In der Kurdistan-Region im Irak sind seit Jahresanfang mindestens dreißig Frauen von ihnen nahestehenden Männern ermordet worden. Berichten zufolge nimmt die Gewalt gegen Frauen zu, genaue Fallzahlen gibt es nicht. In vielen Fällen werden Femizide als Selbstmord deklariert und nicht weiter verfolgt.
Ronak Mecîd, Aktivistin der Organisation Freier Frauen in Kurdistan (Rêxistina Jinên Azad ên Kurdistanê, RJAK), kritisiert die Regierungspolitik zum Thema Gewalt an Frauen. Feminizid werde nicht dokumentiert, Schutzmaßnahmen und entsprechende Regelungen werden nicht getroffen. Neben dem Täterschutz seien Frauen auch von den politischen Entwicklungen in der Region bedroht, so die Aktivistin gegenüber MA: „Im Juni sind vier Frauen ermordet worden. Manche Frauen sehen den Tod als Lösung, weil sie allen Arten von Gewalt ausgesetzt sind. Frauen werden wirtschaftlich, gesellschaftlich und kulturell angegriffen. Die momentane Regierung wendet die Gesetze nicht für Frauen an, sondern für ihre eigenen politischen Interessen.“
Ronak Mecîd sagte, Feminizid und Besatzung basierten auf derselben Mentalität. In Südkurdistan gebe es keine Vertretung für Frauen in der Politik und im Parlament, auf der Straße seien sie schutzlos. Die Region werde ausschließlich mit „männlichem Verstand“ regiert: „Die Frauenfrage ist eine politische und historische Frage. Frauen werden ermordet und zu Objekten gemacht. Wenn sie innerhalb des Systems arbeiten und Verantwortung tragen, werden sie nicht als Frauen angesehen. Sie übernehmen die Rolle, die Männer ihnen zuweisen. Das System lässt nicht zu, dass sie eine eigene Rolle spielen. Ihre Vorschläge und Kritiken werden nicht berücksichtigt. Die Wehrlosigkeit von Frauen in der Politik wirkt sich negativ auf die gesellschaftliche Situation von Frauen aus. Je mehr sie schweigen, desto mehr reden die Männer.“
Die klassische Frauenrolle werde generationsübergreifend weitergetragen, erklärte Ronak Mecîd weiter: „Kinder, die in einem gewalttätigen Umfeld aufwachsen, werden seelisch und psychisch beeinflusst. Sie wachsen mit Hass auf Frauen auf. Hier ist keine Frau sicher, Frauen sind immer in Gefahr. Es gibt keine Anstrengungen, um Gewalt gegen Frauen zu verhindern. Deshalb sind Frauen hier nicht sicher, niemand schützt sie. Viele Frauen wenden sich heimlich an uns. Wenn sie es wollen, sprechen wir mit ihren Familien und suchen nach einer Lösung. Es gibt aber auch viele Betroffene, die Angst haben und nichts sagen. Ihnen wird mit dem Tod gedroht. Vor einigen Tagen ist eine Vierzehnjährige, die sich gegen eine Zwangsheirat mit einem Zwanzigjährigen wehrte, mitten auf der Straße von ihrem Vater ermordet worden. Der Täter wurde festgenommen und wieder freigelassen. Wieso wird der Mörder einer Minderjährigen nicht bestraft? Warum werden die Gesetze nicht angewandt? Wenn Frauen sich organisieren und gemeinsam gegen Gewalt wehren würden, wäre das eine gesellschaftliche Revolution. Ein Gesellschaft ohne Frauen ist dem Untergang geweiht. Und genau das beobachten wir hier.“