Assimilation und Raub: Türkische Schulen in Südkurdistan

An den türkischen Schulen in der Autonomieregion Kurdistan werden ganze Generationen ihrer Muttersprache, Kultur und Vergangenheit beraubt.

Nachdem sich die Bevölkerung Südkurdistans 1991 zum Aufstand erhob und das irakische Baath-Regime vertrieb, wurde im Rahmen der Operation „Provide Comfort” eine spezielle Truppe der Alliierten des Golfkrieges beauftragt, die gegenwärtigen Grenzen der autonomen Region zu bestimmen. Im selben Jahr wurde in Washington das Parlament der kurdischen Autonomieregion ausgerufen. Unmittelbar nach dieser Ankündigung starteten die Peschmerga der südkurdischen Parteien gemeinsam mit der Türkei Angriffe auf die kurdische Befreiungsbewegung. Dieser Prozess eröffnete in vielerlei Hinsicht de facto die Besatzung Südkurdistans. Eine der wesentlichen Methoden war die Umsetzung der Assimilierungspolitik mittels Bildung, um ganzen Generationen in Südkurdistan türkischen Patriotismus einzuflößen. Damit wurde bezweckt, unter dem Namen der Bildungsleistungen Millionen von Dollar zu erwirtschaften.

Den Anfang machten die Işık-Schulen

Als erste türkische Schule in Südkurdistan wurde im Jahr 1992 in Silêmanî das Işık College eröffnet, ein Projekt des „Hodscha Efendi“ Fethullah Gülen, einst geistiger Vater und Weggefährte von Recep Tayyip Erdoğan und seiner AKP, heute Staatsfeind Nummer Eins. Bis 1995 wurden eine ganze Reihe dieser Schulen in Südkurdistan gegründet.

Fezalar-Gruppe schaltet sich zu

Dem Abenteuer türkischer Schulen in Südkurdistan, das mit den Işık-Schulen begann, schaltete sich drei Jahre später die Fezalar-Gruppe zu, um Assimilation, Ausbeutung und Besatzung weiter zu vertiefen. Innerhalb von acht Jahren hatte sich das türkische Bildungssystem so rasant schnell verbreitet, dass fast keine Stadt verschont geblieben war. Mehr als 70 Kinderspielplätze, Kindergärten, Grund- und Mittelschulen, Gymnasien, Hochschulen und Colleges wurden eröffnet, darunter auch die Işık-Universität.

Als 2016 infolge des Putschszenarios ein Machtkampf zwischen der AKP, Erdogan und Gülen tobte, veröffentlichte das Bildungsministerium der Autonomieregierung die Anzahl von Schülern und Studenten an türkischen Schulen in Südkurdistan. Insgesamt hatten in diesem Jahr 31.500 von ihnen „Bildung“ an diesen Schulen erhalten.

Wirtschaftliche Beute

Die Jahresgebühr für ein Schuljahr betrug damals pro Kopf 3600 Dollar. Bei 31.500 Schülern bedeutet das eine Summe von 113,4 Millionen Dollar! Darüber hinaus fielen für jeden Schüler rund 1.000 Dollar Kosten für Beförderung, Verpflegung, Ausflüge und eine Pauschale für Klassenfahrten an.

Hinzu kommen Bildungsleistungen, die von der Autonomieregierung bereitgestellt werden. In einem Zeitraum von 24 Jahren flossen so rund zwei Milliarden Dollar an türkische Schulen in Südkurdistan. Das Budget, für das der südkurdische Steuerzahler aufkommt, liegt deutlich über dem Betrag, der zur Abdeckung des Bedarfs der Gesamtbevölkerung an Obst und Gemüse nötig ist. Obwohl die Autonomieregion ein Agrarland ist, importiert sie für jährlich etwa 70 Millionen Dollar Obst und Gemüse.

Gülen-Schulen an türkische Maarif-Stiftung übergeben

Nach dem gescheiterten Putsch wurden die Schulen der Organisation um den Prediger Fethullah Gülen von Erdogan und seinem Team in Beschlag genommen. Seit 2016 werden sie von der türkischen Maarif-Stiftung verwaltet und nennen sich mittlerweile „Türkische Maarif-Schulen“. Kurdische Kinder müssen dafür bezahlen, dass sämtliche Fächer hier ausschließlich auf Türkisch unterrichtet werden. Fächer wie Soziologie, Philosophie oder Geschichte tauchen in den Lehrplänen dieser Schulen nicht auf. In Südkurdistan sollen Kinder heranwachsen, die nicht hinterfragen. Mit Bildung in türkischer Sprache und Klassenfahrten in die Türkei soll eine „Liebe für die Türkei” suggeriert werden.

Veränderte Lebensweisen

Kinder und ihre Familien werden dazu verleitet, ein Leben im Einklang mit dem politischen Islam zu führen, und werden in die Arme entsprechender Parteien getrieben. Hunderte Schülerinnen und Studentinnen dieser Einrichtungen sind mittlerweile verschleiert und gehen Aktivitäten bei islamistischen Parteien und Organisationen nach.

Diffamierung kurdischer Nationalhelden

Unter den Unterrichtsmaterialien an den türkischen Maarif-Schulen in Südkurdistan finden sich unter anderem auch die Schriften von Rafiq Hilmi (1898-1960). Darin wird Şêx Mehmûd Berzincî (1878-1956), der 1922 das Königreich Kurdistan ausrief, von Hilmi diffamiert. Zur Zeit von Berzincî seien Kurden als „krumme Gewänder tragende“ Personen bezeichnet und verspottet worden, heißt es bei Rafiq Hilmi. Dies hat zur Folge, dass Schüler und Studierende in Südkurdistan ihrer Vergangenheit beraubt werden und Scham für ihre Revolutionäre empfinden.