Die Leitung des Hochsicherheitsgefängnisses Kandıra hat Disziplinarverfahren gegen mehrere Insassinnen eingeleitet. Hintergrund sind Proteste, die nach dem Tod der politischen Gefangenen Garibe Gezer ausgebrochen sein sollen. Die 28-jährige Kurdin war am Donnerstag nach erlittener Folter in Einzelhaft in der Vollzugsanstalt in der Provinz Kocaeli ums Leben gekommen. Das endgültige Obduktionsergebnis steht noch aus, in einem vorläufigen Bericht werden keine Angaben zur Todesursache gemacht. Die Vollzugsleitung spricht von Suizid.
Wie viele Gefangene genau sich nun Disziplinarmaßnahmen ausgesetzt sehen, ist unklar. Die HDP-Vizefraktionsvorsitzende Meral Danış Beştaş brachte das Vorgehen der Gefängnisleitung am Montag während einer Haushaltsdebatte im türkischen Parlament zur Sprache. Beştaş sprach von „dutzenden Frauen“, die mit Strafen belegt werden sollen, weil sie ihrer Trauer und dem Entsetzen über den Tod von Garibe Gezer „mit lautem Applaus“ Luft gemacht hätten. Unter ihnen befinden sich laut Beştaş auch prominente Politikerinnen der HDP und ihrer Schwesterpartei DBP, die seit Jahren in politischer Geiselhaft gehalten werden. Bei drei der Betroffenen handelt es sich um Gültan Kışanak, Figen Yüksekdağ und Gülser Yıldırım, die im November 2016 verhaftet worden waren.
Bild der berühmten drei Affen im Regierungsblock
„Es ist bezeichnend, dass die Vollzugsleitung im Eiltempo gegen unsere Freundinnen vorgeht, um vermeintliche Regelverstöße zu sanktionieren, während noch immer kein Ermittlungsverfahren zur Klärung der Todesursache von Garibe Gezer eingeleitet wurde“, kritisierte Beştaş im Parlament. Auch zeigte sich die Politikerin, die 1998 aufgrund ihrer Tätigkeit als Anwältin mit dem Menschenrechtspreis der Stadt Weimar ausgezeichnet wurde, entsetzt darüber, dass sich das Justizministerium bislang nicht zum Tod von Gezer geäußert hat. Im Regierungsblock biete sich wieder einmal das Bild der berühmten drei Affen, die nichts sehen, nichts hören und nichts sagen. „Als HDP fordern wir die sofortige Aufnahme eines Todesermittlungsverfahrens und ein juristisches Nachspiel für die Verantwortlichen“, so Beştaş.
Inhaftierter Bruder darf nicht zur Trauerfeier
In einem Trauerzelt in Garibe Gezers Geburtsstadt Kerboran (tr. Dargeçit) in der Provinz Mêrdîn herrschte die letzten Tage hoher Andrang. Die Anteilnahme der kurdischen Bevölkerung nach dem Tod der 28-Jährigen war groß, aus zahlreichen Städten reisten Menschen für Kondolenzbesuche an. Eine Person fehle allerdings: Haşim Gezer. Dem 2017 unter der Begründung, Kerboran nach der Ausrufung der Ausgangssperre im Dezember 2015 nicht verlassen zu haben, zu 22 Jahren Gefängnis verurteilten Bruder von Garibe Gezer wurde verweigert, an der Trauerfeier für seine Schwester teilzunehmen. Die für die Strafvollzugsanstalt in Xarpêt (Elazığ) zuständige Staatsanwalt begründete die Ablehnung eines entsprechenden Antrags mit „Sicherheitsgründen“.