„Wir lassen uns nicht in die Flucht zwingen“

Die vom türkischen Staat ausgebombten Menschen aus den Grenzdörfern Efrîns werden von der Stadtbevölkerung aufgenommen. Den Kanton Efrîn wollen sie nicht verlassen.

Die Angriffe des türkischen Staates und seiner von El Nusra und dem IS übernommenen Milizen dauern seit 18 Tagen an. Die großen Hoffnungen des türkischen Staatspräsidenten Erdoğan auf eine schnelle Besatzung Nordsyriens durch den Einsatz von 72 Kampfjets, Tausenden Tankern, Granatwerfern und weiteren schweren Waffen sowie Zehntausenden Soldaten und Söldnern scheitern bisher an dem Widerstand der YPG und YPJ. In Efrîn leisten jedoch nicht nur die Kämpferinnen und Kämpfer Widerstand. Von großer Bedeutung ist auch die Haltung der Bevölkerung, die seit sieben Jahren unter einem Embargo lebt und trotzdem Hunderttausende Flüchtlinge aufgenommen hat.

Die Menschen verlassen Efrîn nicht

Die Erwartung des türkischen Staates, durch Luft- und Bodenangriffe eine Massenflucht auszulösen, erscheint sich nicht zu erfüllen. Bisher haben mindestens 129 Menschen aus der Zivilbevölkerung ihr Leben verloren und über 350 wurden verletzt. Trotzdem verlassen die Menschen Efrîn nicht. Lediglich aus einigen Grenzdörfern mussten die Menschen fliehen. Auch sie haben den Kanton nicht verlassen, sondern sind in der Stadt und den Kreisstädten untergekommen.

Im Stadtzentrum sind sie in leerstehenden Häusern untergebracht worden. Außerdem hat die Stadtbevölkerung ihre Wohnungen für die ausgebombten Dorfbewohner*innen geöffnet. Um die Versorgung der Flüchtlinge kümmern sich die 54 Kommunen der Stadt.

„Wo ist die Weltöffentlichkeit?“

Gegenüber ANF erklärten einige der betroffenen Frauen, Efrîn keinesfalls verlassen zu wollen.

So sagte die Kurdisch-Lehrerin Nûcan Murad, die aus dem Dorf Rabûsê im Bezirk Cindirêsê in die Stadt flüchten musste, sie werde ihre Heimat niemals dem türkischen Staat und den von ihm gesteuerten Banden überlassen: „Wir mussten fliehen, weil unser Dorf mit Mörsern und Granaten angegriffen wurde. Jetzt sind wir hier mit zwei weiteren Familien untergebracht.“

Auf der Flucht hätten sie nichts mitnehmen können, berichtet sie weiter. In der Stadt seien sie von den Kommunen versorgt worden. Die Mitglieder der Kommunen hätten sie in Empfang genommen und eine Unterkunft für sie gefunden, so Nûcan Mûrad.

Das Schweigen der Weltöffentlichkeit bezeichnet die Lehrerin als eine Schande: „Sieht denn niemand, was hier angerichtet wird? Der türkische Staat greift die Zivilbevölkerung an. Wo ist die Weltöffentlichkeit? Wo sind diejenigen, die immer von Menschenrechten sprechen?“

„Hier ist unsere Heimat“

Elmas Mûrad kommt aus demselben Dorf. Auch ihre Familie ist mit zwei weiteren Familien in einem Haus unterbracht. Jede Familie verfügt über ein Zimmer. „Dieses Haus hat die Kommune für uns gefunden“, sagt sie. „Sie hat uns auch mit allem versorgt, was wir brauchten.“

Eine weitere Frau aus einem der Grenzdörfer ist Gulistan Hesen. „Unser Haus ist bombardiert worden. Ich habe drei Kinder. Aus Angst um sie haben wir das Dorf verlassen. Jetzt sind wir in Efrîn. Hier ist unsere Heimat, wir werden sie nicht verlassen.“

Sebah Sîno ist mit ihrer Familie aus ihrem Dorf Edanê geflohen, nachdem das Haus zwei Tage lang unter Beschuss gesetzt worden war. Die Familie ist auf Umwegen in die Stadt gekommen, erzählt sie: „Wir waren zunächst zwei Tage in einem Nachbardorf und dann noch einen Tag in einem anderen Dorf. Schließlich sind wir hier hergekommen. Wir sind mit einer anderen Familie zusammen in einer Wohnung untergebracht worden. Ich bete zu Gott, dass Erdoğan noch tausend Mal Schlimmeres widerfahren wird. So Gott will, werden wir siegen.“

Meryem Hemed Mecîd kommt aus Hemam im Bezirk Cindirêsê. Beim Angriff auf das Dorf sei ihr Onkel verletzt worden, berichtet sie: „Hier leben wir jetzt im Haus meiner Schwiegereltern. Unser Haus in Hemam wurde mit Mörsern angegriffen. Mein Onkel ist dabei verletzt worden, jetzt ist er in medizinischer Behandlung. Unser Haus ist zerstört. Wir haben viele Kinder, daher mussten wir in die Stadt gehen. Wir konnten kaum etwas mitnehmen.“

„So Gott will, wird Erdoğan verlieren“

Emîne Xelîl aus dem Dorf Xelila ist davon überzeugt, den Krieg zu gewinnen. Efrîn zu verlassen, kommt für sie nicht in Frage: „Wir sind vorgestern angekommen. Unser Haus wurde mit Mörsern und Granaten beschossen. Mein Mann ist gelähmt und wir haben kleine Enkel. Deshalb waren wir gezwungen zu gehen. Ich habe mich zuerst geweigert. Jetzt sind wir hier. Unsere Heimat werden wir nicht verlassen. Sie können unsere Häuser zerstören, aber wir lassen uns nicht vertreiben. So Gott will, werden wir gewinnen und Erdoğan wird verlieren.“