Weltfrauenkonferenz: „Unseren Weg finden“
Der Nachmittag des zweiten Tages der 2. Internationalen Frauenkonferenz in Berlin war auf Lösungswege und gemeinsame Organisierung ausgerichtet.
Der Nachmittag des zweiten Tages der 2. Internationalen Frauenkonferenz in Berlin war auf Lösungswege und gemeinsame Organisierung ausgerichtet.
Die fünfte und letzte Sitzung der 2. Internationalen Konferenz in Berlin stand unter der Frage: „Unseren Weg finden“. Diese Sitzung wurde von Havîn Güneşer von der Internationalen Initiative „Freiheit für Abdullah Öcalan - Frieden in Kurdistan“ moderiert. Sie stellte die Frage: „Wie können sich alle Frauenkämpfe vereinen, um unser Hauptziel zu priorisieren: Die Zerstörung der vielschichtigen Angriffe des Patriarchats? Wie können alle Kämpfe für die Befreiung der Frau einen Frauenkonföderalismus schaffen, der auf Pluralismus und gegen interne Vorherrschaft basiert?“
Das Ziel der Sitzung sei es, das gemeinsame Ziel eines demokratischen Weltfrauenkonföderalismus zu erreichen, erklärte Güneşer. Zunächst gab es auf der Bühne eine Solidaritätsperformance mit Bildern von gefangenen Frauen in Iran. „Heute ist der 50. Tag nach der Ermordung von Jina Amini. Das Regime unterdrückt die Frauen, verhaftet sie. Es gibt Kraft, es gibt Widerstand. Trotz der extremen Gewalt von Polizei und Sicherheitskräften ist der Widerstand beispiellos. Wir sind Zeuginnen einer eindrucksvollen Revolution. Es kann nicht versteckt werden, dass in Kurdistan und Belutschistan große Kämpfe gibt. […]. Trauerfeiern werden zu Zeremonien des Widerstands. Manche nennen diese Kämpfe Frauenrevolution, manche feministische Revolution. Auf jeden Fall wird ein Widerstand gegen alle Formen von Autorität in der Region geleistet und dieser ist Inspiration für alle Frauen auf der ganzen Welt. Lasst uns dieses dunkle Kapitel beenden und rufen: Jin Jiyan Azadî! Zeigt Solidarität mit den Frauen, die im Gefängnis sind! Wir können helfen, indem wir öffentliche Solidarität zeigen, das ist im Iran gerade wichtig“, hieß es in der Erklärung.
Ein Slogan, der eine Philosophie beinhaltet
Havîn Güneşer leitete die Sitzung mit den Worten ein, der Slogan „Jin Jiyan Azadî“ sei eigentlich sehr einfach, aber beinhalte zugleich eine tiefgreifende Freiheitsphilosophie. Probleme mit Faschismus, Kolonialismus, Rassismus und Machthierarchien könnten unter dieser Parole angegangen werden. Abdullah Öcalan sei derjenige, der diesen Slogan aufgebracht habe. Er wurde 1999 im Zuge einer NATO-Operation aus Kenia in die Türkei entführt und wird seitdem auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali gefangen gehalten. Sowohl symbolisch als auch tatsächlich sei seine Freiheit die Freiheit aller, meinte Güneşer. „Jin Jiyan Azadî“ sei ein magischer Slogan, der in diesem Augenblick um die ganze Welt gehe. Dies bedeute ein Aufstehen gegen Kolonialismus und Faschismus. Die kurdische Frauenbewegung sehe das 21. Jahrhundert als Jahrhundert der Frauenrevolution an. Güneşer erklärte, dass die kurdische Frauenbewegung den Fokus auf das revolutionäre Potenzial lege, um das Leben und die Erde zu verteidigen. „Unsere Freiheit ist die Befreiung des Lebens“, sagte Güneşer und kündigte als nächste Rednerin Haskar Kırmızıgül von der kurdischen Frauenbewegung an.
Ein kontinuierlicher Prozess
Haskar Kırmızıgül ist Mitglied des Jineolojî-Komitees. Sie betonte in Gedenken an Nagihan Akarsel, dass die zu hunderten auf der Konferenz zusammen gekommenen Freund:innen so vielfältig seien wie der Kampf selbst. „Wie sieht der Traum nach Befreiung von Frauen auf der Welt aus?“, fragte sie, um selbst die Antwort auf diese Frage zu geben: Ein gegenseitiges Zuhören und ein Zulassen unterschiedlicher Perspektiven sei elementar, um Verbindungen zu schaffen und voneinander zu lernen. Sie zitierte Öcalan, indem sie sagte, „Jin Jiyan Azadî“ sei eine magische Formel, die das Leben verändere. Genau das sei heute erlebbar: Die Frauenrevolution sei nicht nur ein Moment, sondern ein kontinuierlicher Prozess. Dabei sei sie keineswegs eine Utopie.
„Wir werden tausendmal siegen“
„Wir kann der Weg des demokratischen Konföderalismus gegangen werden?“, lautete die nächste Frage von Haskar Kırmızıgül. Der Widerstand der Frauen werde dabei als existenzieller Kampf um das Leben angesehen, der viele Gemeinsamkeiten und gegenseitige Inspiration beinhalte. In Abya Yala und überall auf der Welt seien die Kämpfe gegen Kolonialismus, Rassismus und Kapitalismus sichtbar. Da die Staaten geeint gegen diesen Kampf vorgingen, brauche es auch dagegen eine Einheit der Frauen.
Respekt und gemeinsame Prinzipien seien zentral, um Fragen nach gemeinsamer Perspektive, Wissenschaft und Philosophie zu diskutieren und viele Strömungen grenzüberschreitend zusammenzubringen. Der Demokratische Konföderalismus sei dabei ein Prinzip für das friedliche Zusammenleben, der einige grundlegende Prinzipien vereine: Das Zusammenkommen bis zur vollständigen Befreiung. Die patriarchalen Anschläge kämen nicht nur aus einer Richtung, sondern von allen Seiten.
Haskar Kırmızıgül betonte, es sei wichtig, dass Frauen das Leben antikapitalistisch gestalteten und sich gegen die Prägung durch das System zur Wehr setzten. Der Weltfrauenkonföderalismus sei nicht zentralistisch zu organisieren und die Transformation des Mannes sei ebenfalls Teil der Agenda. Maskulinität und Männlichkeit seien dabei etwas Unterschiedliches. Kırmızıgül wies auf einen Vorschlag hin, der aus einem Workshop zu Bildung am Samstag entstanden war: Bildung, auch für Männer, solle im Demokratischen Konföderalismus eine zentrale Rolle zufallen. Damit könne eine Antwort gegen Feminizide hervorgebracht werden.
Ihre abschließenden Worte waren: „In diesen Tagen träumen wir, aber es ist kein Traum der unerfüllt bleibt. Die Realisierung der Träume unserer Gefallenen bedeutet auch, den Demokratischen Konföderalismus aufzubauen.“ So sei auch Andrea Wolf am 23. Oktober 1998 vom türkischen Staat ermordet worden: „Eine große Organisation zu schaffen, ist eine große Gelegenheit, um all die Potenziale zusammenzubringen, die Veränderung hervorbringen wollen.“ In Bezug auf die Mapuche sagte Haskar Kırmızıgül: „Wir werden tausendmal siegen!“
„Wir müssen unsere Waffen verschränken“
Die zweite Rednerin auf dem Podium war Montes Jovita Mataro, eine Aktivistin der Internationalen Frauenallianz und der Organisation Gabriella von den Philippinen. Montes Jovita Mataro teilte ihre Erfahrungen verschiedener Graswurzelbewegungen, in denen sie mitwirkt. Eine der stärksten Kämpferinnen für Frauenrechte auf den Philippinen sei die Organisation Gabriella, die sowohl national als auch international arbeite. Über die letzten Jahren hätte sich wiederholt gezeigt, so Mataro, wie wichtig internationale Solidarität der Arbeiter:innenklasse und auch die der Frauen als Ganzes sei. Die einzige Antwort auf das ausbeuterische System des Kapitalismus sei es, sich gegen ihn zu organisieren und zu einer Bewegung zu werden. So sage ein philippinisches Sprichwort: „Wir müssen unsere Waffen verschränken“.
„Gabriella“ habe schon lange verstanden, wie notwendig Organisierung sei. Daher sei sie auch Gründungsmitglied der Internationalen Frauenallianz, führte Mataro weiter aus. Ein wesentliches Ziel von Gabriellas Arbeit sei es, Allianzen und Solidarität zwischen allen unterdrückten Frauen zu schaffen, Erfahrungen miteinander zu teilen und Systeme der Unterdrücker des kapitalistischen Patriarchats, die auf Frauen wirken, sichtbar zu machen. Seit Jahrzenten habe diese Organisation verschiedene Menschen mobilisiert: Menschen, die von ihrem Land vertrieben wurden, die marginalisiert und unterdrückt werden, die keine sozialen und politische Rechte hätten. Gabriella mobilisiere und organisiere Frauen seit 1984. Seit ihrer Gründung werden die Forschung und Analysen über die Situation von Frauen permanent aktualisiert. Ausgangspunkt der Forschungen seien die Bedürfnisse von Frauen, die im Patriarchat unterdrückt werden.
Montes Jovita Mataro wies auch darauf hin, dass sich seit den 1970er Jahren der Neoliberalismus immer weiter verschärfe. Die Arbeiter:innenklasse werde weltweit immer stärker ausgebeutet. Während der Pandemie sei das Gesundheitssystem immer stärker privatisiert worden. Viele Länder hätten keine Möglichkeit, Impfungen oder Medizin gegen Covid-19 zu erhalten. All das seien Ausformungen des neoliberalen Kapitalismus.
Gabriella habe trotz der zugespitzten Situation in der Pandemie auf den Philippinen weitergearbeitet und die Communities unterstützt, die meist von staatlicher Seite im Stich gelassen wurden. Die Organisation habe beispielsweise Schutzkleidung ausgeteilt, Essenausgaben organisiert, Informationen verteilt und emotionale Unterstützung geleistet. „Gabriella hat in einer Situation, in der der Staat versagte, es geschafft, sich zu organisieren und eigene Strukturen zu schaffen. Trotz Überwachung und Repression hat die Organisation sich nicht entmutigen lassen, der Arbeiter:innenklasse und den Frauen zu helfen.“ Zum Abschluss ihrer Rede verdeutlichte Montes Jovita Mataró, dass internationale Solidarität und ein internationaler Kampf gegen das kapitalistische Patriarchat eines der wichtigsten Mittel sei, die im Kampf um Befreiung zur Verfügung stehen. Sie rief die Frauen der Welt dazu auf, internationale Solidarität zu zeigen, um gegen die Plünderung der Ressourcen vorzugehen.
Öcalans Kampf ein Kampf für Frauen
Boushra Ali von der demokratische Frauenkoalition der MENA-Region (Middle East and North Africa) begann mit der Darstellung der Arbeit eines Frauenzentrums im Libanon, in dem vor einigen Jahren der Vorschlag des Weltfrauenkonföderalismus bekannt wurde. Es folgte ein Austausch mit Aktivistinnen verschiedener Länder über diese Idee. Die Organisation innerhalb der MENA-Region erstreckt sich über 20 Verbände und Einrichtungen in elf Ländern. In den letzten Jahren konnte sich die Arbeit der Struktur ausbreiten. So existierten mittlerweile insgesamt 40 Frauenzentren.
In ihrer Analyse betonte Boushra Ali, dass die Probleme mit dem Fundamentalismus in den Regionen des Mittleren Ostens und Afrikas sehr ähnlich seien und auf dieser Basis auf vielen Treffen einige konkrete gemeinsame Prinzipien entwickelt wurden, um Faschismus und Kolonialismus zu bekämpfen. Überall dort, wo der türkische Staat sich in den vergangenen Jahren ausgebreitet hat - über kontinentale Grenzen hinweg - gäbe es Unterdrückung und Besatzung. Sie benannte außerdem den Feminizid - über Kultur, Sprache und Morde - als grundlegendes Problem.
Der soziale Frieden habe für sie keine Bedeutung, solange nicht alle Frauen, alle Gesellschaften frei seien, sagte Boushra Ali. Die Aktivistin machte deutlich, dass es in diesem Moment des Chaos nicht darum ginge, eine kleine Friedensinsel zu erschaffen. Bei einem Treffen seien 250 Aktivistinnen aus 18 Ländern zusammengekommen, um sich zu verbinden und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Es wurde eine Übereinkunft verabschiedet, in der es heiße, dass jeder Angriff auf eine Frau ein Angriff auf alle sei. Jede Frau, die an Demokratie glaube, an wirkliche Gleichberechtigung, könne und solle die Organisation und deren Ideen und Ansätze repräsentieren und sich durch sie repräsentiert fühlen.
Grundlage der vertieften Organisierung sei die Erkenntnis, dass die Frauenrevolution an vielen Orten bereits begonnen habe. „Wir müssen dort nach den Werten suchen, wo wir sie in der Geschichte verloren haben und im Schmerz, Prinzip und Kampf zu unseren Werten und Grundlagen stehen und an ihnen arbeiten“, betonte Boushra Ali.
Außerdem hob sie die Rolle von Abdullah Öcalan hervor - nicht als Person, sondern als Vertreter unterdrückter Identitäten. Sie sei sich der Schwierigkeit bewusst, Öcalan als Vorreiter einer Bewegung von Frauen vorzustellen, doch bei einem Treffen im Libanon sei dann eine Initiative für Öcalan gegründet worden - auf der Basis, dass sein Kampf ein Kampf für Frauen sei.
Ali stellte mehrere Projekte vor, die sie als konkrete praktische Beispiele auf dem Weg zu einer gemeinsamen Organisierung in der MENA-Region und darüber hinaus beschrieb. Sie erklärte, dass sie beeindruckt war, die Berichte über den Versuch kurdischer Frauen und Frauen des afrikanischen Kontinents zusammen zu bringen und die Spaltung, die das System forciere, zu überwinden. Allein sich zu verstehen, sei ein wichtiger und grundlegender Ansatz. Immer wieder betonte sie die Notwendigkeit des persönlichen Zusammenkommens, der Diskussion von Strategien und der Notwendigkeit der Vertiefung der Verbindungen.
Den Vorschlag des Demokratischen Konföderalismus in die Realität umsetzen
Eine weitere Rednerin war Rua Sommer von „Gemeinsam Kämpfen“, einer am 25. November 2017 als „feministische Kampagne für Selbstbestimmung und Demokratische Autonomie“ gegründete Initiative. Das Ziel der Kampagne war es, die Ideen der Revolution der selbstverwalteten Region Nord- und Ostsyriens in Deutschland bekannter zu machen und sie auch für hier zu denken.
Rua Sommer machte deutlich, dass das Ziel der Struktur sei, auch hier in Deutschland eine breite Organisierung von Frauen und Menschen aller weiteren unterdrückten Geschlechter aufzubauen, in klarer Verbindung mit den feministischen Kämpfen weltweit. Basisdemokratie, Autonomie und Selbstbestimmung seien dabei keine Utopien, sondern konkrete emanzipatorische Konzepte und Ziele. Die Rednerin betonte die vielen Widerspräche und Schwierigkeiten, die den Aktivistinnen „im Herzen der Bestie“ begegneten.
Ein Weg, diesen zu begegnen, sei das Bewusstsein, sich als Teil eines globalen Kampfes gegen das kapitalistische Patriarchat zu begreifen und die eigene Rolle und Verantwortung darin zu erkennen. Rua Sommer machte deutlich, dass die Verteidigung von Rojava und der gesamten kurdischen Bewegung an allen Orten der Welt als zentrale Aufgabe gesehen werden müsste, „denn dort wurde eine Alternative zum kapitalistischen Patriarchat geschaffen, die wegweisend für einen revolutionären Kampf ist“.
„Gemeinsam kämpfen" sei gleichzeitig Teil der Initiative Demokratischer Konföderalismus, die ein nächster Schritt der Organisierung aller Geschlechter gemeinsam sei, um den Demokratischen Konföderalismus für die Geografie Europas zu denken und zu beginnen, ihn umzusetzen. Viele der Erfahrungen und Erkenntnisse der kurdischen Bewegung und insbesondere der kurdischen Frauenbewegung, die konkreten Begegnungen hier in Deutschland oder auch in den verschiedenen Teilen Kurdistans hätten allen Aktiven in Deutschland ein reiches und wertvolles, lebendiges Erbe mitgegeben – „auf diesem Erbe wollen wir aufbauen“, so Rua Sommer.
Dafür sei es auch unerlässlich zu verstehen, welche Widerstände gegen das kapitalistische Patriarchat es in Deutschland von den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen gegeben habe und noch gibt. Die Beschäftigung mit der eigenen Geschichte sei ein Wert, der erkannt werden müsse. Motivierend dabei sei, dass die Suche nach Verschollenem und Überbleibseln schon viele wunderbare, manchmal auch überraschende Momente gebracht habe. Es gehe darum, es als zentrale Aufgabe zu verstehen, die patriarchale Geschichtsschreibung zu überwinden und die eigene Geschichte wieder sichtbar zu machen. „Denn wer keine Geschichte hat, hat auch keine Zukunft.“
Rua Sommer betonte die Notwendigkeit, Hoffnung und die Möglichkeit einer anderen Welt zu erlernen und zu hüten. In Deutschland bedeute dies auch, sich selbst und die Menschen im Umfeld immer wieder davon zu überzeugen, dass eine andere Welt möglich sei und dass alle gemeinsam eine große und relevante Verantwortung dafür tragen würden, diese Welt zu erschaffen. Diese Notwendigkeit hätten auch die Zapatistas in ihrer Reise 2021 betont und den aktuellen Stand der Organisierung in Deutschland und Europa kritisiert.
Die Aktivistin fasste die zentralen Aspekte wie folgt zusammen: „Wir müssen lernen zu nehmen, ohne zu stehlen. Zu säen, ohne zu zerstören. Zu hoffen, ohne zu romantisieren. Gemeinsam zu kämpfen, ohne die Vielfalt zu verlieren.“ Um das zu ermöglichen, müssten die Stärken und Mängel, die Fehler und die Errungenschaften, die dazu geführt haben, dass die deutsche Gesellschaft so ist, wie sie sei, analysiert und verstanden werden. Denn die Spaltung der Gesellschaft sei eines der ältesten und effektivsten Mittel der Machtergreifung und der Dominanz über die Gesellschaft. Sexismus, Kolonialismus, Antisemitismus und Klassen seien organisierte Angriffe auf die Gesellschaften. Diese seien sehr alt, doch das Erbe hier beruhe auch auf den zahlreichen Widerständen, die Europa erlebt habe.
Rua Sommer benannte den Demokratischen Konföderalismus als konkrete Möglichkeit, all die wunderbaren und wichtigen Verschiedenheiten der Realitäten weltweit sichtbar zu machen und ein Leben zu ermöglichen, welches der Bedeutung des Lebens gerecht werde. Dies werde möglich, indem sich alle an den Orten organisieren, an denen sie leben.
Die Rednerin ging ebenfalls auf die konkrete Bedrohung des Lebens von Frauen in Deutschland durch Feminizide ein. Denn auch in Deutschland finde jeden Tag ein Feminizidversuch statt und jeden zweiten bis dritten Tag werde dabei eine Frau ermordet. Die Gleichgültigkeit sowie das Schweigen diesen Morden gegenüber sei ohrenbetäubend, die Hexenverfolgung wirke noch immer nach. Die Antwort darauf sei klar: Selbstverteidigung durch Organisierung.
Gemeinsam kämpfen wolle eine der Organisationen sein, die Verantwortung in diesem Kampf übernehme und vorausschauend agieren wolle, die bereit sei, die sich bietenden Möglichkeiten des revolutionären Kampfes zu füllen und den Vorschlag des Demokratischen Konföderalismus in die Realität umzusetzen.
LGBTQI+ Bewegung in der Türkei unter Druck
Die nächste Rednerin war Irem Gelkus von „Frauen sind gemeinsam stark“ aus der Türkei. Sie erinnerte zunächst an die ermordeten und gefangenen kurdischen Journalistinnen, die nicht aufhören würden, die Wahrheit zu sprechen. „Als Frauen und LGBTQI+ möchte ich euch Liebe und Solidarität ausdrücken“, erklärte sie.
„Frauen sind gemeinsam stark“ wurde 2006 gegründet, als der Gesetzentwurf, der Vergewaltigern Straffreiheit gewähren sollte, wenn sie sich bereit erklärten, ihre Opfer zu heiraten, diskutiert wurde. Dies sei der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen brachte. „Frauen sind gemeinsam stark“ habe ein Referendum dagegen organisiert. Gelkus berichtete von dem Versuch einer Kampagne für einen gemeinsamen Kampf, die über das Referendum hinaus aktiv bleiben würde, auch gegen Femizide. Die Erfahrungen von „Frauen sind gemeinsam stark“ zeigten, dass das Engagement von Frauen aus verschiedenen Bereichen möglich sei, auch wenn es nicht immer leicht war, mit all den verschiedenen Frauen zusammenzuarbeiten. Das „Turkey Womens Meeting“ wäre ein Ergebnis dieser Bemühungen, in Istanbul seien tausende Frauen zusammengekommen, um einen Fahrplan für die nächsten Jahre zu erstellen. Trotz vieler Differenzen wäre ein Kommunikationsnetzwerk entstanden, das sich auf Feminzide konzentriere. Weiter ginge es um den Schutz der Rechte von Frauen und eine Forderung nach Frieden. In der Plattform gebe es keine Hierarchien, auch nicht im Sinne von Zentrum und Peripherie.
Es hätte Proteste für ein Recht auf Unterhalt, Solidaritätsproteste mit Arbeiterinnen und gegen die Festnahme von kurdischen Politiker:innen gegeben, gegen staatliche Gewalt in den Gefängnissen und gegen die Aufgabe der Istanbul-Konvention. Obwohl die Plattform in Istanbul ihren Sitz hat, sind viele Proteste überall in der Türkei unterstützt worden, auch personell. Der Zusammenhalt käme aus der Stärke, Seite an Seite zu stehen. Immer schwieriger zu beantworten sei momentan allerdings, wie die aktuelle Agenda aussieht. Angesichts der Angriffe sei es nicht leicht, aus der Defensive herauszukommen. Ziel sei es, die feministische Bewegung auf der Straße zu stärken, aber auch die kurdische Bewegung. Diese sei Teil dieser Plattform und es gebe eine enge Verbindung zu ihr. „Wir müssen immer mehr kämpfen. Zurzeit ist es sogar unglaublich schwer, eine einfache Presseerklärung abzugeben“, fuhr Gelkus fort. Der Staat versuche die digitalen Medien zu beschränken, aus der offiziellen Presse seien sie sowieso längst ausgeschlossen. Ein wichtiges Beispiel für die Repression seien die kurdischen Journalist:innen, die in letzter Zeit verhaftet wurden.
Angesichts der Wahlen im nächsten Jahr finde gerade ein Kongress statt, um die Agenda der aktuellen Situation zu bestimmen. Alle Frauen und LGBTIQ+ seien unter starken Druck. „Wir sind egalitär und demokratisch. Dies ist unsere erste Konferenz, an der wir teilnehmen. Sie ist sehr bedeutsam für uns, ein sehr kraftvoller Platz, um den Kampf von Frauen zu spüren. Frauen sind gemeinsam stark“, schloss Irem Gelkus ihren Beitrag.
Grüße, Solidarität und Liebe vom Volk der Mapuche
Ñizol Lonko Juana Calfunao von den Mapuche-Indigenen aus der von Chile besetzten Gemeinde Cunco in Araucanía war die letzte Rednerin der Sitzung und der Konferenz. Zunächst übermittelte sie Grüße, Solidarität und Liebe vom Volk der Mapuche an die Konferenz, die viel Kraft gebe, da aus vielen Teilen der Welt der Kampf von Frauen spürbar sei. Sie hoffe, dass die vielen Gefangenen, die Sand im Getriebe des Systems seien, bald frei sein werden.
Das Volk der Mapuche habe eine 1400 Jahre alte Geschichte und sei damit älter als alle Kolonisatoren auf dem Land, das heute zum Staat Chile gezählt wird. Erst sie hätten die Unterdrückung der Frauen installiert. Viele Frauen waren bereits kämpfende Frauen. Schon mehr als 150 Jahre lebten die Mapuche unter Besatzung, wurden als Ungläubige bekämpft und heute als Terrorist:innen verfolgt. Teil ihres Selbstverständnisses hingegen sei, selbst Teil der Erde zu sein, statt sie auszubeuten, auf ihr und mit ihr zu leben. Die Mapuche verteidigten die ihnen zustehenden Rechte auf dem Land, das ihnen ihre Vorfahren gaben. Somit sei das Land zentral für das Überleben der Mapuche. Da man Geld nicht essen könne, müssten die Menschen zurück zur Natur.
1973 war ein zentraler Moment für die Rednerin, als sie als Kind ins Gefängnis gesteckt wurde. Sie beschrieb das Aufwachsen in gewaltvollen Verhältnissen: Die Militärpolizei warf sie als Kind in einen Fluss, verhaftete ihre Mutter und schnitt ihr die Haare ab, raubte ihren Schmuck und vergewaltigten sie vor ihren Augen. Seither versprach sie, ihr Leben für ihr Volk zu einzusetzen.
„Die Kinder der Kolonisatoren sind heute Eigentümer:innen des Landes, das den Mapuche gehört. Und plötzlich sind wir Kriminelle auf unserem eigenen Land. Die Grenzen unseres Gebietes wurden vom Staat verschoben und auf ihnen Fabriken und die Minen eröffnet“, so Ñizol Lonko Juana Calfunao. Die Frauen der Mapuche kämpften täglich ums Überleben und dafür, dass die Natur überleben könne. „Wir kennen unsere Geschichte, unseren Schmerz, haben gelitten, kennen Hunger und langjährige Gefangenschaft. Meine Mutter zeigte mir, wie ich gesund bleibe, wie ich atmen kann“, fuhr sie fort. „Viele Organisationen möchten über uns bestimmen, auch eine neue Verfassung sollte für uns geschrieben werden. Doch ich bin keine Chilenin und keine Argentinierin, ich bin Mapuche. Die verfassungsgebende Versammlung wollte uns nur legal unser Land wegnehmen. Manche Mapuche wollten unser Land verkaufen, doch wir Frauen waren schlauer“, so Ñizol Lonko Juana Calfunao.
Es gebe viele Schwestern, die Ökologinnen seien, auch Feministinnen. „Viele wollen Fotos von uns machen, aber wir sind doch keine Ausstellungsstücke“, beschwerte sie sich über die Respektlosigkeit gegenüber den Mapuche, um gleich fortzufahren: „Schwestern, wir können Allianzen schmieden.“
Auch die EU wollte die Mapuche-Organisationen als terroristisch einstufen. „Doch wir sind kein Volk, das Gewalt ausübt. Wir haben 150 Jahre mit dem chilenischen Staat gelebt. Hätten wir den gewaltsamen Weg eingeschlagen, wäre von uns nicht viel übrig geblieben“, fuhr sie fort. „Wir können mit erhobenem Haupt sagen: wir haben nie jemanden getötet.“ Ihre Bitte an die Konferenzteilnehmerinnen: „Bitte schreibt viele Postkarten an die Botschaften und in die Gefängnisse und fordert: Gebt das Land der Mapuche an die Mapuche zurück!“
Im Saal wurde daraufhin die Parole „Las tierras robadas serán recuperadas!“ – „Das gestohlene Land wird zurückgeholt!“ angestimmt. „Vielleicht werde ich verhaftet, wenn ich zurückkehre, dann brauche ich eure Solidarität. Schon mehrmals wurden meine Häuser niedergebrannt“, äußerte Calfunao. „Wie können wir uns als Frauen solidarisch organisieren, gerade wenn wir so weit weg sind?“ fragte sie und zeigte Narben von Verbrennungen und Schlägen, die sie durch Männer erfahren habe. Ihre Abschlussworte richten sich an die gesamte Konferenz: „Die ganz Welt soll die Natur verteidigen!“
Diskussion
Im Anschluss an die vielen Beiträge kämpferischer Frauen wurde die Diskussion eröffnet. Eine Teilnehmerin kritisierte, dass ihr bei manchen Beiträgen die Konkretisierung gefehlt habe. Auch habe ihr gefehlt, Grenzen setzen zu können gegenüber der falschen Freiheit des Konsumismus.
Eine weitere Teilnehmerin, die Friedensaktivistin Sunji, erklärte: „Ich habe mich in gewaltlosem Widerstand trainiert, ihr habt mir beigebracht, wie ich mutig sein kann. Ich bin voller Dankbarkeit. Ihr stellt mein Vertrauen in mich wieder her und das Vertrauen in die Frauenrevolution, ich danke euch so sehr!“
Eine der anwesenden Journalistinnen sagte, die Konferenz habe ihr sehr viel Kraft und Energie gegeben: „Alle Reden waren so schön, vor allem die Sprecherin der Mapuche“. Eine weitere Frau schloss sich dem Gesagten an: „Diese Kulturen des Widerstandes sind alle so ähnlich. Nagihan war eine Freundin aus meiner Kindheit. Sie hat so viele Geschichten und Schmerzen der Frauen zusammengebracht, ich will ihre Träume weiterleben. Wir wurden zu Flüchtlingen gemacht, wie auch die Mapuche, wir kämpfen weiter, wir blühen weiter. Die Liebe ist dieselbe, wir müssen die Schmerzen und die Kräfte vereinigen.“
Zum Abschluss der Konferenz wurde eine gemeinsame Resolution verabschiedet, die in den beiden Tagen erarbeitet wurde. Es handelt sich um einen Aufruf an alle, die ein anderes Leben wollen: „Schließt euch an, lasst uns den gemeinsamen Kampf stärken!“