Unsere Korrespondentin Nesrin Deniz hat sich in Qamişlo mit Hîva Erebo aus dem Exekutivrat von Kongreya Star, dem Dachverband der kurdischen Frauenbewegung in Rojava, über die Entwicklungen der Frauenbewegung in Nord- und Ostsyrien im vergangenen Jahr unterhalten. Die Aktivistin berichtet, dass sich die Frauenbewegung insbesondere auch nach der türkischen Invasion in Efrîn für die Aufrechterhaltung des Widerstands der Bevölkerung eingesetzt hat und sich für die Rückkehr der vertriebenen Bevölkerung engagiert. In allen gesellschaftlichen Bereichen habe die Frauenbewegung ihre Organisationsstrukturen ausbauen können.
Kampagne zur Organisierung
„Im Jahr 2019 fanden unter der Parole, ‚Frauen sollen nicht unorganisiert bleiben‘ überall in Nord- und Ostsyrien Aktivitäten statt. In den ersten drei Monaten wurden insbesondere Veranstaltungen, Seminare und Aktionen mit dem Schwerpunkt auf Selbsterkenntnis der weiblichen Identität durchgeführt. Dabei ging es auch um den Kampf gegen die Verleugnung der Frau und mit breit angelegten Aktivitäten um den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen“, berichtet Erebo rückblickend.
„Wir befanden uns in Kontakt mit Frauenorganisationen und Institutionen in ganz Syrien. Wir haben viele Kongresse, Konferenzen, Podiumsdiskussionen und Workshops für Frauenselbstorganisierung an den verschiedensten Orten durchgeführt. Unser Ziel ist es, alle Frauen zu organisieren. Deshalb haben wir die Organisierung in Kommunen und Räten weiterentwickelt. Es wurden Aktivitäten durchgeführt, welche die gesellschaftliche Organisierung und insbesondere die Frauenorganisierung in den Dörfern, Gemeinden und Städten voranbringen. In diesem Rahmen fanden Seminare gegen die patriarchale Mentalität und die Gewaltpolitik gegenüber Frauen statt.“
Nach der Befreiung von Orten wie Tabqa, Raqqa, Minbic und Deir ez-Zor von der Herrschaft der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) hatte Kongreya Star mit dem Ziel, alle Frauen in Syrien zu organisieren, seine Arbeit als Rat der Frauen aus Nord- und Ostsyrien und als Rat der Frauen aus Syrien aufgenommen. Dies stellte einen wichtigen Schritt zur Lösung der Probleme aller Frauen und ihrer Organisierung dar.
Bildungsarbeit
„Auch wichtige Arbeiten im Bereich Bildung haben stattgefunden. Tausende Frauen wurden an den Akademien ausgebildet. Die Bildung für Männer stellte in verschiedenen Regionen einen neuen Schritt dar. Unsere Bildungsprogramme und Pläne gehen in diesem Sinne auch zukünftig weiter“, kündigt Erebo an.
Selbstverteidigung entwickelt sich stark
Außerdem hat es Aktivitäten zur Organisierung der Frauenselbstverteidigung gegeben. 2019 seien Selbstverteidigungsaktivitäten von Frauen, die nach innen gerichtet waren, ebenso wichtig, wie solche gegen Angriffe von außen, berichtet Hîva Erebo. „Auf diese Weise wurde klar, dass die Gewalt gegen Frauen verringert werden kann. In den letzten zwei Monaten haben die Frauen ihre Stellungen bezogen und die Region gegen die Angriffe verteidigt. Das spielte für die Bewusstseinsentwicklung eine wichtige Rolle. Insbesondere die Präsenz der YPJ in der Region gibt viel Kraft und schafft Glauben und Vertrauen in sich selbst. Auch bei den Sicherheitskräften und der Selbstverteidigung spielen die Frauen eine wichtige Rolle. Das gibt den Frauen Selbstvertrauen. Deswegen wollen immer mehr Frauen an der Selbstverteidigung teilnehmen.“
Diplomatische Aktivitäten weltweit
Erebo erwähnt, dass Kongreya Star im letzten Jahr Kontakte zu einer Reihe von Frauenorganisationen weltweit aufgebaut hat und so die Rolle der Frauen im Widerstand von Rojava und die Frauenrevolution rund um den Globus bekannter machen konnte. Durch diese diplomatischen Aktivitäten wurden in etwa 30 Ländern Initiativen unter dem Motto „Women defend Rojava“ gegründet.
Ökonomische Entwicklungen
„Als Kongreya Star wollen wir die Grundlagen des Zusammenlebens mit einem Verständnis von gesellschaftlicher Ökonomie entwickeln. Im Jahr 2019 haben wir 32 neue Frauenkooperativen, vor allem im landwirtschaftlichen Bereich aufgebaut. Das sind natürlich nur wenige. Die Angriffe beeinflussen unsere ökonomische Arbeit besonders negativ. Insbesondere in den vergangenen zwei Monaten führte die Besetzung von Serêkaniyê (Ras al-Ain) und Girê Spî (Tall Abyad) zu großen Schäden in der dort entwickelten ökonomischen Arbeit. Viele Kooperativen wurden vernichtet, die Menschen mussten fliehen und ihre Felder liegen brach“, berichtet Erebo.
Der Dachverband versuche auch die Frauen, die ihre Partner oder Verwandte durch den Krieg verloren haben und nun gezwungen sind, ihre Familien allein zu versorgen, in seine ökonomischen Aktivitäten einzubinden.
Vertriebene Frauen
„In der letzten Zeit wurden allein aus Girê Spî und Serêkaniyê fast 300.000 Menschen vertrieben. In den letzten Monaten arbeiteten wir vor allem auch für die vertriebenen Frauen und Kinder. In der nächsten Zeit werden wir uns mehr mit den Problemen der Ökonomie, Bildung und Gesellschaft befassen.“