HDP: Unsere Kräfte bündeln und gemeinsam kämpfen

Mit der Kampagne „Gerechtigkeit für alle“ deklariert die HDP die Abschaffung des soziales Ungleichheitsgefüges in der Türkei zum Dreh- und Angelpunkt ihres politischen Wirkens: „Es liegt in unseren Händen, die Ungerechtigkeiten aus dem Weg zu räumen.”

Die Demokratische Partei der Völker (HDP) hat am Montag das mit Spannung erwartete Programm ihrer Kampagne „Gerechtigkeit für alle“ vorgestellt. Im zentralen Handlungsinteresse der Initiative steht der gemeinsame Kampf gegen Ungerechtigkeit und für Freiheit, Solidarität und soziale Gerechtigkeit. „Alle demokratischen und gesellschaftlichen Oppositionskräfte in der Türkei, alle Menschen mit Gewissen sind aufgerufen, ihre Potenziale gegen dieses ungerechte und autoritäre Regime zu bündeln und ihre Kämpfe zu verbinden“, erklärten die Parteivorsitzenden Pervin Buldan und Mithat Sancar. Je mehr Menschen außerhalb der HDP eingebunden werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs. Der Aktionszeitraum der Kampagne ist bis Juni angesetzt.

„Die Türkei ist seit langer Zeit mit einer wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krise konfrontiert, welche mit Hilfe des Präsidialsystems, einer auf Ungerechtigkeit und Ungleichheit basierenden Regimeform, alle Bereiche des Lebens verseucht hat“, heißt es einleitend in der Deklaration der Kampagne. Der von der AKP/MHP-Regierung hervorgerufene Zerfall, die Nichtlösbarkeit von Problemen und die Ausweglosigkeit in den Gebieten Wirtschaft, Justiz, Bildung, Gesundheit, Politik und Kultur zwingt der Gesellschaft ein Leben auf, dessen Anblick bereits nur sehr schwer zu ertragen sei.

Dringendstes Problem der gegenwärtigen Türkei: Fehlen von Gerechtigkeit

„Ob Verhältnisse wie Korruption, Diskriminierung oder Bevorzugung, die in der heutigen Türkei als alltäglich gelten, oder Gewalt, Hassrede und eine vehemente Drohsprache sowie die sexistische und marginalisierende Mentalität: all dies polarisiert die Gesellschaft.“ Das Hervorheben von Gegensätzen zur gezielten Festigung von Feindbildern bestimme immer mehr den öffentlichen Diskurs. Auf diese Weise versuche die Regierung, ihr Überleben zu garantieren. Gleichzeitig untergrabe sie aber menschliche Werte und damit das Fundament einer Gesellschaft, ziehe die Menschen in einen „Strudel moralischer Degeneration“ und erzwinge den sozialen Zerfall.

„Wenngleich jede dieser Krisen ihre eigenen Konsequenzen nach sich zieht, kommt es in der Summe zu einem gemeinsamen Ergebnis: Ungerechtigkeit. Eine Gesellschaft kann nur mit Gerechtigkeit existieren. Gibt es keine Gerechtigkeit, zerfällt die Gesellschaft und den Zusammenbruch des Landes wird nichts mehr aufhalten. Schneidet man die Gerechtigkeit aus dem sozialen und politischen Leben heraus, bleibt nichts weiteres übrig als eine Ordnung der Lügen, Ausbeutung und Unterdrückung – so wie es heute der Fall ist. Das größte und vor allem dringendste Problem der heutigen Türkei ist das Fehlen von Gerechtigkeit. In der Geschichte gab es nicht häufig Zeiten wie diese, in denen Gerechtigkeit, Gewissen und Moral ignoriert und Lügen, Grausamkeit und Heuchelei für bare Münzen genommen wurden.”

Ungerechtigkeit ist die Basis des Regimes

Von der Justiz bis zu Frauenrechten, von steuerlichen Abgaben bis zu Löhnen,  von Arbeitnehmerrechten bis zu Verbraucherrechten, vom Zugang zu Gesundheit bis zum Recht auf angemessenen Wohnraum; vom Recht auf freie Meinungsäußerung bis zu den Rechten von behinderten Menschen, von Kinderrechten bis zu Tierrechten, vom Recht auf Frieden bis zum Recht auf Leben, vom Recht auf Wasser und Land bis zu ökologischen Rechten – ganz gleich um welche Art von sozialer Gerechtigkeit es geht, ob Leistungsgerechtigkeit, Chancengerechtigkeit, Bedarfsgerechtigkeit oder Verteilungsgerechtigkeit: „Überall ist die Ungerechtigkeit die Basis des Regimes. Es weiß, dass es seine Illegitimität, sein System aus Korruption und seine Verbrechen gegen die Menschlichkeit nur nach dem Prinzip der Ungerechtigkeit aufrechterhalten kann. Das ist der Antrieb für dieses Regime, die Gesellschaft zu einem ungerechten Leben zu verurteilen, den Menschen sein System aufzuzwingen und diejenigen, die nach Gerechtigkeit suchen, zum Feindbild zu erklären.”

Das soziale Ungleichheitsgefüge, das die HDP abschaffen will:

* Ungerechtigkeit und Armut in der Wirtschaft

* Ungerechtigkeit in der Politik und im Treuhandregime

* Ungerechtigkeit und Gesetzlosigkeit bei der Justiz

* Ungerechtigkeit in der Anerkennung verschiedener Identitäten

* Ungerechtigkeit in Gefängnissen

* Ungerechtigkeit an jungen Menschen

* Geschlechterungerechtigkeit

* Ungerechtigkeit in Gesundheit und Bildung

* Klimaungerechtigkeit

Politik und Banditentum

„Obwohl jede Ungerechtigkeit eine Gesellschaft, eine politische Macht, eine Interessengruppe mehr oder weniger als die andere betrifft, ebnet eine Ungerechtigkeit den Weg für eine andere. Ungerechtigkeit ist zu einem Herrschaftsprinzip geworden, und Korruption durchdringt die gesamte Gesellschaft. Ein solches soziales und moralisches Klima bietet in der Gesellschaft eine geeignete Grundlage für das Gedeihen des gewöhnlichen Faschismus.” Die AKP/MHP-Regierung sei durchsetzt aus Gangstern und habe schon längst den politischen Kampf in Banditentum umschlagen. Einige Politiker rühmten sich dafür, ihre „Rivalen” verprügelt zu haben. Jede Brutalität, die ungestraft bleibt, führe zu noch aggressiveren Angriffen und je bewusster der Regierung ihr Machtverlust wird, desto wütender werde sie. „Gewalt ist der Schlüssel zur Beilegung aller Konflikte geworden, Verunglimpfung wird zur allgemeingültigen Sprache und es entsteht ein Klima der Angst.

Es ist nicht mehr möglich, diese Ordnung der Ungerechtigkeit aufrechtzuerhalten. Es ist die gemeinsame Pflicht aller, die sich nach Gerechtigkeit sehnen, diesen gefährlichen Kurs zu beenden, allen Teilen der Gesellschaft das Atmen zu ermöglichen und eine Plattform zu schaffen, auf der Probleme durch Verhandlungen und Dialog gelöst werden können. Wir können Gerechtigkeit nur mit all unseren Unterschiedlichkeiten erreichen, Hand in Hand und durch einen gemeinsamen Kampf. Die Zeit ist reif, Gerechtigkeit für alle zu sagen.

Wir werden die Stimme und der Atem der nach Gerechtigkeit strebenden Gesellschaft sein. Wir werden die Forderungen nach Gerechtigkeit in allen Bereichen in den Mittelpunkt unseres politischen und sozialen Kampfes stellen. Unser Aufruf richtet sich an die politische und gesellschafltiche Opposition sowie alle Bürgerinnen und Bürger: Wir müssen gemeinsam nach Gerechtigkeit für alle rufen, bevor es zu spät ist und die Regierungskoalition unsere Völker noch tiefer in Not, Armut, Hunger und Elend sowie wirtschaftliche, politische, ökologische und soziale Zerstörung führt. Es liegt in unseren Händen, ein demokratisches, gleichberechtigtes und gerechtes Land aufzubauen.”

Die vollständige Deklaration der HDP-Kampagne „Gerechtigkeit für alle“ ist auf Türkisch.