Die Rechtsanwältin Reyhan Yalçındağ hat sich entsetzt über den Umgang des Instituts für Rechtsmedizin (ATK) mit ihrer Mandantin Aysel Tuğluk gezeigt. Die an Demenz erkrankte kurdische Politikerin wurde in der vergangenen Woche zwecks erneuter Prüfung ihrer Haftfähigkeit in die Einrichtung in Istanbul eingeliefert, jedoch bereits nach drei Tagen wieder zurück ins Gefängnis verlegt. Ein Gericht hatte eine bis zu dreiwöchige Unterbringung Tuğluks im ATK angeordnet.
„Ob drei Tage ausreichen, um die Schwere des Zustands meiner Mandantin festzustellen, kann ich nicht beurteilen. Zumindest will ich das hoffen, da sich die gesundheitliche Verfassung von Aysel Tuğluk weiter verschlechtert hat. Kolleg:innen äußerten nach einem Besuch am Samstag, dass sie sehr müde und erschöpft wirkte“, erklärt Yalçındağ.
Aysel Tuğluk befindet sich seit Ende 2016 unter Terrorvorwürfen im Hochsicherheitsgefängnis Kandıra in der Schwarzmeerprovinz Kocaeli in Haft. Im vergangenen März stellte ein von neun Fachleuten erstelltes Gutachten der forensischen Abteilung der Universität Kocaeli fest, dass die 56-Jährige aufgrund einer chronischen und fortschreitenden Alzheimer-Demenz nicht länger haftfähig ist und sofort aus dem Gefängnis zu entlassen sei. Das zuständige ATK, eine Einrichtung des Justizministeriums, hat eine gegenteilige Feststellung getroffen und sah bisher keinen Grund für eine Aussetzung des Strafvollzugs.
Rechtsanwältin Reyhan Yalçındağ
Bericht der Universität Istanbul
Bevor Tuğluk vergangene Woche in das Istanbuler ATK überwiesen wurde, hatte auch das Dekanat der neurologischen Abteilung der medizinischen Fakultät der Universität Istanbul nach Aktenlage festgestellt, dass die Erkrankung in Anbetracht ihres Alters außergewöhnlich schnell fortschreite und sie daher von einer erfahrenen medizinischen Einrichtung untersucht werden müsse. Yalçındağ zeigt sich angesichts dieser Tatsachen hoffnungsvoll, dass binnen zwei Wochen eine Entscheidung folgen werde.
Situation von Gefangenen weder mit Recht noch mit Gewissen zu vereinbaren
Menschenrechte und eine menschenwürdige Behandlung sind zweifelsohne von grundlegender Bedeutung für den Umgang mit kranken Gefangenen, sagt Yalçındağ. In der Türkei überwiegt jedoch die politisch gewollte Abschreckung durch harte Haftbedingungen und der letztlich menschenverachtende Umgang mit den Insassen. Insbesondere mit Blick auf die Lage der politischen Gefangenen läuft es auf die Todesstrafe aus, auch wenn diese offiziell abgeschafft wurde. Allein im Dezember sind sieben Gefangene in Haft gestorben, teilweise unter verdächtigen Umständen. Unter ihnen waren auch solche, die der Menschenrechtsverein IHD in seiner Liste der „schwer kranken Gefangenen“ führte. „Diese Tatsache zeigt den Ernst der Lage. Obwohl der IHD und auch die Menschenrechtsstiftung der Türkei (TIHV) entsprechende Berichte zu diesen schwer kranken Gefangenen beim zuständigen Justiz- und Gesundheitsministerium eingereicht haben, wurde nichts unternommen“, so die Anwältin. „Die in den Berichten der Menschenrechtsorganisationen genannten Gefangenen sterben entweder an den Folgen ihrer Erkrankung oder kommen unter verdächtigen Umständen in Einzelzellen ums Leben. Die aktuelle Situation ist nicht mit dem Recht, nicht mit dem Gewissen und mit keinem menschlichen Wert zu erklären. Wenn es so weiter geht, werden weitere Gefangene ihr Leben verlieren“, warnt Yalçındağ.
„Tuğluk wird das Recht auf Gesundheitsversorgung verweigert“
Zur Situation von Aysel Tuğluk fügt die Juristin hinzu: „Aysel ist aufgrund ihrer Erklärungen, die sie als Abgeordnete abgegeben hat, inhaftiert worden. In dieser Hinsicht haben wir uns an das Verfassungsgericht gewandt. Während im Moment ihre schwere Erkrankung im Vordergrund steht, muss doch auch auf diese Tatsache hingewiesen werden. Sie ist inhaftiert, weil sie als Parlamentarierin ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und politische Mitbestimmung wahrgenommen hat. Deswegen wurde sie rechtswidrig inhaftiert. Während sie also ohnehin schon ohne rechtliche Grundlage im Gefängnis ist, wird ihr der Zugang zur Gesundheitsversorgung aktiv verwehrt. Die Behandlung von Menschen, die solche gesundheitliche Probleme erleiden, ist draußen bereits schwer. Diese Situation wird auch durch die Gutachten bestätigt. Unsere Mandantin muss sofort freigelassen werden.“