Gegen Feminizid: Wir wollen uns lebend!

Gruppen aus der DACH-Vernetzung gegen Feminizide haben sich an einem Wochenende in Frankfurt getroffen, um sich kennenzulernen, über ihre politische Arbeit und Herausforderungen auszutauschen und sich darin gegenseitig zu stärken.

Vernetzungswochenende in Frankfurt

Gruppen, Initiativen, Bündnisse und Bildungskollektive gegen Feminizide koordinieren sich seit 2021 im deutschsprachigen Raum als „DACH-Vernetzung“ in Deutschland (D), Österreich (A) und der Schweiz (CH). Um sich kennenzulernen, über politische Arbeiten gegen Feminizide und Herausforderungen auszutauschen und sich darin gegenseitig zu stärken, haben sich über 30 Gruppen aus Deutschland und Österreich vom 30. August bis 1. September in Frankfurt am Main getroffen. Das Wochenende stand unter dem Motto „Gegen Feminizid – Wir wollen uns lebend!“.

Foto © Nati Hurst

Was ist Feminizid?

Unter Feminizid verstehen wir die Ermordung von Frauen und Mädchen sowie Personen anderer unterdrückter Geschlechter, als extremste Form patriarchaler Gewalt. Feminizide finden oft in Beziehungen oder im sozialen Umfeld statt. Sie werden jedoch auch in Kriegen als Waffe gegen die Gesellschaft genutzt. Sie sind ein strukturelles Problem und notwendiger Bestandteil eines patriarchalen Systems. Feminizide dienen dazu, Frauen und Personen anderer unterdrückter Geschlechter einer patriarchalen Logik zu unterwerfen und zu kontrollieren. In seiner Prägung in Südamerika verweist „Feminizid“ als Begriff – anders als „Femizid“ – auf die politische Verantwortung und Mitschuld des Staates an patriarchaler Gewalt. In Deutschland werden viele Feminizide vor Gericht zum Beispiel nicht als Morde anerkannt, und Strukturen zum Schutz von Betroffenen wie Frauenhäuser bekommen viel zu wenig Geld.

Morde an Frauen und Transpersonen

2023 wurden in Deutschland 155 Frauen aus frauenfeindlichen Motiven ermordet. In Österreich waren es im vergangen Jahr 40. Damit ist Österreich das einzige Land in Europa, indem mehr Frauen als Männer ermordet werden. In der Schweiz wurden im vergangen Jahr 20 Feminizide gezählt. Das heißt, jeden zweiten bis dritten Tag wird in Deutschland eine Frau ermordet. Dabei ist der Partner bzw. Ex- Partner der häufigste Täter. Die Dunkelziffer der Feminizide ist wahrscheinlich sehr viel höher als, die veröffentlichten Statistiken angeben.

Dabei beziehen die Statistiken TIN- Personen (Trans-, Inter- und Nicht-binäre Personen) nicht mit ein. Laut dem Transmurder monitor wurden 2023 in Deutschland drei Personen, in Österreich und Schweiz jeweils eine Person ermordet. Dabei sind weltweit 94 Prozent der ermordeten Transpersonen Transfrauen.

Kampf gegen Feminizide als weltweite Bewegung

Der Kampf gegen Feminizide findet als Teil der feministischen Bewegung weltweit statt. Die Verbindungen zu unseren Freund:innen und Genossin:innen in anderen Teilen der Welt zeigte sich bereits ganz zu Beginn unseres Treffens durch die zahlreichen Grußworte, die uns aus der Türkei, aus der Autonomieregion in Nord- und Ostsyrien, Mexiko und dem Shengal erreichten und uns viel Kraft für die gemeinsame Auseinandersetzung und Vernetzung an dem Wochenende wünschten. Durch das Wochenende begleitete uns das gemeinsame Weben von Netzen aus rotem Garn, inspiriert durch das Colectiva Hilos. Das gemeinsame Weben als künstlerische Protestaktion, um auf Feminizide aufmerksam zu machen und diese anzuprangern, verbindet uns als Personen aus unterschiedlichen Städten, Regionen, Ländern in unserem geteilten Kampf gegen Feminizid. Gleichzeitig macht es deutlich, dass der Kampf gegen Feminizid global geführt wird und wir mit unseren Genoss:innen, Freund:innen und Schwestern weltweit wie ein Netz verbunden sind.

Weben roter Netze als Ausdrucksform

Das Colectiva Hilos ist ein feministisches Künstler:innenkollektiv, das gewebte Netze als Ausdrucksmittel verwendet, angesichts der Ungleichheit, der Unsicherheit und der Gewalt, die in Mexiko und vielen Teilen der Welt vorherrschen, insbesondere bei Feminiziden und dem Verschwinden von Menschen. Die künstlerischen Aktionen zielen darauf ab, anzuprangern und zu kritisieren, um diese Formen der Herrschaft sichtbar zu machen, zu hinterfragen und in eine Kultur des Dialogs und des Friedens zu verwandeln.

Beim Projekt „Sangre de mi Sangre“ (Blut meines Blutes) steht das Weben von rotem Garn für das Blut, das durch patriarchale Gewalt vergossen wird und gleichzeitig für die Möglichkeit, sich zu vereinen, gemeinsam Widerstand zu leisten und zu heilen. Für das Colectiva Hilos ist das Weben auch eine Form der Erinnerung und ein Aufzeigen dessen, was wir erleben und erleiden, unserer Sorgen. Es ist gleichzeitig auch eine Art und Weise, wie wir neue Welten weben, erzählen und bewohnen. Zum Weben der Netze wird sich auf öffentlichen Plätzen getroffen. So werden beispielsweise Denkmäler mit roten Netzen überhängt und die Netze auf Demonstrationen.

Mittlerweile gibt es in vielen Ländern Mittel- und Südamerikas und auch in Europa Gruppen, die sich dem künstlerischen Ausdrucks des Kollektives angeschlossen haben und in ihren Städten und Regionen gemeinsam Netze knüpfen im Kampf gegen Feminizide.

Inhaltliche Auseinandersetzung und Austausch

Das Wochenende bot viel Zeit für inhaltliche Auseinandersetzung und Austausch zu einer Vielfalt von Themen. Dadurch wurde deutlich, wie weitreichend patriarchale Gewalt und hegemoniale Männlichkeit in unsere Gesellschaft hineinwirken. So beschäftigten wir uns mit der politischen und solidarischen Prozessbegleitung bei Feminiziden, dem Aufbau von regionalen Bündnissen im Kampf gegen Feminizide, Feminiziden als Kriegswaffe am Beispiel des Genozids und Feminizids im Shengal 2014 durch den sogenannten IS, der Prävention von Feminiziden, dem Zählen von Feminiziden als internationale politische Praxis, dem Erinnern und Gedenken an Feminizide und dem Mittel der Kunst im Kampf gegen Feminizide.

Im Gedenken derer, die nicht mehr unter uns sind

Am Samstagabend veranstalteten wir im Rahmen des Vernetzungswochenendes eine öffentliche Gedenkkundgebung. Mit vielfältigen Transparenten, unserem am Wochenende gewebten Netz, Fotos und Kerzen haben wir derer gedacht, die nicht mehr unter uns sind. Es wurden Gedichte vorgetragen und kämpferische Reden gehalten. Wir haben uns umarmt, geweint, gerufen, gesungen und geschwiegen. So wurde auch bei dieser Gedenkkundgebung deutlich, wie vielfältig der Protest gegen Feminizide ist und wie wir einander im Kampf gegen patriarchale Gewalt stärken können.

Letztendlich fassten die Worte einer Referentin und Aktivistin des Dachverbands des Ezidischen Frauenrats (Sîwana Meclîsên Jinên Êzîdî) das Wochenende und den Kampf gegen Feminizide sehr treffend zusammen: „Wenn jemand uns schützen kann, dann sind wir das selbst. Wenn jemand uns verteidigen kann, dann sind wir das selbst. Wenn jemand die Gesellschaft wieder aufbauen kann, dann sind wir das selbst.“

Die Autorin Pia Müller ist Teil der Initiative gegen Feminizide in Kassel.