Cemil Bayık, Ko-Vorsitzender des Exekutivrats der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans), warnt vor einem „sehr gefährlichen Plan gegenüber dem Vorsitzenden Apo, der PKK und dem kurdischen Volk“. Im Gespräch mit der Journalistin Esra Mikyaz betont das einstige Gründungsmitglied der Arbeiterpartei Kurdistans PKK die Notwendigkeit, diesen Plänen mit einem entschlossenen Widerstand entgegenzuwirken, um eine wichtige Entwicklung zu durchlaufen.
Im Jahr 2013 wurde durch den damaligen Ministerpräsidenten und heutiges Staatsoberhaupt Erdoğan der sogenannte „Rat der Weisen“ mit der Aufgabe betreut, bei der Bevölkerung für die Friedensverhandlungen im Rahmen des türkisch-kurdischen Konfliktes mit der PKK Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. Einst ein Projekt, das der PKK-Gründer Abdullah Öcalan initiierte, hielt der „Rat der Weisen“, der sich aus türkischen und kurdischen Führungspersönlichkeiten zusammensetzte, landesweit Bürger*innenforen ab, und baute bei über 300 Treffen mit mehr als 60.000 Menschen viele Vorurteile ab. Spätestens mit dem Abbruch der Friedensgespräche im Sommer 2015 verschwand der „Rat der Weisen“ von der Bildoberfläche.
Das alte Spiel wird neu aufgelegt
Mehr als fünf Jahre später trafen sich nun Ende November in der norwegischen Hauptstadt Oslo ehemalige Kommissionsmitglieder und diskutierten bei dem Treffen den an Erdogan gescheiterten Friedensprozess. Prompt verbreitete sich in der Türkei das Gerücht eines neuen „Lösungsprozesses“. Nach Ansicht von Cemil Bayık seien diese Behauptungen Teil der türkischen Spezialkriegspropaganda. Er betont, dass eine ähnliche Propaganda auch im Jahr 1999 während des internationalen Komplotts verbreitet wurde. Bayık sagt dazu: „Das Komplott gegen Apo sollte angeblich zur Lösung der kurdischen Frage dienen. Die damals unter der Hand verbreitete Propaganda lautete: ‚Wenn das Komplott erfolgreich verläuft und Apo ausgeschaltet wird, dann geschehe das, um die kurdische Frage zu lösen.‘ Apo sei ein Hindernis, die PKK sei ein Hindernis und man wolle diese Hindernisse beseitigen, um die kurdische Frage zu lösen. Mit dieser Propaganda wurde bezweckt, die Mittelschicht an sich zu ziehen, um somit das Komplott umzusetzen und den kurdischen Freiheitskampf zu vernichten. Jetzt findet das gleiche Spiel statt.
Die kapitalistische Moderne lässt sie angreifen
Das System der kapitalistischen Moderne sieht im Vorsitzenden Apo und der PKK ein großes Hindernis, sieht sie als Gefahr. Öcalan und die PKK beantworten das Streben der Völker nach Freiheit und Demokratie und schlagen als Alternative ein demokratisches, konföderales System vor. Die Türkei setzt mit der Unterstützung durch das System einen grenzenlosen Angriff auf den Vorsitzenden Apo, die PKK und das kurdische Volk um und tritt dabei ihre eigene Verfassung, Gesetze und alle internationalen Konventionen mit Füßen.“
Die PKK wächst wie ein Schneeball
Diese Angriffe würden den kurdischen Freiheitskampf stärken, sagt Bayık und begründet diese Annahme mit den Worten: „Denn der Geist des Vorsitzenden Apo ist der Geist der Freiheit. Die PKK und das kurdische Volk sind mit diesem Geist ausgestattet. Es ist nicht möglich, diesen Geist zu stoppen, ihn unter Kontrolle zu bringen oder ihn auszuschalten. Das sind müßige Anstrengungen. Die PKK wächst wie ein Schneeball, denn sie akzeptiert nichts als die Freiheit“.
Niemand sollte sich täuschen lassen
Bayık weiter: „Das Duo Erdoğan-Bahceli wird gegen den Vorsitzenden Apo und die PKK die schlimmsten Grausamkeiten verüben, die Kurd*innen so schwer wie nie zuvor angreifen, aber weiterhin von der ‚Lösung der kurdischen Frage‘ sprechen. Niemand sollte dem noch glauben schenken. Es geht einzig und allein darum, die Kurd*innen auszulaugen, sie mit Erwartungen zu täuschen, sie zu betrügen und insbesondere die Mittelklasse mit hineinzuziehen, um ihre Unterstützung für ihr Vorhaben zu bekommen. Aus diesem Grund wird diese Propaganda betrieben. Es handelt sich um eine Taktik der psychologischen Kriegsführung, um eine Taktik der kapitalistischen Moderne. Es gibt nichts Schlimmeres, als dem Gehör zu schenken. Das bedeutet nichts anderes als sich selbst dem Tod hinzugeben. Es gibt keine andere Methode als den Kampf, um die kurdische Frage zu lösen.
Sie verschwenden keinen Gedanken an so etwas wie eine Lösung
Auf Betreiben des Vorsitzenden Apo haben die PKK und das kurdische Volk acht oder neun einseitige Waffenstillstände erklärt, teilweise unter den schwierigsten Bedingungen. Hätte der faschistische türkische Staat die Absicht zu einer Lösung gehabt, so hätte er das zu diesem Zeitpunkt getan. Sie haben nicht das geringste Interesse an einer Lösung. Es geht einzig und allein um Täuschung. Der türkische Staat erkennt so etwas wie die kurdische Frage gar nicht an, und verschwendet keinen Gedanken an so etwas wie eine Lösung.
Erwartungen wecken, um den Todesstoß auszuteilen
Behauptungen, wonach ein neuer Friedensprozess eingeleitet wird, werden allein aus dem Grund verbreitet, die Weltöffentlichkeit, die Völker in der Türkei, die demokratischen Kräfte und insbesondere die Kurd*innen zu betrügen. Damit sollen die Bewegung und das kurdische Volk in eine Erwartungshaltung versetzt werden, um im nächsten Augenblick von hinten den Todesstoß zu versetzen. Es gibt einen sehr gefährlichen Plan gegen den Vorsitzenden Apo, die PKK und das kurdische Volk. Vielleicht ist der Staat heute schwächer als damals. Die Lage der Bewegung und ihrer Freund*innen ist im Vergleich umso stärker. Nicht alle Kräfte, die damals am Komplott teilnahmen, sind heute dabei. Wenn man entschlossenen Widerstand leistet, dann ist es möglich dieses Komplott zu zerreißen und daraus mit einem großen Entwicklungsschritt hervorzugehen. Sich auf die Spezialkriegspropaganda des Staates einzulassen bedeutet wirklich, sich sein eigenes Grab zu schaufeln.“
Wenn es einen Lösungswillen gegeben hätte…
Der Ko-Vorsitzende des Exekutivrats fragt: „Wenn es die Absicht zu einer Lösung der kurdischen Frage gegeben hätte, hätte die USA dann diese Entscheidung getroffen [Fahndung nach PKK-Führungskadern]? Wäre die Entscheidung der südkurdischen Regierung dann so gefällt worden und hätte man die YNK sie auf diese Weise umsetzen lassen [Es geht um die Schließung der Büros von Tevgera Azadî]? Hätte der Europäische Gerichtshof eine solche Entscheidung zum Vorsitzenden Apo treffen können [Zurückweisung der Klage wegen Isolationshaft], wäre eine solche Praxis gegen die Guerilla und gegen das kurdische Volk möglich gewesen?“ und erklärt: „Wenn sie es lösen wollten, dann würden sie es gemeinsam mit der Führung tun und die Repression gegen den Vorsitzenden aufheben. Sie würden sich mit der Führung für eine Lösung treffen. Sie würden die ganze Repression und die Verbote gegen die Kurd*innen aufheben, die Menschen aus den von ihnen gefüllten Gefängnissen freilassen. Vielleicht könnten es die Kurd*innen dann glauben. Dem, was jetzt geschieht, kann kein Kurde Glauben schenken. Dem Volk ist klar, dass all dies auf den Tod der Kurden ausgerichtet ist. Wir als Bewegung sehen das auch so. Niemand darf sich davon täuschen lassen, im Gegenteil. Demgegenüber kann die Steigerung des Kampfes der Gefahr einen Riegel vorschieben. Ohne Widerstand kann diesen Gefahren nicht begegnet werden. Die gesamte Geschichte des Kampfes der PKK und des kurdischen Volkes zeigen dies deutlich.“
Die Entscheidungen des EGMR sind politisch
Zu den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Abdullah Öcalan und Selahattin Demirtaş sagt Bayık, diese seien nicht unabhängig von der Politik der EU und des Europarats, da beide Institutionen die kurdische Bewegung als Gefahr ansehen: „Diese Kräfte versuchen, die kurdische Bewegung mit Hilfe der Türkei zu vernichten. Um dieses Vorhaben umzusetzen, müssen sie die Kurd*innen ebenfalls betrügen. Sie sagen, ‚Schaut, wir sind gegen Apo und die PKK aber nicht gegen die Kurd*innen, wir stehen an der Seite der Demokratie und der Freiheit. Schaut, wir fällen eine solche Entscheidung über Selahattin Demirtaş und zeigen damit, dass wir die Fortsetzung einer demokratischen Politik wollen. Apo und die PKK stellen dafür Hindernisse dar, die beseitigt werden müssen‘. Auf diese Weise versuchen sie die Kurd*innen zu betrügen.
Wenn sie wirklich eine demokratische Politik wollten und Freunde der demokratischen und freiheitlichen Kräfte wären, die die kurdische Frage lösen wollten, dann wäre es nicht möglich gewesen, gegen den Vorsitzenden Apo eine solch grausame, gewissenlose und unmoralische Entscheidung zu treffen. Sie versuchen zwischen guten und bösen Kurden zu spalten. Man muss dies als eine Spielart der Kolonialpolitik begreifen. Es geht darum, die Kurd*innen zu betrügen, zu spalten und zu verkaufen. Das weiß das kurdische Volk mittlerweile. Mit dem Kampf der PKK überlegt, hinterfragt und untersucht das kurdische Volk, wem was nutzt und was für es selbst gefährlich wird. Man sollte die Kurd*innen nicht wie früher sehen. Sie sind nun anders.“