Der Chefredakteur des türkischen TV-Senders Tele1, Merdan Yanardağ, ist in Istanbul wegen seiner Äußerungen zu Abdullah Öcalan festgenommen worden. Die Istanbuler Generalstaatsanwaltschaft wirft dem 62-Jährigen „Propaganda für eine terroristische Organisation" und das „Loben von Verbrechen und Kriminellen“ vor. Hintergrund ist eine am Sonntag ausgestrahlte Sendung, in der Yanardağ die Isolation von Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali kritisierte.
Der Journalist erklärte in der Sendung „4 Fragen 4 Antworten" auf Tele1, dass die Isolation rechtswidrig sei und aufgehoben werden sollte. Öcalan sei inzwischen über siebzig Jahre alt und seit sehr langer Zeit im Gefängnis isoliert, so Yanardağ: „Wenn normale Vollzugsgesetze gelten würden, müsste er eigentlich freigelassen werden, Hausarrest usw. Die gegen Abdullah Öcalan verhängte Isolation hat im Gesetz keinen Platz. Sie muss aufgehoben werden, denn wir können ihn weder sehen noch hören noch über ihn diskutieren. Wir wissen nicht, ob er zuschaut oder nicht."
Öcalan werde als Geisel festgehalten, gleichzeitig werde mit ihm verhandelt, führte Yanardağ weiter aus und wies auf das strikte Kontaktverbot selbst zu seinen Anwält:innen und Familienangehörigen hin: „Abdullah Öcalan ist kein Mensch, den man auf die leichte Schulter nehmen sollte. Er ist im Gefängnis fast zu einem Philosophen geworden, weil er nichts anderes tut als lesen. Er ist ein äußerst intelligenter Mensch, der die Politik richtig liest, sie richtig sieht und richtig analysiert."
UN-Menschenrechtsausschuss fordert Aufhebung der Isolation
Aufgrund dieser Äußerungen wurde der Tele1-Chefredakteur heute nach seiner Teilnahme an einer Live-Sendung festgenommen. Unterdessen geht die öffentliche Debatte über die Kritik an der Isolation von Öcalan weiter. Inzwischen hat sich auch das Rechtsbüro Asrin, das Abdullah Öcalan und seine drei Mitgefangenen Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş vertritt, in die Diskussion eingeschaltet. Das Anwaltsteam weist in einer Stellungnahme darauf hin, dass seit März 2021 keine Kommunikation mit den Imrali-Gefangenen stattgefunden hat und selbst der UN-Menschenrechtsausschuss die Türkei bereits aufgefordert hat, sofortigen Anwaltskontakt zu ermöglichen.
Die Anwältinnen und Anwälte erklären, dass die Gefängnisinsel Imrali einem Sonderstatus unterliege und die Beschneidung der Grundrechte und Freiheiten ihrer Mandanten eine Form der Folter sei: „Die Tatsache, dass es trotz aller Versuche seit mehr als 27 Monaten keine Nachricht von Herrn Öcalan und den anderen Mandanten gibt, dass alle Verbindungen zur Außenwelt abgebrochen sind und dass keine Informationen über ihren Gesundheitszustand und ihre Haftbedingungen vorliegen, ist derzeit die schwerste Stufe der Folter auf Imrali. Es ist klar, dass diese Praktiken falsch und unrechtmäßig sind. Es sollte auch bekannt sein, dass die Angriffe auf die persönlichen Rechte unseres Mandanten nicht von der Politik getrennt sind.“
Entgegen der vorherrschenden Stimmung hätten Millionen Menschen erklärt, dass Abdullah Öcalan für Freiheit und Demokratie stehe, so die Anwaltskanzlei Asrin. Mehr als drei Millionen Menschen in der Türkei hätten in den Jahren 2006/2007 eine Petition für die Freilassung von Öcalan an die Türkische Nationalversammlung unterzeichnet, über zehn Millionen Menschen hätten sich 2013 mit derselben Forderung an den Europarat gerichtet, heißt es weiter in der Erklärung der Kanzlei, die eine sofortige Umsetzung der Anordnung des UN-Menschenrechtsausschusses fordert:
„Aufgrund unseres Antrags an den Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen im Jahr 2022 gegen die aktuelle Situation auf Imrali übermittelte der UN-Menschenrechtsausschuss am 6. September 2022 eine Aufforderung an die Regierung. Der UN-Menschenrechtsausschuss erinnerte die Regierung am 19. Januar 2023 erneut an seine Aufforderung, Anwaltsgespräche unverzüglich und ohne Einschränkungen zuzulassen. Wir stellen jedoch fest, dass die Regierung dem internationalen Beschluss, zu dessen Einhaltung sie verpflichtet ist, immer noch nicht nachgekommen ist. Die Nichteinhaltung dieses Beschlusses und die Fortsetzung anderer Formen der Isolation stellen den Straftatbestand der Folter sowie den Straftatbestand des vorsätzlichen Fehlverhaltens im Amt dar. Wir richten einen offenen Appell an die Regierung und das Justizministerium: Die Anordnung des UN-Menschenrechtsrates muss sofort umgesetzt werden und der Zustand der Nachrichtenverweigerung und der Folterpraktiken muss ein Ende haben."
Foto: MA