Kongreya Star feiert 16-jähriges Bestehen

Seit 2005 gibt es in Rojava eine organisierte Frauenbewegung: Kongreya Star folgt als Frauenorganisation der Maxime, dass keine Frau ohne Organisierung zurückgelassen werden soll. Heute feiert der Dachverband sein 16-jähriges Bestehen.

Der Dachverband der Frauenbewegung in Nord- und Ostsyrien, Kongreya Star, feiert sein 16. Gründungsjubiläum. Die Organisation setzt sich dafür ein, dass Frauenrechte im gesellschaftlichen System verankert sind: „Frauen müssen sich selbst organisieren. Nur dann können sie die bestehenden patriarchalen Strukturen herausfordern und machbare, nachhaltige Alternative schaffen. Ohne die Freiheit der Frauen ist eine wirklich freie Gesellschaft unmöglich“, lautet das Selbstverständnis von Kongreya Star.

Anlässlich des 16-jährigen Bestehens hat Kongreya Star eine Erklärung abgegeben. Darin wird zunächst ein Gruß an Abdullah Öcalan gerichtet. In Nord- und Ostsyrien wird der demokratische Konföderalismus umgesetzt – ein Versuch zur Überwindung von Macht. Die Idee, die auf Öcalan und seiner Rezeption des anarchistischen Theoretikers Murray Bookchin zurückgeht, zielt darauf ab, die nationalstaatliche Verfasstheit von Gesellschaft zu überwinden und Demokratie zu radikalisieren. Die autonome Organisierung und Beteiligung von Frauen spielen darin eine zentrale Rolle. Hier kommt Kongreya Star ins Spiel, denn der Dachverband gilt als wichtige Akteurin im Kampf um soziale Veränderung Rojava.

„Wir gratulieren all unseren Weggefährtinnen, den Fackeln unserer Revolution und Symbolen unseres Widerstandes, den Gefallenen Sakine Cansız, Bêrîtan, Zîlan, Leyla Agirî, Hevrîn Xelef, Mutter Aqide, Arîn Mirkan, Zehra Berkil, Amara, Avesta und allen anderen Unsterblichen, die gefallen sind, um die Freiheit der Frauen auf die höchste Stufe zu tragen. In unserem 16-jährigen Kampf haben wir viele Erfolge erzielt und große Leistungen erbracht. Die Revolution vom 19. Juli ebnete uns Frauen den Weg und bewies die Tiefe des Paradigmas von Rêber Apo.

Mit dem Massaker an unseren drei Freundinnen Amina Waysî, Zehra Berkel und Hebûn Mele Xelîl in Helincê bei Kobanê sind alle Frauen, die ein freies und selbstbestimmtes Leben fordern, zur Zielscheibe geworden. Mit der Stimme unserer Revolution sagen wir, dass wir den Kampf gegen alle Arten von brutalen Angriffen, die sich gegen uns richten, verstärken werden. Wir versprechen, unserem Paradigma zu folgen, bis wir einen revolutionären Geist aufbauen, der eine Antwort auf alle systematischen Angriffe auf unser Volk, insbesondere auf Frauen, ist. Wir rufen alle Frauenorganisationen und Menschenrechtsorganisationen auf, ihre Pflichten zu erfüllen, um die Rechte der Frauen zu schützen, die im Nahen Osten und in der Welt, insbesondere in Nord- und Ostsyrien, den Frieden anführen und für Demokratie und Freiheit kämpfen.“

Von Yekîtiya Star zu Kongreya Star

Die Frauenbewegung in Rojava wurde 2005 unter dem Namen Yekîtiya Star gegründet. Ihre Aktivistinnen waren massiven Repressionen wie Verhaftung und Folter durch das syrische Baath-Regime ausgesetzt. Trotz schwerster Bedingungen haben sie mit ihrer Arbeit Grundlagen für Frauenorganisierung geschaffen, indem sie in allen westkurdischen Städten mit dem Aufbau von Frauenräten und -kommunen begannen. Dabei konnten sie auf die 30-jährige Erfahrung der kurdischen Frauenbewegung aus allen Teilen Kurdistans zurückgreifen.

Auf ihrem 6. Kongress im Februar 2016 haben sie sich umbenannt in Kongreya Star. Star ist in der kurdischen Mythologie der Name der Göttin Ischtar (Inanna) und bedeutet im heutigen Sprachgebrauch auch Stern. In Kongreya Star organisieren sich Frauen und Frauenorganisationen auf kommunaler, städtischer und kantonaler Ebene autonom und übernehmen ebenso engagierte Verantwortung in der gesamtgesellschaftlichen Organisierung. Durch dieses doppelte Engagement wird von der Frauenbewegung aktiv die Gesellschaft von einer patriarchalen in eine geschlechterbefreite umgestaltet und in allen Lebensbereichen die Perspektiven der Frauenbewegung eingebracht.

So ist Kongreya Star treibende Kraft für das friedliche Zusammenleben aller Interessengemeinschaften, Ethnien und Religionsgruppen in einer demokratischen, ökologischen und geschlechterbefreiten Gesellschaft. Sie ist eine Plattform für die Einheit der Frauen verschiedener politischer Parteien, Ethnien und Religionen in Rojava wie arabischen, assyrischen und kurdischen, ezidischen, muslimischen, alevitischen und christlichen Frauen. In den befreiten Städten Westkurdistans wurden Frauenkomitees, -zentren und -akademien ins Leben gerufen, um die aktive Beteiligung von Frauen an der Umgestaltung der Gesellschaft zu ermöglichen. Die dort gebotene Bildung reicht von Themen wie demokratische Autonomie, Selbstverteidigung, Kultur, Ökologie, die Geschichte der Frau, Sexismus und Frauenrechte bis hin zu gesundheitlichen Themen. Ein Schwerpunkt liegt auf Alphabetisierung und Unterricht in kurdischer Sprache. An vielen Orten wurden Frauenhäuser eröffnet. Die Frauenhäuser sind Bildungs- und Beratungszentren, in denen sich die Frauen treffen, in denen Bildungs- wie auch Beratungsarbeit stattfindet. Die Frauenräte sind das verbindende und beschlussfassende Gremium aller Frauen auf Stadt- bzw. Kantonsebene. In allen Städten Westkurdistans und in den syrischen Städten, in denen viele Kurden leben, wurden Frauenräte mit 150 bis 250 Mitgliedern gewählt, um die politischen Interessen von Frauen zu vertreten und den Aufbau einer demokratisch-ökologischen, geschlechterbefreiten Gesellschaft voranzutreiben.

Ausweitung des Arbeitsgebiets

Die Frauenräte entsenden Vertreterinnen in die allgemeinen Volksräte, um dort Ideen, Wünsche und Forderungen der Frauenbewegung einzubringen. Zudem besteht in den gemischtgeschlechtlichen Strukturen auf allen Ebenen eine Doppelspitze, bestehend aus einer Frau und einem Mann (z.B. in den Räten selbst, in der größten westkurdischen Partei, der Partei der Demokratischen Einheit (PYD), in den Stadtverwaltungen etc.). Durch die autonome Organisierung der Frauen werden Frauenrechte auf allen Ebenen der Gesellschaft verteidigt, das heißt ideologisch, politisch und auch sozial. Das Wissen, die Gedanken, die von Frauen geschaffenen gesellschaftlichen Werte und ihre historischen Kämpfe finden eine besondere Anerkennung. Mit der Ausrufung der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien hat sich auch das Arbeitsgebiet von Kongreya Star ausgeweitet.