Mit Fatma Gül aus Amed (tr. Diyarbakir) ist erneut eine kurdische Aktivistin von der türkischen Justiz als vermeintliche „Terroristin“ verurteilt worden. Der Politikerin wurde in dem Verfahren an diesem Freitag am 10. Schwurgericht Diyarbakir PKK-Mitgliedschaft vorgeworfen. Grundlage waren Aussagen von sogenannten „Zeugen“, die von „illegalen Machenschaften“ bei der Bewegung freier Frauen (Tevgera Jinên Azad), ihrer per Notstandsdekret im Zuge des angeblichen Putschversuchs 2016 verbotenen Vorgängerin „Kongress der freien Frauen“ (Kongreya Jinên Azad, KJA) und dem zivilgesellschaftlichen Dachverband „Demokratischer Gesellschaftskongress“ (Kongreya Civaka Demokratîk, KCD) gewusst haben wollen. Kriminalisiert wurden legale Aktivitäten der kurdischen Frauenbewegung, wie etwa Unterstützungsarbeit für Opfer von patriarchaler und/oder staatlicher Gewalt, Kundgebungen gegen die Zwangsverwaltung in kurdischen Rathäusern und Kampagnen gegen Femizid.
Fatma Gül war bei der Verhandlung nicht persönlich anwesend, sondern wurde über ein Videoliveschaltungssystem in den Gerichtssaal eingebunden. Die Aktivistin war im Juni im Zuge eines Ermittlungsverfahrens gegen Mitglieder des in Amed ansässigen Solidaritätsvereins TUAY-DER (Verein zur Unterstützung von Gefangenenfamilien) verhaftet worden. In ihrer auf Kurdisch gehaltenen Verteidigungsrede wies Gül die Vorwürfe gegen sie als „haltlos“ zurück. Bei den Aussagen der vermeintlichen Zeugen handele es sich vielmehr um „Diffamierungen“ zur Aburteilung des Befreiungskampfes kurdischer Frauen.
Güls Verteidiger*innen Bahar Oktay, Feride Laçin und Şivan Cemil Özen unterstrichen, dass es der Anklage einer juristischen Grundlage fehle, die Aktivitäten ihrer Mandantin legal und daher nicht zu beanstanden seien. Özen wies zudem auf eine Bewertung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hin, wonach es sich beim KCD um eine legale Organisation handelt und die Betätigung für ihn kein Beweis für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation sein kann. „Die Türkei ist als Mitglied des Europarats zur Umsetzung von EGMR-Urteilen verpflichtet“, sagte Özen. Das Gericht blieb unbeeindruckt und verurteilte Fatma Gül zu einer Haftstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten. Ihr Rechtsbeistand hat Berufung angekündigt.
Kurdische Frauenbewegung: Lieblingsvisier der türkischen Justiz
Die kurdische Frauenbewegung gilt als wichtige Akteurin im Kampf um soziale Veränderung in der Türkei und lässt sich von patriarchaler Repression nicht einschüchtern. Insbesondere die TJA zählt zu den Kräften, die das Bestreben des Diktators Recep Tayyip Erdoğan und seiner Regierungskoalition aus AKP und MHP, die Gesellschaft nach ihren Vorstellungen zu islamisieren, regelmäßig und meist erfolgreich abbremsen. Der türkische Staat geht daher systematisch gegen die Frauenbewegungen vor, schließt ihre Einrichtungen und Vereine, kriminalisiert ihre Akteurinnen, um den Frauenkampf zu unterdrücken. Hunderte, wenn nicht sogar tausende Aktivistinnen sitzen unter fadenscheinigen Terrorvorwürfen im Gefängnis.