Hasret Alp: „Das Bedürfnis nach Gerechtigkeit ist größer denn je“

Die HDP-Politikerin Hasret Alp erläutert im ANF-Interview die Ziele und den Hintergrund der Gerechtigkeitskampagne der HDP.

Die Demokratische Partei der Völker (HDP) führt eine Gerechtigkeitskampagne durch, die vom Frauenrat mit der Devise „Gerechtigkeit für Frauen“ untermauert wird. Hasret Alp ist Mitglied des Exekutivrats der HDP und hat sich im ANF-Interview zum Inhalt und den Zielen der Kampagne geäußert.

Was ist das Ziel Ihrer Gerechtigkeitskampagne und warum halten Sie eine solche Kampagne für notwendig?

Von der in der Türkei herrschenden Ungerechtigkeit sind vor allem Frauen betroffen. Die Frauen sind wütend und es ist die Frauenbewegung, die am meisten für gesellschaftliche Gerechtigkeit kämpft. Im herrschenden System gibt es keine Gerechtigkeit für Frauen. Ganz im Gegenteil, die erkämpften Errungenschaften von Frauen sollen rückgängig gemacht werden. Das Gesetz Nr. 6284 zum Schutz von Frauen oder die Istanbul-Konvention werden nicht umgesetzt. Die Politik der Straflosigkeit und die Angriffe auf die erreichten Gewinne der Frauenbewegung haben Anteil an jedem Mord an Frauen. Es handelt sich um einen Feminizid.

Männer, die Frauen ermorden, misshandeln und vergewaltigen, werden durch die Politik der Straflosigkeit geschützt. Gleichzeitig werden täglich Aktivistinnen festgenommen, die für Frauenbefreiung kämpfen. Frauen, die gegen die Übergriffe von Männern wehren und in Notwehr zur Selbstverteidigung greifen, werden verhaftet und angeklagt. Frauen sind ohnehin von allen Formen von Gewalt betroffen, und in der Pandemie hat sich die Lage von Frauen extrem verschlechtert. Aus diesem Grund haben wir festgestellt, dass ein besonderer Bedarf nach Gerechtigkeit für Frauen besteht.

Was sind Ihre konkreten Ziele dabei?

Anstatt Feminizide zu verhindern, bekämpft die politische Macht Frauen. Als kurdischer Frauenbewegung und als Frauen aus feministischen und sozialistischen Zusammenhängen ist uns bewusst, dass die monistische Denkweise das grundlegende Element bei Feminiziden ist. Freiräume von Frauen werden vom patriarchalen Herrschaftssystem zerstört und überlebenswichtige Fraueneinrichtungen werden geschlossen. Es findet ein Feminizid statt, die Arbeitskraft von Frauen wird ausgebeutet und unsichtbar gemacht, Muttersprachen werden assimiliert und der Willen von Frauen wird systematisch übergangen. All das wird politisch gefördert und umgesetzt.

In diesem Bewusstsein arbeiten wir in unserer Kampagne mit allen Frauenbewegungen zusammen. Gegen die geballten Angriffe können wir nur mit einem gemeinsamen und organisierten Kampf vorgehen.

Für welchen Zeitraum ist die Kampagne gedacht und welche Aktivitäten sind geplant?

Wir haben im Februar begonnen und tragen unsere Forderung nach Gerechtigkeit für Frauen in die Öffentlichkeit. In der ersten Märzwoche sind zahlreiche Aktivitäten geplant. Nach dem internationalen Frauenkampftag am 8. März wird es bis zum 1. Mai vor allem um die ökonomischen Probleme von Frauen gehen: Frauenarmut, soziale Absicherung, Ausbeutung, Arbeitslosigkeit und soziale Gerechtigkeit.

Möchten Sie einen Appell an die Frauen und die Gesellschaft richten?

Von den Angriffen der Regierung sind alle Völker betroffen. Von der Frauenbewegung über die Studierenden bis zur Arbeiterbewegung sind alle gesellschaftlichen Gruppen mit einer repressiven Politik der Einschüchterung und Ausbeutung konfrontiert. Unsere Freundinnen und Freunde in den Gefängnissen erleben eine Isolation innerhalb der Isolation, es finden schwerste Menschenrechtsverletzungen statt. Das Bedürfnis nach Gerechtigkeit ist größer denn je. Wir sind der Meinung, dass soziale Gerechtigkeit für alle gesellschaftlichen Gruppen ein vorrangiger Bedarf ist. Vor allem als Frauen beziehen wir unsere Stärke aus dem organisierten Kampf. Auf dieser Grundlage rufen wir die Völker der Türkei, die Frauen, die Unterdrückten, die Jugend und die Oppositionsparteien zur Unterstützung unserer Kampagne auf.