Am 27. Juli hat eine Konferenz des Kurdistan Nationalkongresses (KNK) in Brüssel stattgefunden, auf der Vertreter*innen politischer Parteien und Organisationen aus allen vier Teilen Kurdistans über eine gemeinsame Position zur Besatzung Südkurdistans durch den türkischen Staat diskutiert haben. Als abschließendes Positionspapier der Teilnehmenden hat der KNK eine aus neun Punkten bestehende Deklaration veröffentlicht.
„Unsere Feinde haben Kurdistan in vier Teile aufgeteilt. Mit dem Vertrag von Qasr-e Schirin wurde Kurdistan 1639 zunächst zweigeteilt, mit dem Vertrag von Lausanne 1923 schließlich in vier Teile“, heißt es einleitend in der Deklaration. „Die Bevölkerung von Kurdistan hat diese Verträge niemals akzeptiert und nicht als legitim betrachtet. In allen vier Teilen Kurdistans fanden Aufstände dagegen statt. Die Kurden haben sich dem Feind nicht gebeugt. In den letzten dreißig Jahren haben neue Entwicklungen in unserem Land stattgefunden. 1991 ist eine Autonomieregion in Südkurdistan entstanden, später in Rojava. Der Iran und die Türkei haben diese Entwicklungen nie akzeptiert.“
Umfassender Besatzungsplan
Zu der schrittweisen Besatzung Südkurdistans durch den türkischen Staat wird in der Erklärung auf einen umfassenden Plan verwiesen:
„Nach der Entstehung einer Autonomieregion in Rojava hat der türkische Staat ein Angriffskonzept ins Spiel gebracht und mit der Umsetzung seines Besatzungsplans begonnen. Zunächst wurden Azaz und Dscharablus besetzt, anschließend Efrîn. Jetzt soll die Besatzung auf Kobanê, Cizirê und Girê Spî [Tall Abyad] ausgeweitet werden. Nach der Besatzung von Efrîn setzt der türkische Staat seine unmenschlichen Verbrechen fort. Die Demografie wird verändert und die Reichtümer werden geraubt. Gleichzeitig hat eine Invasion in Südkurdistan begonnen. Die Besatzung findet nicht nur im militärischen Bereich statt, sondern auch kulturell und wirtschaftlich. Es sollen weite und strategisch wichtige Gebiete vollständig eingenommen werden.“
Unterstützung des Iran, Schweigen des Irak
„Der Iran unterstützt den türkischen Staat bei dieser Besatzungsoperation. Er beteiligt sich zwar nicht offener Form, aber sie stört ihn nicht. Diese Form der Kollaboration hat in der Geschichte bereits häufig stattgefunden. Das kurdische Volk muss wachsam sein und die Intrigen des Feindes ins Leere laufen lassen. Auch die irakische Regierung schweigt und arbeitet auf subtile Weise mit der Türkei zusammen. Diese Zusammenarbeit hält seit dem Unabhängigkeitsreferendum in Kurdistan an.“
Südkurdistan darf die Besatzung nicht hinnehmen
„Die Regierung und die politischen Kräfte in Südkurdistan schweigen angesichts dieser Entwicklungen und beziehen überwiegend keine Position gegen die Besatzungsangriffe. Die südkurdische Regierung, die Parteien, zivilgesellschaftliche Organisationen und die Bevölkerung des Südens dürfen die Besatzung nicht hinnehmen. Sie müssen die Forderungen der Bevölkerung ernstnehmen und Stellung beziehen.“
Eine Einheit gegen den Feind bilden
„Um die Besatzung zu legitimieren, erklärt der türkische Staat, eine Operation gegen die PKK durchzuführen. Dabei handelt es sich um eine Manipulation und eine vollständige Verdrehung der Tatsachen. Das Projekt des türkischen Staates für 2023 beinhaltet eine Ausweitung seiner Grenzen entsprechend des Nationalpakts Misak-i Milli einschließlich von Mosul und Nordsyrien. Die gesamte Region soll besetzt und die Errungenschaften der Kurden sollen zunichte gemacht werden. Aus all diesen Gründen müssen wir eine Einheit gegen den Feind bilden. Wir müssen Kurdistan und seine Bevölkerung vor diesen Gefahren bewahren. Von der Bevölkerung Kurdistans, seinen Parteien, zivilgesellschaftlichen Organisationen, der Autonomieverwaltung in Rojava und insbesondere von der südkurdischen Regierung wollen wir folgendes:
1. Wir verurteilen die Besatzung des türkischen und iranischen Staates und rufen zum Widerstand auf.
2. Die Invasion des türkischen Staates in Bradost geht weiter. Um den Weg zur Freiheit in Nord- und Ostkurdistan zu blockieren, will er die Errungenschaften in Südkurdistan zunichtemachen. Alle kurdischen Kräfte müssen sich einstimmig gegen die Besatzung stellen und sich gegen diese Ungerechtigkeit wehren.
3. Die türkischen Luftangriffe von Zaxo bis Qendîl dauern an. Mit diesen Angriffen wird dem Lebensraum und der Bevölkerung geschadet. Zahlreiche Dörfer sind entvölkert und geraubt worden. In ihnen wurden türkische Soldaten stationiert. Auch diese Tatsache zeigt, dass die Besatzung von Dauer sein soll. Alle Menschen aus Kurdistan müssen aktiv verdeutlichen, dass sie damit nicht einverstanden sind.
4. Die Präsenz der Guerilla und der Peschmerga in diesen Gebieten ist eine historische Tatsache und legitim. Die Kräfte, die im Süden, Norden und Osten für die Freiheit Kurdistans kämpfen, haben militärische Camps gegen die feindliche Besatzung errichtet. Das ist ihr nationales Recht.
5. Nicht nur die türkische Besatzung Südkurdistans, auch die Besatzung von Efrîn, Azaz, Bab und Dscharablus muss verurteilt werden. Der türkische Staat muss umgehend seine Angriffe einstellen und sich aus den besetzten Gebieten zurückziehen.
6. Auch die Angriffe des iranischen Staates dürfen nicht vergessen werden. Der Iran muss seine Angriffe auf die Region bedingungslos beenden. Der beste Weg für den Iran, der international unter Druck steht und blockiert wird, ist ein Dialog mit den kurdischen Kräften und eine Lösung der Probleme auf friedlichem Weg.
7. Wir möchten auch die Regierung des Irak auf die Besatzung des türkischen Staates aufmerksam machen. Die Türkei verletzt die irakische Verfassung und will die Besatzung auf ein großes Gebiet ausweiten. Die irakische Regierung muss ihre juristischen Rechte nutzen und Maßnahmen treffen, um ihre eigenen Bürger zu schützen.
8. Als Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Versammlung appellieren wir an die KCK, PDK, YNK und alle kurdischen Kräfte, Maßnahmen gegen den Angriff und die Besatzung zu treffen. Sie müssen unverzüglich zusammenkommen und eine gemeinsame Haltung gegen die Besatzung zeigen.
9. Die demokratischen Kräfte, Staaten und internationalen Organisationen müssen ihre Stimmen erheben und eine Reaktion gegen die Besatzung des türkischen Staates zeigen.“