„Bilal etwas erklären …“

Verhaftungen, eine Anekdote, ihre weitreichenden Folgen und ihre globalen Auswirkungen. Was haben Bilal Erdoğan, Reza Zarrab und Mehmet Hakan Attila miteinander zu tun?

Die am 24. Februar 2014 im Internet anonym veröffentlichen Telefonmitschnitte brachten Gespräche, die am 17.12.2013 geführt worden sein sollen, an das Licht der Öffentlichkeit. In diesen Mitschnitten wurde Bilal Erdoğan von seinem Vater Recep Tayyip Erdoğan mehrfach und mit Nachdruck angewiesen, Millionenbeträge sicherheitshalber aus dem Haus zu schaffen. Es war nicht klar, ob die ermittelnden Behörden und drohenden Hausdurchsuchungen gestoppt werden könnten. Sie konnten gestoppt werden.

Bald darauf wurde auch in internationalen Medien berichtet, dass „Bilal etwas erklären“ Eingang in den populären Sprachgebrauch der Türkei gefunden hatte. Das Video mit den Mitschnitten wurde tausendfach in den sozialen Medien angeklickt und Bilals Begriffsstutzigkeit kommentiert. Ein User schrieb sogar, der Grund, warum Recep Tayyip Erdoğan allen rate drei Kinder zu haben – obwohl er selbst vier hat – sei Bilal.

Ein lukratives Geschäft

Der Anfang der Ereignisse die zu dieser Anekdote führen liegt Jahre zurück. Um den Iran daran zu hindern sein Atomprogramm auszuweiten, wurden die Sanktionen gegen den Iran durch die UN und die USA auf Betreiben der US-Regierungen 2010 weiter verschärft. Dadurch konnte der Iran nur geringe Mengen an Öl und Gas verkaufen und die Erlöse der in US-Dollar gehandelten Rohstoffe nur zum Kauf bestimmter, von den Sanktionen ausgenommener, Waren nutzen. Goldgeschäfte waren bis zum August 2013 von den Sanktionen ausgenommen. In den Jahren 2012 bis 2013 ergaben Ermittlungen der türkischen Behörden, dass umfangreiche Umgehungsgeschäfte unter Zuhilfenahme der Halkbank und anderer türkischer Banken sowie mit der Hilfe von Goldhändlern durchgeführt wurden. Dabei wurde an türkische Firmen Öl und Gas aus dem Iran geliefert, dieses in US-Dollar bezahlt und auf Konten, die iranische Banken bei türkischen Staatsbanken unterhielten, gezahlt. Dann wurde unter Zuhilfenahme der Goldhändler dieses Geld in Gold getauscht, welches teilweise in den Iran verbracht oder auch in Katar verkauft wurde, um mit dem dort erwirtschafteten Geld Waren zu kaufen. Es wurden umfangreiche Bestechungsgelder, unter anderem an drei türkische Minister, gezahlt. Wirtschaftsminister Mehmet Zafer Çağlayan erhielt circa 50 Millionen Euro, sieben Millionen Dollar und 2,4 Millionen Lira, auch der Innenminister Muammer Güler und der damalige Umweltminister Erdoğan Bayraktar wurden bezahlt. Die türkischen Behörden nahmen im Zuge der Ermittlungen ab dem 17. Dezember 2013 unter anderem die drei Söhne der Minister, den Geschäftsführer der Halkbank Süleyman Aslan und weitere Personen aus dem engsten AKP-Umfeld fest. In der Türkei wurden im Dezember 2013 im Zuge der Ermittlungen 84 Personen festgenommen. Die drei Minister traten am 25. Dezember zurück und am selben Tag wurde eine Kabinettsumbildung bekanntgegeben. Insgesamt 10 Ministerposten wurden neu vergeben. Der Polizeichef von Istanbul wurde seines Amtes enthoben, ebenso 500 teils ranghohe Polizisten. Ein Staatsanwalt deutete an, er sei systematisch in seinen Ermittlungen behindert worden. Die Anklagen sind später durch Gerichte abgewiesen worden. Reza Zarrab wurde auch an diesem 17. Dezember verhaftet und kurze Zeit darauf wieder freigelassen. Reza Zarrab ist iranischer und türkischer Staatsbürger. An der 2010 gegründeten Firma Royal Holding war er gemeinsam mit seinem Bruder Mohammed Zarrab als Goldhändler beteiligt. Die Goldgeschäfte hatten einen ungefähren Umfang von 13 Milliarden Dollar, davon sollen ca. 15 Prozent an Provisionen und Schmiergeldern an Politiker und Sicherheitskräfte im Iran, der Türkei und den Vereinigten Arabischen Emiraten geflossen sein.

Bei Einreise in die USA verhaftet

Ein neuer Akt eröffnete sich, als am 19. März 2016 einer der Akteure, Reza Zarrab, bei der Einreise in die USA verhaftet wurde. Ihm wird vorgeworfen, mit anderen und mit Wissen der türkischen Staatsführung konspiriert zu haben, um das US-Embargo gegen den Iran zu umgehen, sowie Geldwäsche und Bankbetrug begangen zu haben. Schon Reza Zarrabs Vater, Hossein Zarrab, ein enger Freund von Mahmud Ahmadinedschad, ehemaliger Präsident des Irans, wurde vom US-Schatzamt zu Zahlungen in Höhe von 9,1 Millionen US-Dollar wegen Verletzung von US-Sanktionen den Iran betreffend, verurteilt. Im Laufe der Ermittlungen kam eine Spende Reza Zarrabs an eine von Emine Erdoğans Stiftungen ans Licht. Es wurde auch von Recep Tayyip Erdoğan versucht Einfluss zu nehmen, trotz seiner gegenteiligen Aussage, dass dieser Prozess nicht Sache der Türkei sei. Er und einige Minister versuchten Druck auf die amerikanischen Behörden auszuüben, um die Anklageerhebung zu verhindern. Recep Tayyip Erdoğan versuchte, den Vizepräsidenten Joe Biden am 21. September 2016 zur Freilassung von Reza Zarrab zu bewegen. Sogar Emine Erdoğan versuchte, dasselbe bei der Frau von Joe Biden, Jill Tracy Biden. Am 30.03.2017 wurde dann der stellvertretende Chef der Halkbank, Mehmet Hakan Attila, ebenfalls bei der Einreise in die USA verhaftet. Der Vorwurf lautete ebenfalls Konspiration zur Umgehung der US-Embargos gegen den Iran und anderer Vergehen. Kurz vor Prozesseröffnung gegen Mehmet Hakan Attila meldete NBC News am 16. November 2017, dass Zarrab nun mit den amerikanischen Strafverfolgungsbehörden kooperiere.

Einen Tag nach seiner Aussage vor dem New Yorker Bezirksgericht wurde bekannt, dass die türkische Staatsanwaltschaft seine Firmen und allen Besitz von ihm und seiner Familie und Verwandten beschlagnahmt und 17 Menschen aus seinem Umfeld in Haft genommen hatte. In den folgenden Tagen sagte auch der türkische ehemalige Polizist Hussein Korkmaz aus. Er war schon in die Festnahmen und Ermittlungen in Istanbul in 2013 involviert und berichtete aus diesen Ermittlungen. Die Verteidiger des Mehmet Hakan Attila versuchten, den Zeugen als Gülen-Anhänger zu diskreditieren und durch weitere Einsprüche das Gericht von der Unglaubwürdigkeit des Zeugen zu überzeugen, was nicht gelang. Die Einlassungen beider Zeugen konnten den Ablauf und das System, welches entworfen wurde, um die Embargos zu umgehen, klarer machen. Die Öl- und Gaslieferungen an die Türkei wurden in Dollar auf die Konten der NIOC (National Iranian Oil company) bei der Halkbank und anderen Staatlichen Banken gebucht und unter Zuhilfenahme von Goldhändlern und anderen Banken in Gold umgewandelt. Goldtransfers und Finanztransaktionen wurden als Lebensmittellieferungen verschleiert, diese sind von den Embargos ausgenommen, das Gold unter Beteiligung der Goldmärkte in Dubai und Katar veräußert. Am Ende dieses mehrstufigen Systems wurde mit Hilfe von Finanzdienstleistern das Geld dem Iran ausgezahlt.

Die Strafbarkeit in den USA ergibt sich für die beteiligten Banken und Finanzdienstleister durch das Unterhalten von Außenstellen und des Abwickelns von Zahlungen in US-Dollar. Der Iran war das erste Land, dessen Banken vom internationalen Datenverkehr und SWIFT abgeschnitten und blockiert wurden. Daraufhin brach der iranische Außenhandel ein. Dies wurde in den Jahren 2012 bis 2016 als flankierende Maßnahme der EU zur Durchsetzung des US- und UN-Embargo gegen den Iran durchgeführt. Das bedeutete, dass internationale Zahlungen nur noch über in der Türkei registrierte Banken möglich waren.

SWIFT, Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication, eine Genossenschaft im Besitz von Banken und dem europäischen Recht unterworfen, stellt weltweit sichere Kommunikationswege für Nachrichten und Transaktionsverkehr für zehntausend Banken, Brokerhäusern und Börsen bereit. In 2017 wurden täglich 26,71 Millionen Nachrichten und in 2013 ein tägliches Geldvolumen von rund 7,5 Billionen Euro übertragen. Somit ein machtvolles Instrument in den Händen der Notenbanken der USA, Belgiens, Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens; Italiens, Japans, Kanadas, der Niederlanden und Schwedens, das seit dem 11 September 2001 vertrauliche Finanztransaktionsdaten an US-Behörden weitergab. Edward Snowdens Dokumente deckten auf, dass US-Geheimdienste das SWIFT-Netzwerk auf mehreren Ebenen heimlich abschöpften. SWIFT spielt daher eine zentrale Rolle bei Fragen von Sanktionen und Embargos. Des Öfteren wurden sie aufgefordert, internationale Zahlungen z. B. mit Russland oder Israel zu sperren.

Die Türkei, die sich als neue gestaltende Kraft und Macht im Nahen und Mittleren Osten sieht, und ihre Träume von einem Großosmanischen Reich unter Recep Tayyip Erdoğan noch ausweiten wird, hat eine lange Tradition bei der Verknüpfung von parteipolitischen Interessen mit dem militärisch-industriellen Komplex. Alle Politiker der AKP fügen sich nahtlos in das System von Korruption und Selbstbedienung, welches die Türkei seit ihrem Bestehen beherrscht, befeuert durch die grenzenlose Gier der kapitalistischen Moderne der restlichen Welt.