Über den Aufstieg der europäischen Rechten

Erst Schweden, jetzt Italien: In vielen Ländern Europas sind extrem rechte, national-konservativ oder faschistisch orientierte Kräfte auf dem Vormarsch. Linke Kräfte erweisen sich als unfähig, dieser gefährlichen Entwicklung entgegenzuwirken.

Lange Zeit schien sich das Erstarken des Nationalismus in Europa eher auf Osteuropa zu beschränken. Nach dem Ende des bürokratisch-administrativen Sozialismusmodells erlebte der Nationalismus dort eine Wiedergeburt. National-konservative Parteien wie etwa in Polen oder Ungarn bekamen mehr Zuspruch als die bürgerlich-liberal oder sozialdemokratisch ausgerichteten Kräfte. Daran änderte sich auch nichts, nachdem die osteuropäischen Staaten in die EU eingegliedert wurden.

Inzwischen hat sich die politische Landschaft in Westeuropa verändert: extrem rechte, national-konservativ oder faschistisch orientierte Kräfte sind in den vergangenen Jahren immer stärker geworden. Die Wahlerfolge der Rassemblement National in Frankreich und der FPÖ in Österreich sind in der EU längst keine Ausnahmeerscheinungen mehr, inzwischen haben die Rechten auch in den Niederlanden, Schweden, Griechenland und auch Spanien an Einfluss gewonnen; in Italien wird die neugebildete Regierungskoalition von einer Partei geführt, deren Mitglieder und Anhänger Mussolini bewundern.

Der Aufstieg der europäischen Rechten wird begleitet von einer anhaltenden Schwäche der Linken, wobei ohnehin zu fragen ist, wer überhaupt dazu gezählt werden kann. In Dänemark verfolgte die sozialdemokratische Regierungspartei eine migrantenfeindliche Politik. In Frankreich gelang der Linken unter Führung von Jean-Luc Mélenchon zwar ein beachtlicher Wahlerfolg, aber die Zukunft des linken Bündnisses ist offen. Am Beispiel der Syriza-Partei in Griechenland wird deutlich, wie linke Bündnisse ihre als Oppositionspartei vertretenen Positionen schnell über Bord werfen, sobald sie an die Regierungsmacht gelangen. Die durch den Sieg der Syriza geweckte Hoffnung auf ein Revival der linken Kräfte in Europa ist längst dahin.

Vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen mit dem Hitlerfaschismus erhält der Aufstieg der Rechten in Deutschland eine besondere Bedeutung. Sowohl linke als auch bürgerlich-liberale Kreise sind sich – zumindest nach außen hin – darüber einig, dass die Rechte in Deutschland nicht noch weiter an Einfluss gewinnt. Ob die bürgerlich-liberalen, grünen und sozialdemokratischen Kräfte überhaupt bereit und in der Lage sind, dem weiteren Aufstieg der AfD konsequent entgegenzutreten, ist sehr zweifelhaft. Für manche Sozialdemokraten, Grüne, Christdemokraten und Liberale bietet die Präsenz der AfD im Bundestag eine willkommene Gelegenheit, sich zumindest rhetorisch-verbal als entschlossene Gegner von Neonazis zu profilieren. Die Frage bleibt jedoch, wie es dazu gekommen ist, dass fast 80 Jahre nach dem Ende des Hitlerfaschismus völkische Kräfte in den Parlamenten vertreten sind.

Die Krise des Kapitalismus und der Aufstieg der Rechten

Der Aufstieg des Faschismus nach dem 1. Weltkrieg wurde durch die Wirtschaftskrise und die damit einhergehenden sozialen und politischen Spannungen begünstigt. Während Länder mit einer stabilen parlamentarischen Demokratie und die bürgerlichen, liberalen oder sozialdemokratischen Kräfte das bestehende System bewahren konnten, kam es in Italien und Deutschland zu einer anderen Entwicklung. Über die Ursachen und Folgen dafür haben vor allem linke Wissenschaftler und Autoren viel geschrieben. Wer sich heute mit der Frage der immer stärker werdenden rassistischen, nationalistischen und faschistischen Bewegungen und Parteien in Europa auseinandersetzt, müsste auf diese umfangreichen Untersuchungen zurückgreifen und sie fortentwickeln. Aus dem Studium der Entstehungsgeschichte des europäischen Faschismus in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts könnten manche für die Beurteilung der gegenwärtigen Entwicklung in Europa wichtige Erkenntnisse gewonnen werden. Was gegenwärtig zu beobachten ist, zeigt Parallelen zu der Zeit, als in Italien und dann in Deutschland faschistische Parteien an die Regierungsmacht gelangten.

Nur ein „Wurmfortsatz des deutschen Kapitals“?

Angesicht der oben kurz skizzierten Entwicklung in Europa stellt sich die Frage, ob die Linke die Gefahr eines sich strukturell nach rechts verschiebenden Kräfteverhältnisses erkennt, die dafür ausschlaggebenden Faktoren richtig analysiert und Widerstand dagegen organisiert. Manches deutet darauf hin, dass dies nicht der Fall ist. Es scheint, dass noch Ansichten über die Entwicklung faschistischer Kräfte verbreitet sind, die sich im Prinzip nicht sehr von der Einschätzung der stalinistisch beherrschten Kommunistischen Internationale in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts unterscheiden. Insgesamt herrscht eine Sichtweise vor, die mehr oder weniger das Erstarken rechter Kräfte (national-konservative, rassistische und faschistisch ausgeprägte politische Strömungen) sträflich verharmlost und unterschätzt. Ein Bespiel dafür ist ein Kommentar zu der Landtagswahl in Niedersachsen in der als konsequent links geltenden Zeitung „junge Welt“ (11.10.2022).

Über den Wahlerfolg der AfD in Niedersachsen schreibt der Autor: „Es bleibt irrational, diesen politischen Wurmfortsatz des deutschen Kapitals zu wählen, aber Widerspruchsverarbeitung im Imperialismus verläuft auch in der Arbeiterklasse in solchen Bahnen, wenn eine linke Alternative fehlt.“ Der Begriff Wurmfortsatz wird oft für ein unwichtiges und nutzloses Anhängsel benutzt. Das „Konglomerat aus Rechten und Faschisten“ – gemeint ist die AfD – als „Wurmfortsatz des Kapitals“ zu charakterisieren, läuft darauf hinaus, rechte bzw. faschistische Kräfte als politisch unwichtige harmlose und somit zu vernachlässigende Erscheinungen zu betrachten. In der Weimarer Republik wurden die Hitlerfaschisten – die sich auch als eine Art nationale Variante des Sozialismus ausgaben – in ähnlicher Weise verharmlost. Der Hitlerfaschismus wurde von der damals noch sehr starken und gut organisierten deutschen Arbeiterbewegung und ihren Parteien lange Zeit als eine ernsthafte Gefahr unterschätzt.

Hier stellt sich ferner die Frage, was in die Kategorie „deutsches Kapital“ gehört. Ein Blick auf die Zusammensetzung der Anteilseigner der im DAX vertretenen 30 Konzerne sind meist ausländische Investoren: „Die Deutschland-AG ist mehrheitlich in der Hand von ausländischen Investoren. Nordamerikanische Investoren halten derzeit mehr als ein Drittel der Anteile an den 30 DAX-Unternehmen – damit hat sich der Wert seit 2016 erhöht.“ Der deutsche Anteil von 17,1 Prozent (2016) ging auf 15,3 Prozent (2018) zurück. Ob der CDU-Vorsitzende Merz als ehemaliger Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschland-Vertretung der US-Investmentgesellschaft Blackrock als glaubhafter Vertreter der Interessen des deutschen Kapitals gelten kann, ist zweifelhaft. Die weltweit größte Investmentgesellschaft ist zugleich der zweitgrößte DAX-Investor. Deutsches Kapital im Sinne der deutsch-nationalen Rechten sind die Unternehmen, die nicht von ausländischen Investmentgesellschaften oder Staatsfonds kontrolliert werden und Teil der global agierenden, multinationalen Konzern-Liga sind. Zum deutschen Kapital zählen vor allem die vielgepriesenen „einheimischen“ mittelständischen und kleinen Unternehmen, als deren Interessenvertreterin sich die AfD sieht.

Die Entwicklung geht zugunsten rechter Parteien

Für den Aufstieg der Rechten bildeten die Migrantenfrage und die Verteidigung der D-Mark als nationale Währung zwei wichtige Themen. Die Entwicklung in Schweden zeigt, dass die sozial-liberale Herangehensweise bei der Lösung der durch die Zuwanderung entstanden Fragen gescheitert ist. Auch wenn sich unzählige Sozialwissenschaftler intensiv mit der Migrantenfrage befassen und zahlreiche Lösungsvorschläge und Konzepte erarbeitet wurden, so gibt es in keinem europäischen Land in dieser Frage einen nennenswerten Fortschritt; nichts deutet darauf hin, dass es in absehbarer Zukunft anders sein wird. Eine fortgesetzte, ungleiche und ungerechte Verteilung der Reichtümer, Ausbeutung, Armut, Unterdrückung, Umweltzerstörung, die Klimaveränderung mit ihren folgenschweren Auswirkungen und Kriege werden weiterhin dazu führen, dass Menschen versuchen, trotz aller Gefahren nach Westeuropa oder Nordamerika zu gelangen. Letztendlich sind diese Menschen Opfer der Politik der Gruppe der G7-Staaten, der Weltbank und des IWF, und solange sich daran nichts ändert, wird diese Frage auch in Zukunft auf der politischen Tagesordnung bleiben.

Die Migrantenfrage ist jedoch nicht das einzige Thema, das der Rechten Wahlerfolge beschert: die mit der ökonomischen Krise verbundenen Ängste in breiten Teilen der Bevölkerung, die damit zunehmenden sozialen und politischen Spannungen werden von der Rechten konsequent ausgenutzt, um ihren Einfluss auszuweiten. Durch die hohe Inflation, die absehbare Vertiefung der Wirtschaftskrise und die Enttäuschung über die Unfähigkeit der Regierungen werden Teile der Mittelschicht in die Arme der Rechten getrieben. Das erinnert an die Verhältnisse in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts, als mit der tiefen ökonomischen, sozialen und politischen Krise die Ängste und die Unzufriedenheit der Mittelschicht zunahmen. Die gegenwärtige Krise hat eine Dimension angenommen, die über die vorherigen Krisen seit dem Ende des 2. Weltkrieges hinausgeht.

Die Verbindung der Migrantenfrage mit der wachsenden Unzufriedenheit über die ökonomische Lage ist von strategischer Bedeutung für die Rechten, weil sie dadurch ihre Basis ausbauen und sich als politische Alternative zu den etablierten Parteien anbieten kann. Die Wahlerfolge von rechten und faschistischen Parteien in allen EU-Staaten müssen ernstgenommen werden; der Wahlerfolg der AfD, die in Niedersachsen 100 Prozent Stimmenzuwachs erzielte, entspricht der europaweiten, politischen Tendenz nach rechts. Gleichzeitig erweisen sich die linken Kräfte – nicht nur in Deutschland – bislang als unfähig, dieser gefährlichen Entwicklung entgegenzuwirken.