers wird es um die Angriffe auf Kerkûk und Şengal und die dahinterstehenden Pläne gehen.