In einem Interview mit dem kurdischen Fernsehsender Stêrk TV hat sich Dr. Bahoz Erdal, einer der Kommandanten des zentralen Hauptquartiers der Volksverteidigungskräfte (Hêzên Parastina Gel, HPG), zur türkischen Besatzungsoperation in Südkurdistan und zum Mord an dem türkischen Geheimdienstler Osman Köse in einem Restaurant in Hewlêr in der vergangenen Woche geäußert. Erdal erklärte, die PKK lege großen Wert auf Frieden und das Allgemeinwohl in Südkurdistan und fügte hinzu, dass nicht die PKK die Seite sei, die den Frieden bricht. Die Guerilla kämpfe in Nordkurdistan, der türkische Staat aber habe den Krieg auf Südkurdistan ausgeweitet. „Die Zukunft und der Frieden Kurdistans hängen von einem kurdischen Bündnis ab. Wir fordern alle kurdischen Organisationen auf, sich auf der Grundlage der nationalen Einheit zusammenzuschließen”, so Erdal.
Die Angriffe des türkischen Staates auf die Xakurke-Region halten seit mittlerweile zwei Monaten an. Warum Xakurke? Was bezweckt der türkische Staat mit diesen Angriffen?
Es gibt drei Gründe, die Gebiete hier anzugreifen. Zunächst geht es um den Iran. Sie wollen über die iranische Grenze in das südkurdische Territorium eindringen. Die PKK-Guerilla in Xakurke, Xinere und an der Grenze soll vertrieben werden, um gewisse US-amerikanische Gruppen anzusiedeln. Das Ziel dahinter ist, das Embargo gegen den Iran zu verschärfen. Das ist der eine Grund, warum der türkische Staat weiterhin darauf besteht, anzugreifen, obwohl er schwere Verluste erleidet.
Der zweite Grund ist, dass der imperialistische türkische Staat die kurdischen Gebiete kolonisieren möchte. Auch wenn es nur ein Fußbreit ist und ganz gleich, ob in Rojava oder Südkurdistan, sobald sich die Gelegenheit dazu bietet, eifert der türkische Staat seinen Annexionsabsichten nach. Die Angriffe auf Südkurdistan sollten als Teil eines Gesamtkonzepts verstanden werden, das die Kolonialisierung dieser Region verfolgt. Der dritte Grund ist die PKK. Es geht darum, die kurdische Befreiungsbewegung zu schwächen, schließlich ist die PKK die effektivste Kraft in ganz Kurdistan. Daher sollten die Angriffe in Xakurke im Kontext der regionalen Entwicklungen betrachtet werden. Als Freiheitskämpfer*innen der PKK und Kurdistans reagieren wir auf diese Angriffe, indem wir Widerstand leisten.
War Osman Köse Diplomat oder MIT-Verantwortlicher?
In der letzten Zeit kam es in Hewlêr zu einigen Zwischenfällen. Eine Person namens Osman Köse wurde getötet, türkische Regierungsverantwortliche behaupten, er sei Diplomat gewesen. Eine Erklärung von der PKK wird von allen Seiten mit Spannung erwartet. Was möchten Sie dazu sagen?
Eine umgehende Erklärung unsererseits hat es nicht gegebenen, da wir uns ein Bild über die Fakten machen wollten. Deshalb haben wir eigene Ermittlungen durchgeführt und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich bei der getöteten Person nicht um einen Diplomaten, sondern um den Südkurdistanverantwortlichen des türkischen Geheimdienst MIT handelt. Mit anderen Worten, er war verantwortlich für die Organisation des MIT, die sich gegen unsere Bewegung richtet. Eine Abteilung innerhalb des MIT befasst sich ausschließlich mit Aktivitäten, die es auf unsere Leitung abgesehen hat. Dazu gehört die Planung von Angriffen und Anschlägen. Der Getötete war Verantwortlicher der MIT-Abteilung in Südkurdistan, die Attentate gegen Vorstandsmitglieder unserer Bewegung plant. Er war derjenige, der diese Aktivitäten koordinierte.
‚Mord an Diyar Xerib von dieser Person geplant‘
Die Person Osman Köse ist auch verantwortlich für den Mord an Diyar Xerib (Helmet) und zwei weiteren Freunden, die bei dem Angriff gefallen sind. Nachdem der Mord geplant und nachrichtendienstliche Information weitergeleitet wurden, erfolgte der Angriff an dem Ort, wo sich unsere Freunde aufhielten. Viele andere Angriffe in Südkurdistan wurden ebenfalls von dieser Person koordiniert. Zu diesen Ergebnissen sind wir gekommen.
Ein zweiter wichtiger Punkt ist der, dass der türkische Staat in den ersten Tagen nach dem Vorfall die Identität des Getöteten verheimlichte. Erst viel später fiel der Name Osman Köse, trotzdem behielt die Regierung einige Informationen für sich. An der Beerdigung nahmen schließlich fast alle Minister und hochrangige Staatsbeamte teil, darunter auch der Leiter des MIT (Hakan Fidan). Allein aufgrund solch einer Beisetzungszeremonie ist klar, dass es sich nicht um einen gewöhnlichen Diplomaten handelte. Man wollte ihn als Diplomaten lancieren, um die Wahrheit zu vertuschen.
‚Wir gratulieren zu dieser gelungenen Aktion‘
Nach unseren Ermittlungsergebnissen handelt es sich bei dem Vorfall in Hewlêr um eine Aktion von ein paar kurdischen Patrioten. Es scheint, als hätte hier eine Gruppe junger Menschen gehandelt, die sich mit Leib und Seele unserer Bewegung verschrieben hat. Unsere Guerillaaktionen sind eindeutig professioneller. Als eines der Beispiele ist die Sakine-Cansiz-Operation zu nennen, bei der es sich um einen Guerilla-Spezialeinsatz gegen hochrangige MIT-Funktionäre handelte. Die Aktion in Hewlêr verlief allerdings etwas laienhaft. Dennoch ist es eine gelungene und erfolgreiche Aktion, zu der wir gratulieren. Schließlich haben die Aktivisten einen der blutsaugenden MIT-Verantwortlichen bestraft. Sie haben den Mörder von Helmet getötet, der gleichzeitig die Verantwortung vieler weiterer Verbrechen am kurdischen Volk trägt. Diese Aktion verdient Anerkennung. Wir gratulieren der patriotischen Jugend zu ihrer Aktion.
Nach diesem Angriff hat es einige Erklärungen der südkurdischen Regierung gegeben. Wie bewerten Sie diese Aussagen?
Die südkurdische Regierung hat eine Vielzahl von Erklärungen in Bezug auf den getöteten MIT-Verantwortlichen abgegeben. Sie nannte die Aktion eine terroristische Handlung. Die getötete Person war ein Mörder der Kurden. Die türkische Botschaft in Hewlêr gleicht regelrecht einem Hauptquartier für Angriffe auf die Freiheitsguerilla Kurdistans. Wir als Bewegung und als Volk hätten von der Regierung eine Beileidsbekundung für Diyar Xerib erwartet. Nicht nur für Diyar Xerib, sondern auch für die zivilen Opfer in Südkurdistan, die bei Angriffen des türkischen Staates ums Leben gekommen sind. Es wäre das Mindeste gewesen, für die getöteten Zivilisten eine entsprechende Haltung einzunehmen und wenigstens eine Erklärung abzugeben. Doch leider hat die Regierung geschwiegen. Stattdessen bricht fast schon die Hölle los, weil ein Kurdenmörder des MIT getötet wurde. Das ist nicht die richtige Haltung, es ist sogar eine große Schande. Der Getötete ist der Mörder Dutzender Kurdinnen und Kurden, wozu das ganze Theater? Wozu diese protürkische Haltung? Diesen Vorfall als Vorwand zu nehmen, eine große Angriffswelle zu starten, ist ebenfalls nicht angemessen. In Hewlêr sind fast alle Bürgerinnen und Bürger aus Nordkurdistan festgenommen worden. Das Camp Mexmûr ist faktisch im Belagerungszustand. Jede Person, die von Mexmûr nach Hewlêr fährt, wird verhaftet. Das ist falsch. Was wollt Ihr von der Bevölkerung in Mexmûr? Es sind schutzsuchende Menschen. Menschen, die vor dem Terror und der Unterdrückung des türkischen Staates geflüchtet sind. Als würde dies nicht genügen, werden diese Menschen nun auch von Euch angegriffen. Was haben sie mit diesen Ereignissen zu tun? Nichts. Die Administration in Südkurdistan sollte einen klaren Kopf behalten und eine prokurdische Haltung einnehmen. Die Erwartungen unserer Bevölkerung tendieren in diese Richtung. Die Statements der Regionalregierung sind unannehmbar.
Einige Kreise meinen, mit der Aktion gegen den MIT-Verantwortlichen hätte man es auf das Allgemeinwohl Südkurdistans abgesehen. Was sagen Sie dazu?
Mit solchen Aussagen will man uns an den Pranger stellen, um Angriffe des türkischen Staates auf südkurdisches Territorium zu legitimieren. Sie wollen die PKK als Ursache dieser Angriffe darstellen. Das ist nicht richtig. Die PKK ist nicht die Ursache für diese Angriffe. Die PKK ist auch nicht der Grund für mögliche Gefahren und Unruhen in Südkurdistan. Der türkische Staat gefährdet die Stabilität in ganz Kurdistan und ist verantwortlich für die Verschlechterung des Allgemeinwohls. Oder bedeutet Allgemeinwohl und Sicherheit, dass die türkische Botschaft in Hewlêr als ein Kriegshauptquartier wirkt, Dutzende türkische Militärbasen in Südkurdistan betrieben werden, wodurch Südkurdistan fast schon den Status einer Kolonie der Türkei erreicht hat, täglich türkische Kriegsflugzeuge über südkurdischen Städten kreisen, Berge und Dörfer bombardieren und unsere Zivilbevölkerung töten? All das trübt das Wohlbefinden Südkurdistans nicht, aber die Existenz der Guerilla sowie die Tatsache, dass die Guerilla unser Volk und unsere Heimat verteidigt, tut dies? Das ist doch Blödsinn und hat nicht im Entferntesten etwas von Gewissen, Wahrheit und Patriotismus.
‚Was auch immer für Opfer von uns abverlangt wurden, haben wir sie erbracht‘
Wir hingegen haben unzählige Male erklärt, dass wir das Allgemeinwohl, den Frieden und die Verteidigung Südkurdistans als unsere Pflicht ansehen. Als Freiheitsguerilla Kurdistans haben wir unsere Verpflichtungen erfüllt. Was auch immer für Opfer von uns abverlangt wurden, haben wir sie erbracht. Es gibt Dutzende Beispiele. Fakt ist doch, dass wir imperialistischen Angriffen gegenüberstehen. Diejenigen, die uns immer wieder Schuld zuweisen, sollten zur Abwechslung mal den türkischen Kolonialismus beschuldigen. Trifft den türkischen Aggressor, der täglich die Natur Kurdistans angreift, alles dem Erdboden gleichmacht, Zivilist*innen massakriert, Brüder und Schwestern in einem anderen Teil Kurdistans angreift denn gar keine Schuld? Jetzt werden einige sagen, dass die Errungenschaften Südkurdistans die Erfolge aller Kurd*innen sind und daher von uns allen verteidigt werden müssen. Das ist wahr und so sehen wir das auch als Bewegung. Die Menschen in Südkurdistan haben diese Errungenschaften unter großen Opfern und einem hohen Preis erzielt. Die Bevölkerung Nordkurdistans stand ihnen stets zur Seite und hat einen großen Beitrag geleistet. Die Menschen in Rojava und Rojhilat trugen ebenfalls maßgeblich zu den Errungenschaften Südkurdistans bei. Es stimmt, dass alle kurdischen Bewegungen Unterstützung geleistet haben und die Gewinne nationale Errungenschaften sind.
Morgen: „Die Zukunft Kurdistans hängt vom kurdischen Bündnis ab.“