Frauen gehen in Kurdistan und der Türkei gegen Feminizide auf die Straße

Nach einer erneuten Serie von Feminiziden sind in vielen Städten Nordkurdistans und der Türkei Frauen auf die Straße gegangen. Sie machen das AKP/MHP-Regime für die Morde mitverantwortlich.

„Frauenmorde sind politisch“

Statistisch jeden Tag wird eine Frau in der Türkei und Nordkurdistan zum Ziel eines Feminizids, eines patriarchalen Hassverbrechens. Vier Verbrechen in den vergangenen Tagen lösten nun eine Protestwelle aus. So wurde eine Frau im nordkurdischen Amed (tr. Diyarbakir) von ihrem Ehemann, einem Gefreiten der türkischen Armee, ermordet, in Mersin wurde eine Frau von ihrem vermeintlichen „Freund“ erwürgt und in Istanbul wurden zwei Frauen von einem Mann enthauptet. In allen Fällen entzogen sich die Männer durch Suizid ihrer Verantwortung. Eine weitere Forderung der Demonstrantinnen war die Aufklärung des Verschwindens der vor elf Tagen in Wan (Van) verschwundenen Studentin Rojin Kabaiş.

Die steigende Zahl der Feminizide und der Gewalt an Frauen wird mit dem frauenfeindlichen Regime der AKP in Verbindung gebracht. So stieg die Türkei unter anderem unter dem Erdoğan-Regime einseitig aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen vor Gewalt aus und während patriarchale Gewalt gerechtfertigt wird, werden Gesetze zum Schutz von Frauen systematisch demontiert. Dagegen gingen auch am Montag viele Frauen auf die Straße.

Riha: „Männer morden und der Staat schützt sie“

So versammelten sich viele Frauen im nordkurdischen Riha (Urfa) hinter Transparenten mit Aufschriften wie, „Die Istanbul-Konvention hält uns am Leben, wir geben unsere Rechte und unser Leben nicht auf“ oder „Warum sind es immer wir, die sterben“ und „Ohne die Befreiung der Frau kann es keine freie Gesellschaft geben“ auf die Straße.

Mizgin Kurtoğlu von der Jurist:innenvereinigung ÖHD erklärte: „Die staatliche Politik, die sexistische, patriarchale Sprache des Staates und die Straflosigkeit der Täter fördern eindeutig die Gewalt gegen Frauen. Wir werden weiterhin Rechenschaft für jede ermordete Frau verlangen und für eine friedliche Welt ohne Femizide kämpfen.“ Die Frauen riefen immer wieder „Jin, Jiyan, Azadî“ und „Männer morden und der Staat schützt sie“.

Wan: „Frauenmorde sind politisch“

Die Frauenplattform Wan organisierte eine Demonstration und eine Kundgebung. Hier stand auch das Verschwinden der Studentin Rojin Kabaiş im Mittelpunkt. Hunderte von Frauen demonstrierten hinter einem Transparent mit der Aufschrift „Feminizide sind politisch“ durch die nordkurdische Metropole. Die Frauen skandierten immer wieder „Jin jiyan azadî“, „Männer schießen und der Staat schützt sie“, „Wir schweigen nicht, wir haben keine Angst, wir gehorchen nicht“ und „Frauenmorde sind politisch“.

Auf der Abschlusskundgebung ergriff Funda Demir Bozkurt, stellvertretende Vorsitzende der Eğitim-Sen-Abteilung in Wan im Namen der Plattform das Wort. Sie erklärte: „In Mezitli wurde Sonay Öztürk Aslan von Uğur Araç ermordet, in Amed wurde Bedriye Işık von Muhammed Recai Işık ermordet.

Die weitere Untersuchung des Todes von Narin Güran wurde mit den Stimmen der AKP/MHP abgelehnt! Warum wurde der Tod von Narin, die brutal ermordet wurde, nicht untersucht? Noch immer gibt es keine Nachricht von Rojin Kabaiş, die seit elf Tagen vermisst wird. Wie kann es sein, dass man trotz aller modernen technischen Mittel noch immer keine Nachricht von Rojin erhalten hat? Die Tatsache, dass nur die Möglichkeit eines Selbstmordes betrachtet und untersucht wird, zeigt, dass nicht die Bereitschaft besteht wirklich zu ermitteln. Dass die Öffentlichkeit nicht transparent informiert wird, lässt unsere Sorge um Rojin von Stunde zu Stunde wachsen.“ Diese Taten seien keine Einzelfälle, sondern Ausdruck einer Politik, erklärte Funda Demir Bozkurt und sagte: „Ayşegül, Ikbal, Sonay, Bedriye, Narin, Sıla und all die ermordeten Frauen und Kinder wurden von der Männerjustiz, die die Täter mit Straffreiheit belohnt, ermordet, sie wurden von denen umgebracht, die Frauen unter der Lüge von der heiligen Familie aus allen Bereichen fernhalten wollen, vom Männerstaat, der frauenfeindliche Politik wie eine Fahne vor sich her trägt, von der Männerherrschaft, bei der sich Männer gegenseitig auf die Schulter klopfen, während die Aufklärung der Morde an Kindern verhindert wird. Einmal mehr gehen wir gegen die AKP/MHP-Regierung auf die Straße, eine Regierung, die Mörder, Vergewaltiger und übergriffige Männer durch eine Politik der Straflosigkeit schützt, entlastet und belohnt. Wir fordern Rechenschaft.“

Amed: „Mörder Mann, Kollaborateur AKP“

Für Amed hatte die Frauenplattform Dicle Amed und das Netzwerk zur Bekämpfung von Gewalt zum Protest aufgerufen. Die Frauen demonstrierten vom Şêx-Sêîd-Platz zu dem Ort, an dem der Gefreite Muhammed Recai Işık seine Ehefrau Bedriye Işık ermordet hatte. Abgeordnete der DEM-Partei, Bezirksbürgermeister:innen, die Frauenbewegung, Vertreter:innen der Zivilgesellschaft und viele Frauen nahmen an dem Marsch unter dem Motto „Frauenmorde sind politisch“ teil. Während der Demonstration wurden Transparente mit den Aufschriften „Frauenmord ist politisch“, „Der Mann schießt, die Justiz schützt“ und „Wir werden die Massaker an Frauen nicht zulassen“ entrollt und Parolen wie „Jin Jiyan Azadî“, „Schützt, klärt auf, verurteilt die Mörder“, „Schließt nicht die Frauen, sondern die Mörder ein“, „Mörder Mann, Kollaborateur AKP“ und „Der Mörder Staat wird zur Rechenschaft gezogen“ skandiert.

Die Vorsitzende der Frauenvereinigung Rosa, Suzan İşbilen, lenkte die Aufmerksamkeit auf die seit dem 27. September vermisste Studentin Rojin Kabaiş. İşbilen betonte, dass die Femizide einen Höhepunkt erreicht hätten: „Wir Frauen sind entschlossen, die Feminizide zu stoppen. Und wir haben volles Selbstvertrauen in dieser Frage. Wir alle wissen sehr gut, warum Feminizide begangen werden. Die frauenfeindliche Politik der heutigen Regierung hetzt die Männer auf die Frauen. Die Reglementierung des Sprechens, Gehens und Lebens der Frauen ist das Ergebnis der Selbstermächtigung der patriarchalen Mentalität. Die Femizide richten sich gegen den Widerstand der Frauen gegen die patriarchale Gewalt und Sklaverei.“

Der Abgeordnete der DEM-Partei Ceylan Akça sagte, dass die jüngste Zunahme der Gewalt direkt proportional zur staatlichen Politik stehe und erinnerte an die achtjährige Narin Güran, die am 21. August in der ländlichen Gegend von Çûlî im Bezirk Rezan (Bağlar) verschwand und deren lebloser Körper 19 Tage später im Bach Eğirtutmaz gefunden wurde. Unter Hinweis auf die jüngsten Morde an Frauen fuhr Ceylan Akça in ihrer Rede wie folgt fort: „Wenn man dies in die Waagschale wirft, handelt es sich um eine wahrhaftige Kriegsbilanz, um einen Genozid. Wenn man anerkennen würde, dass es einen Krieg gäbe, würde man einen Waffenstillstand fordern. Er wird nicht anerkannt. Wir akzeptieren diese Männerordnung nicht. Alle Täter hatten eine gewalttätige Vergangenheit, und der Staat wusste das, aber er hat die Frauen nicht geschützt. Unsere Stärke liegt in unserer Organisierung. Wo sind Rojin, Miraç, Gülistan? Wir fordern Rechenschaft, und das werden wir auch weiterhin tun.“

Die Tante von Rojin Kabaiş sagte: „Rojin ist seit elf Tagen nicht auffindbar. Die Frauen haben Angst, sie können nicht auf die Straße gehen. Die schmutzigen Hände, die sich nach den Frauen ausstrecken, müssen weg, die patriarchale Mentalität mordet Frauen.“

Die Anwältin Cansel Atalay, Mitglied der Kommission für Frauenrechte der Anwaltskammer Amed, forderte die Behörden auf, weitere Morde zu verhindern. Sie fügte an: „Frauenmorde können durch Schutz- und Präventivmaßnahmen gestoppt werden. Diese Morde können durch die Wiedereinführung der Istanbul-Konvention und einer Abkehr von der Politik der Strafvereitelung gestoppt werden. Wir wollen nicht, dass noch eine weitere Person stirbt. Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst. Wir setzen unseren Kampf fort.“

Dersim: „Wir werden frei sein, wenn wir den Männerstaat gestürzt haben“

Die Frauenplattform von Dersim organisierte in der nordkurdischen Stadt ebenfalls eine Aktion. Dutzende von Frauen nahmen an der Demonstration teil und trugen ein Transparent mit der Aufschrift „Nicht isoliert, sondern systematisch! Frauenmorde sind politisch“. Sie trugen Transparente mit der Aufschrift „Der Aufstand der Frauen wird die Welt erschüttern“ und „Jin Jiyan Azadî“. Frauen marschierten mit Slogans von der Sanat-Straße zum Seyid-Rıza-Platz.

Arzu Yıldız gab im Namen der Frauenplattform von Dersim auf dem Seyit Rıza-Platz eine Erklärung ab und erklärte, dass sich der Protest gegen die AKP/MHP-Regierung, die die Mörder, Vergewaltiger und Belästiger mit einer Politik der Straflosigkeit schütze, entlaste und belohne richte. Yıldız erklärte: „Am 4. Oktober fand einer der schrecklichsten Tage statt, den dieses Land je erlebt hat. Zwei Frauen wurden vor aller Augen brutal ermordet. Am selben Tag wurde eine Frau von zwei Angreifern auf offener Straße vergewaltigt. In diesem Land wurde der Untersuchungsantrag für den Fall der ermordeten Narin Güran mit den Stimmen von AKP und MHP abgelehnt. Gülistan Doku ist in dieser Stadt, in der jeder Winkel mit Kameras überwacht wird, seit fünf Jahren verschwunden. Rojin Kabaiş wiederum ist in einer Stadt, in der jeder Winkel von den staatlichen Kräften beobachtet wird, seit elf Tagen nicht auffindbar.“ Yıldız schloss: „Unser Kampf wird weitergehen bis zu dem Tag, an dem wir frei leben können, sicher auf den Straßen gehen können, die Täter und Mörder aus unseren Häusern, Arbeitsplätzen und Universitäten vertreiben und euren Männerstaat stürzen können.“

Denizli: „Wir wollen leben, ohne um unser Leben zu fürchten“

Im türkischen Denizli rief die Frauenplattform „Gemeinsam sind wir stark“ zu einer Kundgebung auf. Die Frauen versammelten sich hinter Transparenten mit Aufschriften wie: „Wir sind wütend, wir sind in Aufruhr. Frauenmorde sind politisch“, „Frauen werden die Mörder zur Rechenschaft ziehen“ und „Die Istanbuler Konvention gehört uns“ im Zentrum der Stadt. Die Frauen riefen „Wenn ihr Angst vor der Dunkelheit habt, dann zünden wir die Stadt an“, „Es lebe die Frauensolidarität“, „Jin Jiyan Azadî“ und „Wir verlassen die Straßen und Plätze bei Nacht nicht“.

Im Namen der Aktivist:innen erinnerte Ebru Koç daran, dass allein in der vergangenen Woche zehn Frauen ermordet worden seien und erklärte: „Wir waren schon immer auf der Straße, weil wir nicht noch einen Menschen verlieren wollen, weil wir frei, ohne um unser Leben fürchten zu müssen, leben wollen. In diesem Land wurde der Ermittlungsauftrag für die ermordete Narin Güran mit den Stimmen von AKP und MHP abgelehnt. In diesem Land lässt die patriarchale Staatsgewalt Frauen, Kinder, LGBTI+-Personen und alle, die nicht Teil von ihr sind, keine Luft zum Atmen. In diesem Land herrschen Diebe, Drogenbarone, Banden und Mafiabosse durch den Männerstaat, durch die Hand der Regierung.“

Izmir: Protest nach versuchtem Feminizid

In Izmir-Güzeltepe fand ebenfalls eine Demonstration und Kundgebung statt. Dort hatte am Montagmorgen ein Mann versucht, seine ehemalige Ehefrau zu erschießen. Die angeschossene Özge Polat ist schwer verletzt, der Täter Serkan Yildiz ist auf der Flucht. Die Frauen versammelten sich am Tatort und riefen: „Schluss mit der Männergewalt! Nehmt Serkan Yıldız fest, er hat versucht, unsere Schwester Özge zu ermorden“, und skandierten Slogans wie „Jin Jiyan Azadî“, „Schreit laut, lasst alle hören, lasst uns die patriarchale Gewalt beenden“, „Männerjustiz bringt keine Gerechtigkeit“ und „Wir werden den Männerstaat zerstören“.

Im Anschluss folgte eine Presseerklärung, auf der berichtet wurde, dass die angegriffene Özge Polat schon mehrfach gegen den Täter Anzeige erstattet und eine Fernhalteverfügung gegen ihn erwirkt habe. Doğa Gündüz von den Veranstalterinnen des Protests erklärte: „Wir haben vor kurzem erfahren, dass zwei Frauen in Istanbul ermordet wurden. Davor hörten wir, wie die achtjährige Narin Güran in einem Geflecht aus Familie, Staat und Sekte ermordet wurde. Davor hörten wir, dass Hunderte unserer Schwestern von ihren Ex-Ehemännern oder Liebhabern verletzt oder getötet wurden und das, obwohl sie immer wieder Anzeige erstattet hatten. Dieses Land wurde vom Patriarchat durchdrungen und in eine wahre Hölle verwandelt, das Patriarchat breitet sich in jedem Bereich unseres Lebens immer weiter aus.“ Gündüz kritisierte das Regime für seine frauenfeindliche Politik und forderte Präventions- und Schutzmechanismen für Frauen: „Wir rufen alle Werktätigen, Studentenvereinigungen, Frauenverbände und Gewerkschaften auf, ihre Stimme zu erheben und sich an den Aktionen zu beteiligen, die stattfinden werden, um Schulen, Arbeitsplätze und Straßen von Tatorten in Orte zu verwandeln, in denen wir in Sicherheit und Gleichheit leben. Organisieren wir uns für Gleichheit und Gerechtigkeit in allen Bereichen, in denen wir tätig sind, zerstreuen wir diese Dunkelheit durch unsere Einheit und unserem Kampf.“