Gerechtigkeit für Sara, Rojbîn und Ronahî gefordert

Auch in deutschen Städten ist heute die Bestrafung der Mörder von Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez gefordert worden. „Wir kennen den Mörder, er muss vor Gericht gestellt werden“, hieß es mit Verweis auf den türkischen Diktator Erdoğan.

Nicht wie in den vergangenen Jahren in Paris, dem Ort des Massakers, sondern Pandemie-bedingt dezentral, wurde heute weltweit Sakine Cansız (Sara), Leyla Şaylemez (Ronahî) und Fidan Doğan (Rojbîn) gedacht. Auch in zahlreichen deutschen Städten sind Menschen auf die Straße gegangen, um an die drei kurdischen Revolutionärinnen zu erinnern und die Bestrafung der Verantwortlichen für das tödliche Attentat am 9. Januar 2013 zu fordern.

In Hamburg beteiligten sich mehrere hundert Menschen an einer Demonstration vom Hauptbahnhof zum Dammtorbahnhof. Zunächst wurde eine Schweigeminute abgehalten, zwei Sprecherinnen der TJKE bzw. des Frauenrates Rojbîn begrüßten die Teilnehmer*innen auf Deutsch und Türkisch. Eine Sprecherin von „Gemeinsam Kämpfen“ erklärte: „Die Morde reihen sich ein in eine Selbstverständlichkeit, eine Normalität von Feminiziden, von Morden an Frauen, weil sie Frauen sind. Sara, Rojbîn und Ronahî wurden nicht nur ermordet, weil sie Frauen waren. Sie wurden ermordet, weil sie Frauen waren, die die Entscheidung getroffen hatten, für alle Frauen, für alle Menschen eine bessere Welt zu schaffen.“

Auf dem Weg durch die Hamburger Innenstadt blieben viele Menschen stehen, um den Redebeiträgen zuzuhören. Immer wieder wurde gerufen „Sara, Rojbîn Ronahî, Jin Jiyan azadî!“ Auch auf die Kampagne der TJK-E „100 Gründe, um den Diktator zu verurteilen“ wurde immer wieder hingewiesen und die Verurteilung Erdoğans und der AKP-Regierung gefordert: „Es gibt Tausende Gründe, Erdoğan vor Gericht zu stellen. Wir sagen: Erdoğan hat den Befehl für das Massaker von Paris gegeben, er muss verurteilt werden!“

Bei der Abschlusskundgebung in der Nähe des türkischen Konsulats wies Cansu Özdemir, Ko-Vorsitzende der Linksfraktion Hamburg, auf die enge Beziehung vieler Hamburger*innen zu Sakine Cansiz hin. Sakine hatte einige Zeit in Hamburg gelebt und war hier auch kurzzeitig in Auslieferungshaft. Viele Menschen hatten sich für ihre Freilassung eingesetzt.

 

Nürnberg

Am Hallplatz in Nürnberg wurde eine Kundgebung durchgeführt. Eine Rednerin des Frauenrats Arjîn hob hervor, wie wichtig das Gedenken an die Menschen ist, die für das Ziel einer befreiten und selbstbestimmten Gesellschaft ihr Wertvollstes – ihr Leben – gegeben haben. „Wir begehen dieses Erinnern gerne kollektiv denn wir sind alle bereit, den Weg der Gefallenen fortzusetzen. Das bedeutet für uns Kontinuität und Weiterentwicklung. Die Morde von Paris sind eine Wunde, die niemals verheilt. Die kurdische Bewegung hat drei Aktivistinnen verloren, die wussten, was sie wollten und in ihrem Kampf gegen Unterdrückung, Ungerechtigkeit und Krieg niemals aufgaben. Ihre Entschlossenheit, ihre Liebe und Geschwisterlichkeit sind heute unser Erbe. Die drei Freundinnen sind kämpfend gefallen. Sie sind für uns Ansporn und Vorbild und leben in unseren Herzen weiter.“

 

In der Botschaft vom Verband von Frauen aus Kurdistan in Deutschland (YJK-E) wurde auf das achtjährige Schweigen zu den Pariser Morden eingegangen und festgestellt: „Der Täter ist bekannt: Erdogan soll Rechenschaft ablegen!“ Auch auf den Plakaten rund um Kundgebungsort standen die Forderungen: „Kein Vergeben – kein Vergessen“ und „Die Morde von Paris sind einer von 100 Gründen, den Diktator Erdogan zu verurteilen“.

Die Interventionistische Linke (iL) ging in ihrer Ansprache zunächst auf die Bedeutung von Sakine Cansız für die Freiheitsbewegung ein. Besonders hervorgehoben wurde der Aspekt, bei der Entscheidung für ein selbstbestimmtes Leben nicht auf den Tag nach einer Revolution zu warten. Der Redner zitierte die PKK-Mitbegründerin: „Wir haben uns dem Sozialismus nie utopisch angenähert. Er war für uns nie irgendetwas ganz weit Entferntes. Wir haben eher geschaut, wie sich Freiheit, Gleichheit und Sozialismus verwirklichen lassen. Wie können wir anfangen, diese Prinzipien in unserem Leben umzusetzen? Wir haben immer Hoffnungen und Utopien gehabt, die wir nicht auf zukünftige Generationen projizieren wollten. Stattdessen haben wir angefangen, unsere Hoffnungen und Utopien im Hier und Jetzt umzusetzen.“

Die Einsicht, dass die Veränderung einer Gesellschaft einher gehen muss mit der Veränderung der eigenen Persönlichkeit, habe das Leben von Sakine Cansız geprägt und das stelle das vielleicht wichtigste Geheimnis des Erfolgs der kurdischen Bewegung dar, so die iL. „Der überall zu beobachtende Aufstand der Frauen, die sich dem Nationalismus und Faschismus widersetzen und ‚nein‘ sagen zu Rassismus und Sexismus ist für uns Hoffnung und Mut und inspiriert unsere gemeinsamen Kämpfe. Wir werden das Leitmotiv der Freiheitsbewegung ‚Widerstand ist Leben‘ aufgreifen und das Vermächtnis der widerständigen Frauen in unseren Alltagskämpfen fortführen.“

Nach einem Videoclip über das Leben und Wirken von Sakine Cansiz, Leyla Şaylemez und Fidan Doğan und Grußbotschaften bzw. Ansprachen der alevitischen Gemeinde Hersbruck, der sozialistischen Frauenplattform von Yeni Gün, dem 8. März-Bündnis, Partizan, Yeni Kadın, MLDP und Güç Birliği endete die Kundgebung mit der Parole „Jin Jiyan Azadî“.

Aurich

Eine weitere Kundgebung fand in Aurich statt. In einer Erklärung, die verlesen wurde, ist die Bestrafung des türkischen Diktators Recep Tayyip Erdoğan als Hauptverantwortlicher des Mordes an Sara, Rojbîn und Ronahî gefordert wurden.

 

Berlin

In Berlin hatte der Frauenrat DEST-DAN zu einer Demonstration aufgerufen. Mehtap Erol von FED-KURD unterstrich in einer Ansprache die Mittäterschaft der europäischen Länder beim Mord an den kurdischen Revolutionärinnen. Weil Europa geschwiegen habe und sich weiterhin nicht für die lückenlose Aufklärung der Tat einsetze, würde der Weg freigemacht für weitere Massaker. Nure Alkiş vom ezidischen Frauenrat sagte mit Blick auf den Widerstand der Frauen in Şengal: „Diktatoren können Blumen abschneiden, den Frühling aber können sie nicht aufhalten.” Der Berliner Stadtverordnete Hakan Taş (DIE LINKE) wies auf acht Jahre Ungerechtigkeit seit den Morden von Paris hin und übte Kritik an der französischen Justiz.  

 

Hannover

Auch in Hannover wurde Sakine Cansiz, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez gedacht. Außerdem wurde an eine 50-Jährige erinnert, die Donnerstag in der niedersächsischen Landeshauptstadt getötet wurde.

An der Gedenkdemonstration, zu der der hannoversche Frauenrat Ronahî aufgerufen hatte, beteiligten sich etwa 160 Teilnehmer*innen. Sie zogen nach einer Auftaktkundgebung mit Schweigeminute für alle, die ihr Leben im Kampf um gesellschaftliche Befreiung verloren haben, vom Bahnhofsvorplatz über die Schillerstraße, Am Marstall und die Goethestraße zum Steintor, wo eine Abschlusskundgebung stattfand.

Bei der Abschlusskundgebung wurden Redebeiträge vom Frauenrat Ronahî, von der feministischen Kampagne „Gemeinsam kämpfen!“ für Selbstbestimmung und Demokratische Autonomie, vom Feministischen Rat Hannover, vom Dachverband des Êzîdischen Frauenrats (SMÊJ) sowie von der Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland (KON-MED) gehalten. Die einzelnen Redebeiträge gingen auf verschiedene Aspekte des Dreifachmordes in Paris, der Leben der drei getöteten Aktivistinnen, ihre Bedeutung für die kurdische Frauenbewegung und den Freiheitskampf in Kurdistan sowie auf das gesellschaftliche Problem von Gewalt gegen Frauen ein.

Im Anschluss an die Demonstration zogen noch knapp 50 Teilnehmer*innen zum Ni-Una-Menos-Platz. Der Platz an der Goseriede war am 8. März nach der lateinamerikanischen feministischen Bewegung gegen Femizide benannt worden. Seitdem gedenken Frauen, Lesben, Inter, Nichtbinäre und Trans-Menschen denen, die durch patriarchale Gewalt zu Tode kommen. Anlass war der Femizid an einer 50-Jährigen am Donnerstagabend in Hannover-Linden. Die HAZ hatte berichtet, dass ihr gleichaltriger Partner sie mit einem Messer tötete und anschließend selbst die Polizei informiert hatte. In zwei kurzen Beiträgen auf Deutsch und Kurdisch erinnerten die Rednerinnen an die ermordete Frau und benannten deutlich das Patriarchat als Grundlage von Femiziden. Sie unterstrichen, dass sie sich als Frauen gegen diese Gewalt wehren müssen und wehren werden und dabei nicht auf Schutz durch die staatlichen Strukturen vertrauen dürfen.

Frankfurt

In der Mainmetropole Frankfurt endete eine von der YJK-E Hessen organisierte Demonstration mit einer Kundgebung. An der Veranstaltung nahmen auch viele Menschen aus nahegelegenen Städten wie Darmstadt, Mannheim, Gießen und Offenbach teil.

 

Die Demonstration startete am Hauptbahnhof und zog hinter einem Fronttransparent mit der Aufschrift „Sara, Rojbîn, Ronahî: Der Täter ist bekannt. Erdoğan soll Rechenschaft ablegen“ bis zur Hauptwache. Immer wieder wurde lautstark „Kein Vergeben, kein Vergessen“ gerufen. Mürşide Cizre vom kurdischen Frauendachverband verurteilte in einem Redebeitrag die Ignoranz der europäischen Gemeinschaft angesichts der Pariser Morde, die sie als „Komplott gegen das kurdische Volk“ bezeichnete. Weitere Ansprachen wurden im Namen von „Neue Frau“, JXK, Women Defend Rojava und dem Frauenrat von FEDA gehalten.