Die Parole „Bijî Serok Apo” hat eine lange Geschichte. Übersetzt lautet sie: „Es lebe der Vorsitzende Apo.“ „Apo“ ist dabei nicht, wie immer wieder fälschlich behauptet wird, das kurdische Wort für Onkel, sondern bezieht sich auf die Kurzform des Namens „Abdullah“ für Abdullah Öcalan. Doch welchen Hintergrund hat diese insbesondere in Deutschland immer wieder kriminalisierte Parole? Die Geschichte geht zurück ins Jahr 1984, als sich eine Handvoll Guerillakämpfer*innen auf die erste Offensive in Dih (türk. Eruh) und Şemzînan (Şemdinli) vorbereitete. In dieser Zeit vor dem 15. August, dem Beginn des bewaffneten Kampfes, sammelten sich in Europa über 1000 Menschen, um mit dem ersten „Langen Marsch“ für den kurdischen Freiheitskampf einzutreten.
Der erste „Lange Marsch“
Am 24. April 1984 wurde der Plan vorgestellt, von Hannover und Hanau aus in zwei Zügen in die damalige Bundeshauptstadt Bonn zu ziehen und das Leid und den Widerstand des kurdischen Volkes der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Der Zug von Hannover sollte 418 Kilometer laufen, der von Hanau 280 Kilometer. Unter den Aktivistinnen und Aktivisten befand sich Binevş Agal, die später zum Symbol der Serhildan [Aufstände] zu Beginn der 90er Jahre in Cizîra Botan (Cizre) werden sollte. Auch der Gründer der Zeitung Özgür Politika, Enver Polat, und andere für den kurdischen Freiheitskampf prägende Personen nahmen an dem Marsch teil. Die damals kleine PKK-Basis wollte unter anderem an den durch ein Komplott in Südkurdistan ermordeten PKK-Führungskader Mehmet Karasungur und seinen Genossen Ibrahim Bilgin erinnern. Am 10. Mai 1984 trafen die Demonstrationszüge in Bonn ein. Am folgenden Tag nahmen über 500 Menschen an einer gemeinsamen Kundgebung teil.
Am nächsten Tag, dem 11. Mai 1984, fand ein Solidaritätskonzert für die seit 16 Tagen ununterbrochen laufenden Aktivist*innen in Köln statt. Dort traten die sehr beliebten kurdischen Musiker*innen Hozan Mizgin, Hozan Sefkan, Serdar und Hozan Zozan auf. Der kurdische Kulturverein HUNERKOM hatte dafür einen Saal in der Kölner Universität angemietet. In den ersten Reihen saßen die Teilnehmenden des Marsches und der Saal füllte sich schnell. In einem Artikel der Zeitschrift Serxwebûn aus dem Jahr 1984 heißt es: „Die Menschen, die an der Feier mit den revolutionären Liedern von Mizgîn, Sefkan, Serdar, Zozan, Çiya und Koma Berxwedan und verschiedenen Folkloregruppen teilnahmen, beklatschten minutenlang den Widerstand und seine Anführer. Durch den Saal hallten die Parolen ‚Es lebe die PKK‘ und ‚Es lebe unser Vorsitzender Öcalan‘. Es herrschte eine heiße Aufbruchsstimmung und die Menschen begrüßten die Dimension, die unser nationaler Freiheitskampf im Land und außerhalb erreicht hat.“
Damit war die Parole „Bijî Serokê me Apo“ geboren. Sie sollte die Verbundenheit zur Freiheitsideologie der PKK und ihrem Vorsitzenden ausdrücken. Einige der Musiker*innen, die damals aufgetreten waren ‒ Hozan Mizgîn, Hozan Sefkan und Hozan Çiya – fielen in den folgenden Jahren als Guerillakämpfer*innen. Einer der Künstler war Seyidxan. Er erzählt, wie es zu der Parole kam: „In einem leidenschaftlichen Moment brachten die Mitglieder von HUNERKOM ein in Ölfarbe gemaltes Bild des Vorsitzenden auf die Bühne. Es gab Menschen zu dieser Zeit, die sein Bild noch nie gesehen hatten. Die Menschen jubelten. Einer der Freunde neben Bühne rief: ‚Bijî Serokê me Apo‘. Die Menschenmenge griff die Parole auf, erhob sich und rief minutenlang den Slogan.“
Mehmet Demir, der verantwortlich für den Marsch von Hannover nach Bonn war, sagt ebenfalls, dass er die Parole in dieser Nacht zum ersten Mal gehört habe. Er erzählt: „Bis dahin rief eine Handvoll PKK-Anhänger ‚Bijî PKK‘. Sie benutzten die Namen aus dem Gefängniswiderstand von Amed und riefen: ‚Mazlum, Kemal, Hayri, vorwärts mit dem Volkskrieg‘. Anschließend kam die Parole ‚Bijî Serokê me Apo‘ auf, die auf ‚Bijî Serok Apo‘ verkürzt wurde.“
Was sagte Öcalan zu der Parole?
Die Parole verbreitete sich zum Ende der 80er Jahre hin in ganz Europa, in allen vier Teilen Kurdistans und in den Metropolen der Türkei. Mit dem rapiden Wachstum der PKK-Unterstützung war sie in aller Munde. In den 90er Jahren begannen dann die Volksaufstände, die Serhildan, in den Städten. Im März 1990 erhoben sich die Menschen in Nisêbîn (Nusaybin), Cizîra Botan und Amed (Diyarbakır). Ausländische Journalisten, die Öcalan damals in der Mahsum-Korkmaz-Akademie besuchten, fragten den PKK-Vorsitzenden, was die Parole bedeute und wie sie aufgekommen sei. Öcalan antwortete: „Ich weiß nicht, wann sie aufgekommen ist. In der Bevölkerung fehlte es an Führung. Wenn man den Wünschen der Menschen entsprechend arbeitet, ihre Bedürfnisse beantwortet, dann kommt so eine Sache wie Serok Apo heraus. Wann und von wem damit angefangen wurde, weiß ich nicht. Aber es ist wahr, dass das kurdische Volk eine Führung nicht so leicht akzeptiert. Es ist das Volk, das am wenigsten eine Führung anzuerkennen bereit ist. Denn es hat viel Verrat erfahren. Daher hat es uns jahrelang beobachtet und bewertet Als die Menschen sahen, dass unter unserer Verantwortung ein unerschütterlicher, radikaler Kampf gegen ihren Feind geführt wird und wir und nicht einschüchtern oder besiegen lassen, haben Millionen flutartig eine Verbundenheit mit uns entwickelt.“
Bijî Serok Apo: Heute eine internationale Parole
Während in den 90er Jahren und insbesondere in den ersten zehn Jahren des neuen Jahrtausends die Parole bei Linken in Deutschland immer als Beispiel für „Führerkult“ kritisiert wurde, änderte sich das Bild allmählich mit Bekanntwerden der Ideologie und der Praxis des Apoismus. Der demokratische Konföderalismus und seine praktische Umsetzung zunächst in den Kommunalverwaltungen in Nordkurdistan und dann in großem Stil in Rojava entwickelte eine Strahlkraft, welche die radikaldemokratische Ideologie Öcalans zu einem von vielen mitgetragenen gesellschaftlichen Projekt machten. Heute setzen viele Menschen auf allen Kontinenten ihre Hoffnung in die Werte des Apoismus und Konföderalismus. So steht die Parole mittlerweile auch für viele Linke in Deutschland für Frauenbefreiung, Ökologie und radikale Demokratie und wird auf den verschiedensten Demonstrationen trotz Kriminalisierungsversuchen gerufen.