Die Kurden: Ein Interview mit Michael Meyen
„Ich habe beim Schreiben dieses Buches viel gelernt und bin solidarisch mit allen, die sich diesem Kampf verschrieben haben“, sagt Michael Meyen über sein Buch „Die Kurden“.
„Ich habe beim Schreiben dieses Buches viel gelernt und bin solidarisch mit allen, die sich diesem Kampf verschrieben haben“, sagt Michael Meyen über sein Buch „Die Kurden“.
Für die Tageszeitung Yeni Özgür Politika hat Luqman Guldivê ein Interview mit dem Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Michael Meyen über sein zusammen mit Kerem Schamberger geschriebenes Buch „Die Kurden“ geführt.
Die Kurden: Ein Volk zwischen Unterdrückung und Rebellion, hat zwar einen „sehr gewöhnlichen“ Titel, das Buch unterscheidet sich aber grundlegend von allen deutschsprachigen Büchern über die Kurden, und zwar durch die Erzählung im Buch. Wie ist die Idee entstanden, die Informationen über die Kurden und ihren Kampf und Unterdrückung die sie erlitten haben zu verfassen?
Der Anstoß kam von Markus Karsten, dem Verleger. Er war auf der Suche nach jemandem, der ihm ein Buch über das Thema schreibt. Motto: Ich höre immerzu davon, weiß aber zu wenig. Also: Lass uns doch ein Buch machen. Wenn man Menschen erreichen will, die nicht jede Woche zu Demonstrationen gehen, dann muss man über das schreiben, was jeden von uns am meisten interessiert: über andere Menschen. Man muss Geschichten erzählen. Wir haben deshalb Interviews geführt. Mit Kurdinnen, Türken, Deutschen. Mit Wissenschaftlerinnen, Politikern, Aktivistinnen. Was sie erlebt haben, was sie erlitten haben: Das trägt das Buch.
Darf ich fragen, warum das Vorwort des Buches mit einem Klischee wie „Die Kurden sind das größte staatenlose Volk der Welt“ beginnt?
Das hat auch wieder mit dem Publikum zu tun, das Verlag und Buch erreichen wollen. Wenn man Menschen erzählt, dass man gerade an einem Buch über die Kurdinnen arbeitet, dann kommt dieses Klischee immer zuerst.
Die Menschen, durch deren Geschichte „Die Kurden“ erzählt werden: Wie sind sie ausgewählt worden, wie wurde entschieden?
Die Frage war immer: Wer kann eine interessante Perspektive liefern? Wer kann etwas beitragen, was uns die kurdische Geschichte und die kurdische Freiheitsbewegung zu verstehen hilft?
Es kommen Kurdinnen und Kurden, aber auch Internationalisten aus Deutschland wie Reimer Heider, Axel Gehring und Peter Schaber sowie Akademiker wie Ismail Küpeli und andere in dem Buch zu Wort. Wie ist die Balance zwischen Selbsterzählung und Erzählung aus anderen Perspektiven berechnet?
Immer mit Blick auf die Leser. Im Prinzip ist das Buch wie eine große Reportage angelegt, wo es auch nötig ist, dass sich Beobachtungen und Geschichten mit Informationen und Fakten abwechseln.
Warum ist im Titel der Begriff Revolution vermieden, obwohl die Erzählung ihn sehr oft ausspricht in unterschiedlichen Kontexten?
Für den Titel können wir nichts. Der Titel kommt vom Verlag. Dort arbeitet man mit Vertretern zusammen, die die Bücher in die Läden bringen müssen und genau zu wissen glauben, was da funktioniert und was nicht. Revolution hätte es außerdem nicht ganz getroffen. Wir erzählen ja auch von der Geschichte der Kurdinnen und von ihrer Unterdrückung im Alltag, in der Türkei zum Beispiel oder im Irak.
Es ist dir und Kerem gelungen, Nordkurdistan (Türkei) und Rojava ziemlich detailliert nahe zu bringen, wobei Südkurdistan (Irak) und Ostkurdistan (Iran) eher kurz ausfallen. War dies eine bewusste Entscheidung, weil mehr Interesse bestand, oder hat es sich nur so ergeben?
Das Buch ist ja für ein deutsches Publikum gemacht. Wir wollten zeigen, was das Thema mit uns hier in Deutschland zu tun hat, mit deutscher Wirtschaftspolitik, mit Geostrategie, mit Rüstungsexporten. Da ist die Türkei zentral und der Irak mindestens wichtig. Man denke nur an die Operation Anfal oder die diplomatischen Beziehungen zur Regierung in Erbil (Hewlêr). Inzwischen wissen wir aber, dass das Buch unvollständig ist. Aus dem Iran haben wir nur ein paar Splitter. Falls es eine neue Auflage gibt, werden wir das ausbauen.
Eine Zwischenfrage dazu: Der Zusammenhang des politischen Projektes der kurdischen Freiheitsbewegung in Rojava und Bakûr (Nordkurdistan) scheint entscheidend zu sein, was wollten du und Kerem hauptsächlich vermitteln?
Wir wollten zeigen, dass das, was gerade in Rojava passiert, kein Zufall ist. Dass diese Revolution aufbaut auf einem Kampf, den die PKK seit 40 Jahren führt.
Unter „noch einmal Rojava“, Kerem Schamberger unterbricht die bis dahin eher erzählerische Form des Buches und berichtet. Was wollte er damit vermitteln, was durch die Form bis dahin hätte nicht vermittelt werden können?
Es ging in diesem Kapitel darum, noch einmal einen aktuellen und authentischen Blick auf Rojava zu werfen. Kerem hat im März und April viele Redaktionen vor Ort besucht und mit vielen Menschen gesprochen. Das sollte unbedingt im Buch sein. Bei unseren Lesungen merken wir, dass das die Leute tatsächlich am meisten interessiert.
Ich persönlich denke, dass Schreiben keine neutrale Tätigkeit ist, was haben Michael Meyen und Kerem Schamberger mit diesem Buch bezweckt, warum habt ihr beide das Buch geschrieben?
Wir wollten den Raum des Sagbaren erweitern. Wenn in Deutschland über die Kurdinnen gesprochen wird, dann sind sie entweder Täter oder Opfer. In der deutschen Öffentlichkeit geht es um Terrorismus-Vorwürfe, um Separatismus, um Unterdrückung durch den türkischen Staat, um den IS. Dass die kurdische Freiheitsbewegung eine Alternative für die ganze Region entwickelt hat und das in einem Teil von Syrien auch schon lebt: Das wird in aller Regel ausgeblendet.
Eine ganz persönliche Frage. Wie siehst du das politische Projekt der kurdischen Bewegung, stehst du neutral dazu?
Wenn man sich so lange mit diesem Thema beschäftigt, dann kann man nicht mehr neutral sein. Ich mag die Menschen, mit denen wir gesprochen haben und die wir jetzt auf unserer Lesetour sprechen. Ich mag die Ideen, die Abdullah Öcalan in seinen Büchern vertritt. Ich habe beim Schreiben dieses Buches viel gelernt, bin dafür dankbar und solidarisch mit allen, die sich diesem Kampf verschrieben haben.