Nach Femizid an Studentin: Proteste in der Türkei reißen nicht ab

Nach dem Mord an der 27-jährigen Studentin Pinar Gültekin in Muğla sind Frauen erneut in zahlreichen Städten in der Türkei gegen patriarchale Gewalt auf die Straße gegangen.

Erneut sind in mehreren Städten der Türkei Frauen auf die Straße gegangen, um gegen patriarchale Gewalt zu protestieren. Hintergrund ist der äußerst brutale Mord an der 27-jährigen Studentin Pinar Gültekin vergangene Woche in Muğla, die sich im letzten Jahr ihres Wirtschaftsstudiums befand. In der südtürkischen Provinz Hatay bekräftigte der Frauenrat Iskenderun erneut seine Forderung, die Istanbul-Konvention umzusetzen. Nahezu täglich werden in der Türkei Frauen Opfer eines Femizids, dennoch diskutiert die Regierungspartei AKP darüber, ob sie aus dem Übereinkommen zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen austreten soll - weil sie traditionelle Werte untergrabe.

„Wir trauern nicht, wir sind im Widerstand“, „Stoppt nicht uns Frauen, sondern Männergewalt“ und „Gesetz Nr. 6284 umsetzen, Femizide verhindern“ stand auf den Transparenten und Schildern der Aktivistinnen, die sich am Platz des alten Flohmarkts versammelt hatten, um durch die Hafenstadt Iskenderun zu marschieren. Immer wieder riefen sie die Namen von Frauen, die von Partnern, abgewiesenen Verehrern oder männlichen Verwandten getötet wurden, und sagten: „Diese Frauen sind unsere Würde“.

Die Demonstration endete im Boyacilar-Park mit einer abschließenden Kundgebung. Belgin Ayrancı Kartal von der Frauenplattform sagte: „Wegen der patriarchalen Strukturen in dieser Gesellschaft und täglich stattfindenden Femiziden wird uns Frauen die Luft zum Atmen genommen. Wir wollen endlich leben.” Niemand sollte glauben, dass Frauen ihren Kampf um Freiheit aufgeben und von den Straßen und Plätzen weichen werden, fügte sie hinzu. „Die eng gestrickte Solidarität unter Frauen wird die von Mördern und Vergewaltigern dominierte ‚Justiz‘ stürzen und Gerechtigkeit wahren lassen.“ 

Pinar Gültekin war bereits die 146. Frau, die dieses Jahr nach einer Zählung der Plattform Kadın Cinayetlerini Durduracağız (deut. „Wir stoppen Frauenmorde“, kurz KCDP) aufgrund ihres Geschlechts in der Türkei ermordet wurde. Die Frauenrechtlerinnen der Organisation, die Gewalt gegen Frauen erfasst und sich zur Aufgabe gemacht hat, öffentlich über Femizide aufzuklären und diese zu verhindern, verlangen seit Jahren langjährige Haftstrafen für Täter zur Abschreckung und kritisieren, dass Richter bei der Strafzumessung einen viel zu weiten Ermessensspielraum haben. Viel zu oft gebe es Strafnachlässe für angeblichen Affekt, für Reue und oft sogar für gute Führung, nur weil der Täter in Anzug und Krawatte vor Gericht erscheint, beklagen die Aktivistinnen.