Cemil Bayik: Efrîn wird niemals aufgegeben
Cemil Bayik (KCK) äußert sich zu der Rolle des türkischen Staates in Nordsyrien und insbesondere in Idlib.
Cemil Bayik (KCK) äußert sich zu der Rolle des türkischen Staates in Nordsyrien und insbesondere in Idlib.
Cemil Bayik, der Ko-Vorsitzende der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK), hat sich gegenüber ANF zu der Rolle der Türkei in Nordsyrien und insbesondere in Idlib geäußert:
Die Türkei hält im Moment Efrîn, Dscharablus, al-Bab, Mare und Azaz besetzt. In Idlib hat sie Einfluss. Eigentlich ist abgesehen von Minbic (Manbidsch) die gesamte Region westlich des Euphrat unter türkischer Besatzung. Dass dieses Gebiet von Milizionären kontrolliert wird, ist nicht richtig. Es steht unter türkischer Besatzung. Ohne die türkische Besatzung könnten die Milizen dort nicht unterkommen. Das ist der Ausgangspunkt. Sollte sich der türkische Staat zurückziehen, könnten sich auch die FSA und andere Kräfte dort nicht halten. Die Türkei wird sich jedoch nicht einfach zurückziehen. Im Moment installiert sie in den von ihr besetzten Gebieten ein eigenes Verwaltungssystem, das auch die Bereiche Kultur, Bildung und Gesundheit umfasst. An den Schulen wird Türkisch unterrichtet. So sieht es westlich des Euphrat aus. Die Türkei will diese Region für einen Handel über die künftige Ausrichtung Syriens benutzen. Inzwischen ist noch deutlicher geworden, dass die Türkei bei der Besatzung die Unterstützung der USA und Europas bekommt. Bekanntlich haben die USA zur Zeit der türkischen Invasion in Efrîn erklärt, dass sie die Region westlich des Euphrat nichts angeht. Damit haben sie begründet, dass sie nicht gegen die Besatzung von Efrîn vorgehen und die türkische Invasion nicht aufhalten. Jetzt wird deutlich, dass sie das Vorgehen in Efrîn nicht nur durch ihr Stillschweigen unterstützt haben, sondern die Besatzung durch die Türkei im eigenen Interesse betrachtet haben.
Momentan wollen Russland, Syrien und der Iran in Idlib intervenieren, die USA und Europa sprechen sich dagegen aus. Es würde zu einer menschlichen Tragödie kommen, sagen sie – als ob in Efrîn keine menschliche Tragödie stattgefunden hätte. In Efrîn handelt es sich nicht nur um eine Tragödie, sondern um einen Genozid. Kurden werden aus diesem Landstrich vertrieben, an ihrer Stelle werden andere Menschen angesiedelt. In Idlib gibt es diese Situation nicht, aber die USA und Europa haben der Türkei zum Thema Idlib-Politik Unterstützung geleistet. Sie betrachten es als in ihrem eigenen Interesse, dass die Türkei das Gebiet mit den Milizen zusammen besetzt, weil sie die Präsenz der Türkei und der Milizen als Verhandlungsmasse und Druckmittel in der Neuformierung Syriens benutzen. Das ist sehr offensichtlich. Die Besatzung von Efrîn hat Russland genehmigt, aber jetzt nutzt die Türkei die Gebiete von Efrîn über Idlib bis Dscharablus als militärisches und politisches Gebiet gegen die Politik Russlands und Syriens. Im Wesentlichen ist es nicht die Türkei, die sich gegen eine Intervention Russlands und Syriens in Idlib wendet, sondern es sind die USA und Europa. Diese Tatsache muss gesehen werden. Das heißt, dass die USA und Europa dort über die Türkei ihre Syrien-Politik führen wollen.
Inzwischen sind auch die Orte von der Türkei bedroht, an denen sich die aus Efrîn vertriebenen Menschen niedergelassen haben. Die Türkei will auch diese Gegenden besetzen. Eigentlich will sie über die Besatzung dieser Region die Kontrolle über Aleppo und ganz Syrien gewinnen. Russland und Syrien haben die türkische Besatzung von Dscharablus und al-Bab toleriert, damit im Gegenzug angeblich die Milizen aus Aleppo abgezogen werden. Sie haben auch die zunehmende Einflussnahme der Türkei in Idlib zugelassen und sogar zur Besatzung von Efrîn geschwiegen. Jetzt will die Türkei jedoch diese Politik zum Nachteil von Russland und Syrien anwenden. Daher sieht es so aus, dass der Kampf westlich des Euphrat weitergeht. Solange Efrîn besetzt ist, werden die Kurden zweifellos weiter für die Befreiung und gegen die türkisch-dschihadistische Besatzungsmacht kämpfen. Das liegt in der Natur der Sache. Die Kurden werden niemals hinnehmen, dass Efrîn als der schönste Ort in Rojava besetzt ist und unter der Besatzung ein Genozid stattfindet. Der türkische Staat will die Besatzung jedoch aufrechterhalten, deshalb wird die Konfrontation zwischen der Türkei und den Kurden dort anhalten. Auch al-Bab und Dscharablus sind besetzt, daher werden die Kurden gegen alle Kräfte kämpfen, die mit der Türkei gemeinsame Sache machen. Das erfordert der politische Kampf. Natürlich können die Kurden Beziehungen mit allen Kräften aufbauen, die gegen die türkisch-dschihadistische Besatzung sind. Bisher werden sie jedoch allein gelassen. Russland hat den Luftraum immer noch nicht für türkische Flugzeuge gesperrt.
Wir sehen deutlich, dass in Syrien ein gewaltiger Kampf um Idlib stattfinden wird. Für Russland und Syrien ist der Ist-Zustand unhaltbar. Die USA, Europa und die Türkei wollen die Situation jedoch beibehalten. Auf dieser Basis versuchen sie Druck auf das syrische Regime aufzubauen. Die Türkei stützt sich in der aktuellen Phase auf die USA. Das sehen auch Russland und Syrien. Sie sehen sich im Recht und kämpfen gegen diese Politik an. Wie dieser Kampf ausgehen wird, zeigen die ständig neuen Haltungen und Kriege, die sich nach den verändernden Kräftegleichgewichten richten. Russland will eine direkte Konfrontation mit den USA vermeiden, auch das ist eine Tatsache. Die Situation in Idlib lässt sich weder durch einen gewalttätigen Krieg noch über politische Verhandlungen einfach lösen. Daher geht der Kampf weiter. Die Entwicklungen müssen ständig verfolgt werden und die Kurden müssen dementsprechend ihre eigene Politik festlegen. Dabei muss der Kampf gegen die Besatzung unbedingt und ununterbrochen fortgesetzt werden. Freund und Feind muss deutlich gemacht werden, dass Efrîn niemals aufgegeben werden wird.