Selbstverteidigung gegen Femizid: Ezidinnen besuchen Grabstätten

Nach dem Völkermord an der ezidischen Gemeinschaft in Şengal wurden über neunzig Massengräber gefunden. Die Frauenbewegung TAJÊ hat auf einem Friedhof Blumen gepflanzt und zur Selbstverteidigung gegen Femizid aufgerufen.

Freiheitsbewegung ezidischer Frauen

Unter dem Motto „Gegen Femizide - Seid die Stimme der Selbstverteidigung“ hat die ezidische Frauenbefreiungsbewegung TAJÊ (Tevgera Azadiya Jinên Êzidî) am 8. März eine internationale Kampagne initiiert, die bis zum 3. August andauern wird. Mit der Kampagne sollen weltweit Stimmen gegen den systematischen Mord an Frauen gesammelt und sichtbar gemacht werden, Solidarität unter Frauen wird als Befähigung zur Selbstverteidigung verstanden. In Şengal im Nordirak haben Ezidinnen in dieser Woche Gedenkstätten und Gräber ermordeter Frauen besucht.

Şengal ist das letzte zusammenhängende Siedlungsgebiet der ezidischen Gemeinschaft. Am 3. August 2014 überfiel die Terrormiliz „Islamischer Staat“ Şengal mit dem erklärten Ziel, die Glaubensgemeinschaft der Ezidinnen und Eziden auszulöschen. Durch systematische Massakrierung, Vergewaltigung, Folterung, Vertreibung, Versklavung von Mädchen und Frauen sowie der Zwangsrekrutierung von Jungen als Kindersoldaten erlebte die ezidische Gemeinschaft den von ihr als Ferman bezeichneten 74. Völkermord in ihrer Geschichte. Mindestens 10.000 Menschen fielen Schätzungen nach den Massakern des IS zum Opfer. Mehr als 400.000 Menschen wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Über 7.000 Frauen und Kinder wurden verschleppt, bis heute werden 2.800 Frauen und Kinder vermisst. Daher stellt dieser Genozid in seiner Form zugleich auch einen Femizid dar. Die einzigen Kräfte, die die ezidische Gemeinschaft damals verteidigten, waren die PKK-Guerilla und die YPG/YPJ.



Nach dem Massaker wurden in Şengal über neunzig Massengräber gefunden. Ein Teil der Leichen wurde exhumiert und beigesetzt, Dutzende Fundstellen sind immer noch unberührt. Aktivistinnen der ezidischen Frauenbewegung TAJÊ haben am Freitag an einer Grabstätte in Herdan der Toten gedacht. Eine Sprecherin sagte, dass kein weiterer Femizid zugelassen werden darf und Frauen sich dagegen wehren müssen. Auf dem Friedhof wurden Blumen und Setzlinge gepflanzt.



Die Kampagne der ezidischen Frauenbewegung hat fünf zentrale Forderungen: Femizid muss als Kriegsverbrechen anerkannt und alle Täter und Unterstützer müssen verurteilt werden. Das Recht von Frauen auf organisierte Selbstverteidigung muss gesellschaftlich und institutionell Akzeptanz finden. Das vom IS vor zehn Jahren in Şengal begangene Massaker muss auf allen Ebenen offiziell als Völkermord eingestuft und entsprechend verfolgt werden. Weiter fordert die TAJÊ die Anerkennung der nach 2014 in Şengal etablierten Selbstverwaltung und Sicherheitskräfte als legitime Vertretung und Verteidigung der Gemeinschaft. Als überlebensnotwendig fordert die Bewegung zudem die Einstellung aller Angriffe auf die ezidische Gesellschaft ein, vor allem der Luftangriffe durch den türkischen Staat. Bis zum 3. August, dem zehnten Jahrestag des Genozids und Femizids in Şengal, sollen Stimmen von Frauen und Frauenorganisationen in dieser Kampagne zusammengebracht werden. Die TAJÊ lädt dazu ein, sich mit vielfältigen Methoden daran zu beteiligen, so etwa durch Fotos, Videos, Texte, Lieder, Gedichte, Kundgebungen und Demonstrationen.

Fotos: RojNews