Ein „Rotes Königreich“ – Sächsische Schweiz als sozialistische Hochburg
Wenn es in der Öffentlichkeit um Neonazikonzerte, Waffenfunde, die Freien Sachsen oder Reichsbürger geht, finden sich schnell viele Namen von Städten und Dörfern in der Sächsischen Schweiz. Die Geschichte der Region, als eine Geschichte des aktiven Widerstands gegen den Faschismus kennen hingegen nicht mehr viele. Doch war die Sächsische Schweiz bereits in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts eine linke Hochburg, Teil des mit Stolz als „Rotes Königreich“ bezeichneten Sachsen. In jedem Ort gab es Vereine wie die Rote Hilfe oder Rot-Front-Bünde, die aktiven politischen Organisationen reichten von der Naturfreunde-Bewegung, der KPD, SPD, LO/IKD (trotzkistische Linke Opposition / Internationale Kommunisten Deutschlands), bis zur SAP (Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands) und SDAJ (Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend). Dabei waren die Kommunist:innen nicht nur in den Industriestädten wie Pirna und Heidenau, sondern auch in den Dörfern stark. Selbst in den Wahlen am 8. März 1933 konnte die KPD noch tausende Menschen hinter sich vereinen und nicht in wenigen Dörfern und Landkreisen, damals als Amtshauptmannschaften bezeichnet, die Mehrheit gewinnen.
Bergsportliche Vereine hatten großen Zulauf in der Region. In dieser magischen Landschaft, voll zerklüfteten Sandsteingebirgen aus der Kreidezeit und vielen seltenen Tier- und Pflanzenarten, lockte es viele Menschen in die und auf die Hügel hinauf, um auf die mächtige Elbe hinunterzublicken. Auch war der Stein ein Ernährer der Region. Den Steinbrüchen und Steinbrechern hat der 1932 gestorbene Maler Robert Sterl, Sohn eines Steinmetzes, in seinen Gemälden ein Denkmal gesetzt.
Illustrationen von Robert Sterl von 1893: „Steinbrecher“ © Robert-Sterl-Haus
Die Naturfreunde in Sachsen hatten in den 20er Jahren an die 10.000 Mitglieder und allein in der Sächsischen Schweiz 28 Vereinshäuser. Kleinere Klettervereine organisierten sich ab Mitte der 20er Jahre innerhalb der Naturfreunde in der Vereinigten Kletterabteilung (VKA), die auf 500 bis 600 Mitglieder kam, um ihre Interessen, das Bezwingen schwieriger Gipfel und die sprichwörtliche Bergkameradschaft wie den politischen Kampf gegen alles Reaktionäre und besonders gegen die heraufziehende Gefahr der faschistischen Diktatur, besser vertreten zu können. Und während Frauen in den meisten Bergsportgruppen nicht aufgenommen wurden, waren sie in der VKA Mitglied. Eine dieser war die für ihre Kletterkunst gerühmte Jüdin Ilse Fischmann.
Konflikte zwischen Kommunist:innen und Sozialdemokratie
Die zunehmenden politischen Differenzen zwischen der deutschen Sozialdemokratie und der kommunistischen Bewegung hinterließen ihre Spuren auch in Bergsport begeisterten Kreisen in der Sächsischen Schweiz. Als die VKA mit Erich Glaser einen KPDler zum Vorsitzenden wählte, kam es zum Konflikt innerhalb der SPD-nahen Naturfreunde. Viele Naturfreunde wollten Glaser als Vorsitzenden nicht akzeptieren, doch hielten Genoss:innen der VKA den kritischen Stimmen zu recht entgegen: „Er wurde demokratisch gewählt“. Trotzdem kam es zum Bruch: die VKA wurde aus den Naturfreunden ausgeschlossen, und bildete daraufhin 1930 die „Naturfreunde-Opposition“. Aus dieser sollte später ein Großteil der in der Region am Widerstand beteiligten Personen hervorgehen.
Dieser Bruch zwischen der Sozialdemokratie und den kommunistischen Parteien und Organisationen prägte nicht nur die Zeit vor dem II. Weltkrieg, sondern hatte fatale Folgen im Moment der Machtübernahme des Hitler-Faschismus. Wolfgang Benz schrieb: „Auf den Machtantritt Hitlers reagierten die politischen und gesellschaftlichen Lager seiner Gegner unterschiedlich. Vorbereitet auf den Systembruch, aber untereinander verfeindet, war nur die Linke. Die Arbeiterbewegung, seit dem ersten Weltkrieg zerfallen in das radikale kommunistische und das legalistische sozialdemokratische Lager und mehrere Zwischengruppen, blieb in Opposition zur Hitlerbewegung und beharrte auf den ideologischen Positionen der untergehenden Weimarer Republik.“ ¹ So gingen diese zwar über die Zeit des Hitler-Faschismus nicht verloren, und es konnte, gerade von Kommunist:innen der KPD, für den Aufbau der DDR daran angeknüpft werden, doch hatte das Beharren auf ihren ideologischen Positionen und unterschiedlichen Strategien zu Uneinigkeit im Kampf gegen den Faschismus geführt und deshalb das Auftreten mit gemeinsamer Kraft verhindert – mit den schlimmsten Konsequenzen.
Doch die ideologischen Differenzen zwischen SPD und KPD traten im täglichen Leben der Bergsportler:innen nicht selten auch in den Hintergrund. Auf den gemeinsamen Touren zählte das persönliche Vertrauen, die Freund:innenschaft und der sportliche Wettbewerb. Das Credo war die gemeinsame „Seilschaft“. Es finden sich viele Geschichten der gegenseitigen Solidarität und Hilfe, nicht nur zwischen den politischen Lagern, sondern auch gegenüber jüdischen Sportler:innen, deren Betätigung in Sportvereinen ab 1933 gänzlich verboten wurde. So hielten SPD-Sportler:innen zu Ilse Fischmann, nahmen sie mit auf ihre Bergtouren, besorgten ihr Jacken ohne den gelben „Judenstern“. Ilse überlebte das Vernichtungslager Auschwitz und verstarb 2009 in Dresden.
Bereit für den bewaffneten Widerstand
Bereits in den Nachkriegsjahren des I. Weltkriegs hatten Sozialist:innen und Arbeiter:innen begonnen sich zu bewaffnen und eigene Waffendepots anzulegen. Nicht selten entwendeten sie Waffen aus den Beständen der Reichswehr und entwaffneten Bürgerwehre oder Freikorps. Auch in der Sächsischen Schweiz hatten Beschlagnahmung und Entwendung von Waffen stattgefunden, die dann in den Händen der Sozialist:innen, unter anderem zur Verteidigung gegen den Kapp-Putsch am 13. März 1920, zum Einsatz kommen konnten.² Mit einem entscheidenden Hinweis des Eisenbahners und Kommunisten Martin Hering gelang es im Jahre 1920 am Bahnhof Obervogelgesang einen Zug mit Waffenlieferung an die Ukraine, mit denen die deutsche Regierung immer noch kämpfende Freikorps unterstützen wollte, erfolgreich zu stoppen und die Waffen an sich zu bringen. So wurde sich auch in Struppen weiter bewaffnet, eines der Waffendepots der KPD lag nur wenige Kilometer außerhalb der kleinen Ortschaft.
Bereits 1930 hatten verschiedenste linke Arbeiter:innenorganisationen damit begonnen, ihre Mitglieder im Gebrauch von Waffen auszubilden. Gegen erneute Putschversuche oder auch die mögliche Wahl der NSDAP wollten sie gewappnet sein. Viele waren in der Nacht der Reichstagswahl 1933 fest von einem Befehl zum Aufstand ausgegangen und hatten ihre Bemühungen und das Aufstocken ihrer Ausrüstung intensiviert. Doch die Befehle blieben aus und so wurden viele Waffendepots über die Jahre gefunden oder von Mitgliedern der Organisationen aus Sicherheitsgründen vernichtet.
Das Lager in Struppen konnte im Mai 1933 trotz vorausgegangenem Verrat an die SS von Mitgliedern der KPD gesichert und in die Tschechoslowakei gebracht werden. Über die Nacht, in der das Waffendepot verlegt wurde, berichtete die Kommunistin Elisabeth Hartmann: „Mai 1933, es ist morgens gegen drei Uhr, da klopft es energisch an das Schlafstubenfenster des Genossen Holubek. Er wohnt auf der Hohen Straße der Struppener Siedlung. Draußen steht eine Gruppe emigrierter Genossen, die Einlaß begehren. Leise verschwinden sie im Haus. Schnell wird das Küchenfenster verhangen, denn gegenüber wohnt ein strammer SA-Mann. Die Hausfrau kocht Kaffee und tischt ihren unerwarteten Gästen auf. Sie haben noch einen weiten Weg mit den aus dem Versteck geholten Waffen zurückzulegen: Die Verwegenen schleppen 2 Maschinengewehre, einige Karabiner, Revolver, Munition und Sprengstoff aus dem Versteck am Pilz im Struppenbachtal. Der Weg führt sie über Langenhennersdorf in die CSR. Im Volkshaus Tisa schienen die Waffen vorerst in Sicherheit. Die Genossen Arno Hering, Arthur Thiermann, Alfred Vater, Walter Stephan, Willy Pilz, Gerhard Hartmann, Alfred Förster, Herbert und Erich Storch hatten unter Einsatz ihres Lebens diese Aktion durchgeführt. Die Faschisten suchten noch monatelang nach diesen Waffen, ohne zu ahnen, daß ihnen die klassenbewußten Arbeiter aus der Amtshauptmannschaft Pirna ein Schnippchen geschlagen hatten.“ ³
Elisabeth Hartmann, die mit ihrem Mann Gerhard Hartmann vor 1933 schon jahrelang für die KPD aktiv war, wurde am 9. März 1933 im KZ Struppen inhaftiert, konnte von dort aber fliehen und auch ihrem Genossen Arthur Thiermann zur Flucht verhelfen. Nach Ende des II. Weltkrieges lebte das Ehepaar Hartmann bis ins hohe Alter in Struppen. Bislang ungeklärt bleibt die Frage, warum Elisabeth Hartmann 1954 der Ausweis als Verfolgte des Naziregimes entzogen werden sollte, und ob dies mit der späteren Tätigkeit als Kapo ihres Mannes im KZ Mauthausen zusammenhing.
Die Burg Hohnstein: Gefängnis, Jugendheim, Konzentrationslager und Museum
Ein Ort, an dem sich die Geschichte des Aufbruchs der Weimarer Republik, der sich entwickelnden Jugendbewegung, die Suche nach neuen Konzepten freier Pädagogik und des Faschismus im Aufmarsch deutlich widerspiegelte, ist die Burg Hohnstein. Als Burg auf dem Hohen Stein im 12. Jahrhundert errichtet, wurde sie ab dem 16. Jahrhundert immer wieder als Gefängnis benutzt. In den 20er Jahren wurde der Widerstand der Bewohner:innen gegen ein Gefängnis inmitten der Stadt so lautstark, dass nach einer anderen Nutzung dafür gesucht wurde. Der linke Pfarrer Konrad Hahnewald gewann mit seinem Vorschlag, daraus ein Jugendheim zu machen. Zur Einweihung kamen 4000 Menschen, und die Beliebtheit blieb. Ferienlager, Kurse, Lehrgänge und Tagungen, internationale Jugendtreffen mit Gästen aus Griechenland und Frankreich, der bengalische Künstler und Sozialreformer Rabindranath Tagore kam auf Besuch, Jugendverbände von Parteien konnten Sitzungen dort abhalten. Die Jugendburg stand ganz in der Aufbruchsstimmung der Weimarer Republik, und förderte neue Pädagogikkonzepte, die die Kasperlfamilie „Die Hohnsteiner“ aus der Wandervogelbewegung mit ihrem Puppentheater gleich umzusetzen versuchte.
Nach der Machtergreifung 1933 stand die SA vor den Toren der Burg und forderte Einlass. Doch Konrad Hahnewald verwehrte dies mit dem Ausspruch: „Ihr seid keine Jugendlichen“. Daraufhin wurde das Jugendheim gestürmt und Hahnewald wurde als erstes in der nun in ein KZ umgewandelten Burg inhaftiert. Heute ist die Burg Ferienstätte und Urlaubsziel, und das Alternative Kultur- und Bildungszentrum, kurz AkuBiz in Pirna sammelt Spenden für die Einrichtung eines Museums ⁴ über die Geschichte der Burg im Nationalsozialismus.
Unter großem Einsatz: Der Kontakt zu den inhaftierten Genoss:innen halten
Viele Genoss:innen wurden bereits 1933 inhaftiert und es wurde nach Möglichkeiten gesucht, sie in den KZs und Gefängnissen zu besuchen und zu versorgen. Eine Frauengruppe der Bergsteiger:innen um Helene Kirsch, von ihren Freund:innen liebevoll „Lenel“ genannt, tat dies, getarnt als Verwandte, engagiert. In seinen Erinnerungen berichtet der im KZ Hohnstein inhaftierte Erich Langer: „Die Verbindung nach draußen erhielten wir bald, und zwar gab unsere Frauengruppe den Anstoß. Ich erhielt einen Brief von Lenel K., den sie mir als meine Braut schrieb […]. Sie bat mich, um einen Besuch für sie nachzusuchen. Ich tat dies, und sie kam mit Hans Dankner. Ich war so erschrocken darüber, daß er dorthinkam, wo er doch illegal lebte und noch dazu Jude war. Aber Lenel verstand es, mit dem SA-Posten zu sprechen, und ich konnte mich ganz gut mit Hans unterhalten.“ ⁵
Viele der kommunistischen Widerstandskämpfer:innen starben im KZ Hohnstein, eines der drei in Sachsen errichteten Konzentrationslager. Einige der vielen Namen, die wir nicht vergessen wollen, sind Martin Hering, der im Jahre 1933 im KZ Hohnstein zu Tode gefoltert wurde, der ungarisch-deutsche Antifaschist Emerich Ambros, ermordet 1933 im KZ Hohnstein, der SPD-Politiker und Widerstandskämpfer Eugen Fritsch, 1933 im KZ Hohnstein ermordet, der Pfarrer Rudolf Stempel, der an den Folgen der 1934 erlittenen Folter im KZ Hohnstein starb.
Flucht in die Tschechoslowakei und der Beginn illegaler Grenzarbeiten
In den ersten Monaten des Hitler-Faschismus 1933 emigrierten an die 4.000 Antifaschist:innen aus der Region, viele davon in die nahegelegene Tschechoslowakei. Das bereits bekannte Terrain, ein offenes Asylrecht, sprachliche Verständigungsmöglichkeiten durch die Sudetendeutschen in der Region und die klare Haltung der Regierung gegen mögliche Grenzübertritte von offensichtlichen Mitgliedern der Nationalsozialisten, machte die Tschechoslowakei zu einem wichtigen Ort für verfolgte Sozialist:innen. Zunächst waren die Emigrant:innen staatlich, gemeinschaftlich und organisatorisch weitestgehend auf sich selbst gestellt. Doch rasch wurden die ersten Strukturen, vor allem von der KPD und LO/IKD, geschaffen. Es wurde ein „Grenzsekretariat“ eingerichtet, über das Menschen kurzzeitig Unterschlupf auf der Flucht erhalten konnten. Auf tschechoslowakischer Seite war die Solidarität groß und „Patronate“ wurde von vielen Privatadressen übernommen. Mit der Zeit entwickelte sich ein Netz an Grenzposten entlang der deutschen Grenze, die die Zentren der illegalen Grenzarbeiten bildeten. Einer dieser Posten war das „Volkshaus Tissa“, welches von Elisabeth Morche, Mutter von sechs widerständigen Söhnen, betrieben wurde. Es diente als Unterkunft und Versammlungsort für Antifaschist:innen, als Waffendepot und Lager für Literatur.
Verbunden waren diese Posten in der Tschechoslowakei mit verschiedenen Orten und Strukturen auf deutscher Seite. Einer dieser war die Gaststätte „Kleiner Bärenstein“ mitten im Elbsandsteingebirge. Immer wieder versorgte der Wirt, Franz Roßberg, SPD-Mitglied, politische Funktionäre, die mit Verhaftung rechnen mussten, und Genoss:innen auf ihrem Weg nach Prag. Auch seine Söhne, Walter Roßberg und Max Frödke, kümmerten sich um Transporte von illegalen Materialien. Bei dem Versuch diese illegalen Aktivitäten an der Grenze zu unterbinden, durchsuchte die SA Bergsteigersturm aus der SA Führerschule Struppen im März 1933 gleich zweimal die Gaststätte. Drei Genossen wurden verhaftet, doch das angebliche Waffenlager konnte nicht gefunden werden. Trotz der Festnahme der Sozialisten konnte sich Franz Roßberg beide Male herausreden: „Seine Fremdenzimmer stünden jedem offen“.
Erinnerung am „Kleiner Bärenstein“ an den Wirt und Antifaschisten Franz Roßberg
Zu den Aufgaben der Grenzarbeit gehörte, Personen aus dem Deutschen Reich herauszuschmuggeln und Literatur nach Deutschland zu schaffen. In kleinen Gruppen von vier bis fünf Personen wurde der Schmuggel über die Wander- und Kletterwege organisiert. So konnten in einer Tour zwischen 2000 bis 4000 Exemplare von verbotenen Zeitschriften ins Deutsche Reich gebracht werden. Die Materialien wurden zum Teil als Urlaubsmagazine oder Pflanzenbücher getarnt. Immer wieder mussten dabei neue Wege gesucht und genutzt werden. Nachdem die Erfahrung gemacht wurde, mit großen, gleich gefüllten Rucksäcken als Wanderer auf geheimen Wegen sehr auffällig zu sein, wurde sich zumeist für die gängigen Wanderrouten entschieden, in denen es sich einfacher in der Menschenmenge untertauchen ließ.
Die Grenzarbeiten waren besonders aktiv in der Zeit zwischen 1933 und 1935. Helene Kirsch, mit zwölf Jahren bereits in der Arbeiter:innensport-Bewegung und ab 1932 Mitglied der VKA, Naturfreunde-Opposition und spätere KPD-Funktionärin, berichtete aus ihren Erinnerungen: „Dreieinhalb Jahre passierte ich in regelmäßigen Abständen von sechs bzw. sieben Wochen die Grenze und hatte nie besondere Schwierigkeiten. Meistens trug ich Sportbekleidung und Rucksack und machte das harmloseste Gesicht von der Welt. Ich überschritt die Grenze an den verschiedensten Orten und hatte das Glück, daß mein Rucksack nicht ein einziges Mal untersucht wurde. Ich hatte insbesondere die Aufgabe, ‚Treffs‘ zu vermitteln und Informationen zu überbringen.“ ⁶
Das Material, das in der Sächsischen Schweiz durch verschlungene Wege seine Verbreitung ins Deutsche Reich fand, wurde von dort in ganz Thüringen, bis nach Berlin und Magdeburg gebracht. Eine der oft vergessenen vielen Hände, die dafür Sorge trugen, dass die Zeitschriften, Flugblätter und politischen Analysen weiter verteilt werden konnten, gehörten zur Sportlerin Lotte Protze (Charlotte Protzek), die mit in einem Koffer transportierten Materialien die KPD-Strukturen in Thüringen versorgte. Nachdem diese enttarnt wurden, wurde auch sie am Erfurter Bahnhof verhaftet. Weitere Beteiligte an dem illegalen Materialtransport verriet sie nicht. Wie ihr Leben nach der Verhaftung weiterging, bleibt eine der Geschichten, die noch erforscht werden wollen. Doch ist die Geschichte von Lotte eine der vielen, die kein Parteimitglied waren und dennoch zuverlässig und opferbereit ihren Beitrag zum Widerstand gegen den Faschismus leisteten.
Gedenkpostkarte an Walter Richter, Max Niklas und Arthur Tiermann
Einen herben Schlag erfuhr die Grenzarbeit im Jahre 1935. Am 4. Juli wurden die entschlossenen Antifaschisten Walter Richter, Max Niklas und Arthur Tiermann in einen Hinterhalt gelockt und erschossen. Der Verräter war Gerhard Berthold, ein Jungkommunist, der, um eigener Strafe zu entgehen, bereits Jahre vorher begonnen hatte, der Gestapo zuzuarbeiten. Nachdem ein Foto der Gedenkveranstaltung für die gefallenen Genossen der Gestapo in die Hände fiel, folgten weitere Verhaftungen. Ein Nachdruck einer Gedenkpostkarte für die Ermordeten erinnert noch heute an ihre Geschichte.
Im Buch „Rote Bergsteiger“ schreibt Joachim Schindler, der seit 55 Jahren zum Thema forscht, über den Widerstand in der Sächsischen Schweiz: „Widerstand gegen das Regime waren in den seltensten Fällen spektakuläre Aktionen. Im Gegenteil! Die sechs bekannten Schießereien im Grenzgebiet gefährdeten die Arbeiten auf Monate im genannten Grenzgebiet. Opposition und Mut bewies auch, wer nicht mit dem geforderten „Deutschen Gruß“ grüßte. Widerstand war auch, sich den zahllosen Geldsammlungen zu verweigern, Kriegsgefangenen ein Stück Brot zuzustecken, Zwangsarbeiter menschlich zu behandeln, ausländische Rundfunksender abzuhören, was während des Krieges als Verbrechen geahndet wurde. So hatte der Widerstand vielfältige Formen und Gesichter, und reichte im weitesten Sinne von Verweigerung und Opposition gegenüber dem absoluten Herrschaftsanspruch der Nationalsozialisten bis hin zum aktiven Widerstand, zum bewussten Handeln, das darauf zielte, das Regime zu schwächen und zu seinem Ende beizutragen.“
Cover des Buches „Rote Bergsteiger“ von Joachim Schindler
Die Zukunft entsteht aus der Vergangenheit
Nach der Befreiung vom Hitler-Faschismus 1945 bauten Überlebende wie Elisabeth Morche, Helene Kirsch, Konrad Hahnewald und Arno Hering, Sohn von Martin Hering die DDR mit auf. In der Gedenkkultur der DDR wurde vor allem Trotzkist:innen wie aus der LO/IKD jede Anerkennung ihrer Leistungen im Widerstand und jedes Gedenken verweigert. Seit der Annexion der DDR durch die BRD wurden viele Gedenkorte, Gedenktafeln und -steine abgebaut oder von rechten Strukturen demoliert bis zerstört.
Im Wechsel von Bergen und Schluchten, Höhlen und Ebenen, Verengungen und Gipfelflächen erfahren wir die Geschichte wie das Elbsandsteingebirge selbst. Seit 2002 gehen Aktivist:innen um das Alternative Kultur- und Bildungszentrum in Pirna diesen Spuren nach und geben ihre Erkenntnisse weiter. Wenn wir heute Wissen um die Erfahrungen, Erfolge und Fehler der Vergangenheit sammeln, machen wir uns wieder auf den Weg, an die Versuche des Aufbaus einer freien Gesellschaft anzuknüpfen. Aus der Geschichte der Gesellschaften, des Widerstands, ihrer Persönlichkeiten hat sich die Gegenwart geformt und aus ihr wird die Zukunft gestaltet werden. Wir tanken auf dieser Reise Kraft von der Unerschrockenheit und Unerschütterlichkeit derer, die vor uns gekämpft haben, die wir als unsere politischen Ahn:innen verstehen können und deren Erbe wir antreten wollen.
Die Geschichte der Roten Bergsteiger:innen lehrt uns die Wichtigkeit der politischen Einheit im Kampf gegen Faschismus, die Notwendigkeit von Selbstverteidigung und die Schönheit von Selbstertüchtigung. Sie zeigt uns Wege auf, wie die Gesellschaft von Unterdrückung und Ausbeutung befreit werden kann. Sie lehrt uns die Freude am Leben und Kampf, die Verbundenheit zu den Genoss:innen und zur Natur. Sie fordert uns auf, niemals den Mut zu verlieren und am Glauben festzuhalten, dass wir im Kampf um die Zukunft die Wünsche und Träume derer erfüllen, die mit so viel Mut und Entschlossenheit, Zweifeln und Sorgen alles gegeben haben für ein würdevolles Leben für alle Nachkommenden.
Die Wanderung
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1 Systembruch- Kontinuität-Widerstand, Prof. Dr. Wolfgang Benz 2021, Wissenschaftliche Zeitschrift des Studienkreises Deutscher Widerstand 1933-1945
2 SED, Kreisleitung Pirna, Kommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung, Ehrenmale, Gedenkstätten, Erinnerungsstätten und Mahnstätten der Arbeiterbewegung und des antifaschistischen Widerstandskampfes im Kreis Pirna, 2. überarbeitete Auflage, 1984 gefunden auf geschichte-pirna.de am 03.01.12, a: Seite 62-62. f
3 https://www.gedenkplaetze.info/aktionen-lager-treffpunkte-gedenkzeichen/aussichtspunkt-pilz-ehemaliges-waffendepot-der-kpd
4 https://www.betterplace.org/de/projects/47282
5 https://www.gedenkplaetze.info/biografien/helene-kirsch
6 Kirsch, Helene: Dreieinhalb Jahre hielt ich Verbindung über die Grenze. In: Krüger, Ernst/Glondajewski, Gertrud: Schon damals kämpften wir gemeinsam. Berlin 1961
Über die Initiative Geschichte & Widerstand: https://wasistdiekommune.noblogs.org/initiative-geschichte-und-widerstand/