Seit September 2021 sitzt die Kurdin Hanse Bulut in einem türkischen Gefängnis. Als Grundlage hält ein rechtskräftiges Urteil über zwei Jahre Freiheitsstrafe wegen vermeintlicher Unterstützung für eine „Terrororganisation“ her. Die türkische Justiz wirft der 66-Jährigen vor, ihre Geburtsstadt Nisêbîn (tr. Nusaybin) nach Ausrufung einer Ausgangssperre im Zuge des „Städtekriegs“ 2015 nicht verlassen zu haben. Außerdem soll sie Personen, die sich am Widerstand gegen die brutale Militärbelagerung beteiligten, mit Nahrung versorgt haben.
Da Hanse Bulut drei Viertel ihrer Haftstrafe bereits verbüßt hat, stand für den morgigen Montag ihre Entlassung aus dem geschlossenen Frauengefängnis Şakran bei Aliğa im Norden der westtürkischen Küstenprovinz Izmir an. Doch daraus wird vorerst nichts. Die Vollzugskommission hat der Seniorin, die sich in Freiheit für die Initiative der Friedensmütter engagierte, eine „schlechte Prognose“ gestellt. Ihr Sohn Abdullah erklärt: „Auf die Frage, ob sie Reue für ihre Taten zeigen wolle, hat meine Mutter angegeben: ‚Ich habe nichts getan, das ich bereuen könnte.‘ Nur deshalb kommt sie nicht frei.“
Die angeblich fehlende Eignung für die Haftentlassung Buluts ergab eine auf Grundlage der „Reuegesetzgebung“ durchgeführte „Tauglichkeitsprüfung zur Erforschung von Persönlichkeit und Lebensverhältnissen“ der Gefangenen, wie es im türkischen Justiz-Jargon heißt. Ihr Sohn zeigt sich empört. „Meine Mutter wurde zu einer Haftstrafe verurteilt, die sie gar nicht hätte verbüßen sollen. Man hat sie als ‚Terroristin‘ verurteilt, weil sie Nisêbîn nach Verhängung der Ausgangssperre nicht verlassen hat. Sie konnte ja noch nicht mal vor ihre Haustüre treten, wie hätte sie aus der Stadt verschwinden sollen?“
Abdullah Bulut ist nicht nur wütend. „Ich mache mir Sorgen um die gesundheitliche Verfassung meiner Mutter. Sie leidet unter diversen Erkrankungen, darunter Hypertonie und Diabetes. Ihre Beschwerden haben sich in Haft verschlimmert. Auch deshalb finden wir es unmenschlich und gewissenlos, dass ihre Haftentlassung offensichtlich willkürlich verzögert wird. Als ihre Familie fordern wir die Behörden auf, unsere Mutter umgehend freizulassen.“