Stiftung am 25.11. in Qamişlo
Anlässlich der sich abzeichnenden Rückschritte im Bereich der Geschlechtergleichberechtigung durch die HTS-geführte Übergangsregierung in Syrien, meldet sich die Stiftung der Freien Frau in Syrien mit einem offenen Brief an die Öffentlichkeit. Diesen gibt ANF ungekürzt wieder:
„Als Frauenorganisation in Syrien möchten wir Sie über die aktuelle Situation in Syrien informieren und Sie um Ihre Aufmerksamkeit bitten. Wie Sie wissen, ist ein neues Regime an die Macht gekommen. Nachdem der Diktator Assad gestürzt wurde, herrscht nun die HTS (Hayat Tahrir al Sham/Al-Nusra), welche eine Übergangsregierung gebildet hat. Diese Übergangsregierung vertritt ausschließlich die Geisteshaltung der HTS, eine salafistische, islamistische Weltanschauung. Noch ist unklar, was danach kommen wird, doch bestimmte Anzeichen und Signale besorgen uns als Frauenorganisation.
Das „Frauen-Modell“ der HTS-geführten Übergangsregierung
Zur neuen Leiterin des Büros für Frauenangelegenheiten in der Übergangsregierung wurde Aisha al-Dibs ernannt. Ihre eingangs abgegebene Erklärung löste eine Kontroverse aus.
Sie sprach über Frauen, deren Status und welche Rolle sie in der Gesellschaft spielen sollten. Über Menschenrechtsorganisationen, die in diesem Bereich tätig sind, äußerte sie: „Wenn wir uns einig sind, dass diese Unterstützung [Anm.: die der Menschenrechtsorganisationen] das Modell unterstützt, das wir gerade aufbauen, dann sind sie herzlich willkommen. Letztendlich werde ich nicht die Tür für diejenigen öffnen, die in ihren Ansichten mit mir nicht übereinstimmen.“ Sie erklärte öffentlich, die Übergangsregierung habe ihr eigenes Modell für Frauen entworfen und wolle es umsetzen. Dieses Modell beschränkt Frauen im Wesentlichen auf den privaten Bereich und stützt sich auf die Scharia. Dies führte zu Kritik von Frauenorganisationen und -institutionen sowie anderen Akteuren der Zivilgesellschaft, die dies als Ausgrenzung und Ignoranz gegenüber der gesamten Geschichte und dem Kampf der syrischen Frauen in der Revolution und vor der Revolution betrachten.
Errungenschaften der Frauen in Gefahr
In Nord- und Ostsyrien haben die Frauen viel erreicht. Ihre Grundrechte werden anerkannt und spezifisch durch Gesetze garantiert. Neben grundlegenden Rechten, wie dem Recht auf freie Meinungsäußerung, haben Frauen eine aktive Beteiligung am politischen und öffentlichen Leben erlangt. Sie nehmen nicht nur in allen Bereichen des öffentlichen Lebens teil, sondern übernehmen hierin auch Führungsrollen, einschließlich der Bereiche Wirtschaft, Bildung, Kultur und Politik.
Im Bereich der Familie und des Familienrechts erzielten die Frauen in Nord- und Ostsyrien bedeutende Fortschritte: Es wurden Gesetze und Verordnungen erlassen, die die Rechte der Frauen schützen und jegliche Formen von Missbrauch wie häusliche Gewalt und sexualisierte Übergriffe bekämpfen. Die Stellung der Frauen in der kurdischen Gesellschaft sowie in der syrischen Gesellschaft im Allgemeinen wurde gestärkt, und es wurde die notwendige Unterstützung bereitgestellt, um die Rolle der Frauen in den Bereichen Bildung, Kultur, Soziales und Wirtschaft auszubauen.
Frauen haben die Möglichkeit, Einrichtungen für Bildung und Ausbildung zu gründen sowie Frauenzentren, die auf die Stärkung von Frauen und die Verbesserung ihrer technischen und beruflichen Aussichten und Fähigkeiten in der Gesellschaft abzielen. Auch Frauengruppen, die sich mit humanitärer Hilfe und Entwicklungsarbeit befassen, und Initiativen zur Förderung der Frauengesundheit sowie der Rechte von Müttern wurden ins Leben gerufen.
Die Rolle der Frauen in Nord- und Ostsyrien im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat und andere Gruppen, welche die Sicherheit und den Frieden in der Region bedrohen, ist unübersehbar. Frauen haben sich effektiv an den Kämpfen gegen Terrorismus und Extremismus beteiligt und große Erfolge erzielt.
Aufruf zum Protest und zur Solidarität
Deshalb unterstützen wir als Stiftung der Freien Frau in Syrien die Stimmen, die die Aussagen der Islamistin Aisha al-Dibs verurteilen und sich zum Protest dagegen erhoben haben. Wir betrachten al-Dibs Äußerungen als einen Angriff auf die zahlreichen Errungenschaften. Daher nutzen wir diese Gelegenheit und rufen zu den verschiedensten Formen der Solidarität mit den Frauen in Syrien auf. Wir rufen zur Unterstützung aller humanitären und demokratischen Kräfte im Nahen Osten und in der Welt auf. Bitte unterstützen Sie uns und erheben Sie jetzt Ihre Stimme für die Sache der Befreiung, der Gleichheit und des säkularen Kampfes der syrischen Frauen. Die vollständige, bedingungslose und uneingeschränkte Gleichberechtigung muss in der neuen Verfassung verankert werden, ebenso wie der Grundsatz, die Religion vom Staat, von der Bildung und der Justiz zu trennen und die Religion wieder zu einer rein persönlichen Angelegenheit zu machen.
Stiftung der Freien Frau in Syrien“
Über die Stiftung
Die Stiftung der Freien Frau in Syrien (Weqfa Jina Azad a Sûriya, WJAS) wurde am 1. September 2014 von kurdischen und arabischen Frauen in Qamişlo gegründet – zunächst als Frauenstiftung WJAR für Rojava, den westlichen Teil Kurdistans auf syrischem Staatsgebiet. WJAS unterstützt Frauen wirtschaftlich, gesellschaftspolitisch, kulturell und in den Bereichen Bildung und Gesundheit. Die Stiftung hat inzwischen an 16 Standorten Gesundheitsstationen und Ausbildungsprogramme für Frauen aufgebaut. Zurzeit liegt ein großer Arbeitsschwerpunkt auf der materiellen und psychosozialen Versorgung der geflüchteten Menschen aus Sheba und Minbic.
Die Nothilfe der Frauenstiftung geht weiter. Die Stiftung ruft weiterhin zu Spenden auf, um die Versorgung der Geflüchteten sicherzustellen und die Frauenstrukturen zu stärken!
Spendenkonto: Kurdistanhilfe e.V.
Stichwort: NOTHILFE
IBAN DE40 2005 0550 1049 2227 04
BIC HASPADEHHXXX
Hamburger Sparkasse
(Spenden sind steuerlich absetzbar, bitte deutlich die Adresse angeben)
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