Frauen aus Efrîn in türkischen Gefängnissen

Drei aus Efrîn verschleppte Frauen sind seit Monaten in der Türkei inhaftiert, ohne Kenntnis darüber zu haben, was ihnen vorgeworfen wird.

Das einzige Verbrechen der im Gefängnis von Tarsus inhaftierten Nigar Baki, Şamiran Nahsen und Yildiz Muhammed ist es, angeblich Bilder ins Internet gestellt zu haben, die zeigen, wie Truppen der „Freien Syrischen Armee“ Geflügel der Dorfbevölkerung in den besetzten Gebieten in Efrîn stehlen.

Nordsyrien ist in der letzten Zeit zu einem Fokus der patriarchalen Kriegs- und Gewaltkultur geworden. Die türkische Armee und die unter ihrer Kontrolle stehenden FSA-Einheiten haben zwischen dem 20. Januar und dem 18. März Efrîn angegriffen. Den höchsten Preis für diese Angriffe haben Frauen zu tragen. Bei den Angriffen wurden Hunderte Frauen ermordet, sexualisierte Gewalt, Entführungen und Missbrauch wurden zum Alltag unter der Besatzung.

Nigar Baki, Şamiran Nahsen und Yildiz Muhammed sind im geschlossenen Frauengefängnis von Tarsus inhaftiert. Das Drama der drei Frauen kam ans Tageslicht, als sie sich mit einem Antrag an die Beobachtungskommission für die Gefängnisse von Adana wandten. Die drei Frauen waren nach dem Angriff auf Efrîn von den türkeitreuen FSA-Truppen gefangen genommen und an das türkische Militär übergeben worden. Anschließend wurden sie in der Türkei inhaftiert. Am 1. August konnte sich der Anwalt Tugay Bek von der Gefängnisbeobachtungskommission der Anwaltskammer von Adana erstmalig mit den Frauen treffen.

Tugay Bek fasst die Situation der im Zellentrakt der „Unabhängigen“ inhaftierten Frauen aus Efrîn folgendermaßen zusammen: „Von diesen Frauen wurden zwei im Mai und eine im Juni in die Türkei verschleppt. Sie sind vollkommen isoliert von ihren Familien, die nicht wissen, wo sie sich befinden. Die Frauen wissen nicht einmal, ob ihre Familien noch am Leben sind. Sie haben keine Anwälte. Sie wissen auch nichts über den Fortgang ihrer Verfahren. Aufgrund dieser Isolation gibt es keine Informationen über diese Frauen in der Weltöffentlichkeit.“

Nigar Bakir ist 40 Jahre alt. Sie war vor dem Syrienkrieg Lehrerin und lebte gemeinsam mit ihrer Familie in Raqqa. Als der Krieg begann und der sogenannte Islamische Staat Raqqa besetzte, verließen sie die Stadt und ließen sich im Kanton Efrîn in Cindirês nieder. Nigar Bakir begann bei Stadtverwaltung von Efrîn zu arbeiten und kümmerte sich vor allem um den Zugang der Bevölkerung zu den Dienstleistungen. Nach dem Einmarsch der Türkei zog es Bakirs Familie vor, in Efrîn zu bleiben. Sie wurde von der FSA festgenommen und nach Reyhanli gebracht. Dort wurde sie inhaftiert. Gegen Nigar Bakir lag nichts vor. Allerdings hatte sie den Antrag eines FSA-Milizionärs, der für ihre Festnahme verantwortlich war, eine Tankstelle zu eröffnen, als sie bei der Stadtverwaltung gearbeitet hatte, aus Umweltschutzgründen abgelehnt. Etwas anderes liegt nicht vor.

Ihre seit ihrer Festnahme am 11. Mai mit ihr inhaftierte Tochter Lilat ist gerade sechs Monate alt geworden. Aufgrund des Stresssituation konnte Bakir ihr Baby nicht mehr stillen und kann es praktisch nicht ernähren. Sie weiß nichts vom Schicksal ihrer vier in Efrîn zurückgebliebenen Töchter und ihres Ehemannes.

Sie wurde unter dem Vorwurf „Mitgliedschaft in einer Organisation“ vor dem 2. Schwurgerichtshof von Hatay per Videoschaltung angeklagt. So konnte sie sich auch nicht verteidigen. Der Prozess von Nigar Bakir wurde auf den 26. September vertagt.

Seit drei Monate im Gefängnis ohne zu wissen warum

Eine weitere Inhaftierte ist Yildiz Muhammet. Sie lebte vor dem Krieg im Stadtviertel Şêx Meqsûd in Aleppo. Die 18-Jährige kam mit ihrer Familie aufgrund der Kämpfe nach Kilis. Dort arbeiteten sie in der Landwirtschaft. Da der mit ihr verlobte Cousin auf eine Hochzeitsfeier bestand, zog sie wieder zurück nach Syrien. Dort hatte sie massive Probleme mit ihrem Mann und als sie sich trennen wollte, entschloss sich ihr Vater dazu, sie umzubringen. Daraufhin floh Yildiz Muhammet zu den Frauenverteidigungseinheiten (YPJ). Sie blieb 15 Tage bei den YPJ. Dann wurde sie nach der Eroberung von Efrîn durch die FSA gefangen genommen und zuerst nach Azaz und dann nach Kilis gebracht. Unter dem Vorwand der „Mitgliedschaft in einer Organisation“ wurde sie verhaftet. Sie ist nun seit drei Monaten in der Türkei inhaftiert. Sie hat keinerlei Informationen über die Vorwürfe, die ihr gemacht werden, es liegt bisher nicht einmal eine Anklageschrift vor.

Die 45-jährige Şamiran Nahsen floh mit dem Beginn der Kämpfe zusammen mit ihrer Familie aus Efrîn-Cindirês nach Aleppo. Nach der Besetzung von Efrîn durch die türkische Armee und die FSA-Truppen entschloss sich die Familie, nach Hause zurückzukehren. Dieses Mal wurden sie von Kräften des syrischen Staates aufgehalten. Mit großer Mühe schaffte es die Familie schließlich, nach Efrîn zu kommen. Bei ihrer Ankunft musste sie feststellen, dass ihr Haus und ihr Laden von der FSA besetzt worden sind. Zur Rückgabe ihres Besitzes forderten die FSA von ihnen 2.500 Dollar. Als sie dieses Geld nicht beschaffen konnten, versuchten sie vergeblich die FSA davon zu überzeugen, ihnen ihren Beitz wiederzugeben. Da dies nicht möglich war, forderten sie auf einem Treffen mit Offizieren der türkischen Armee ihren Besitz zurück. Ihnen wurde gesagt: „Wir können euer Problem nicht hier lösen. Wir schicken euch in die Türkei, dort könnt ihr eure Sorgen vortragen.“

Daraufhin wurde Şamiran Nahsen gemeinsam mit ihrem Ehemann nach Reyhanlı gebracht. Dort wurden sie vier Tage auf einer Polizeiwache festgehalten und anschließend wegen „Mitgliedschaft in einer Organisation“ inhaftiert. Şamiran Nahsen befindet sich im Gefängnis von Tarsus, ihr Ehemann Abdurrahman ist im Gefängnis von Hatay. Es gibt weder eine Anklageschrift noch ein eröffnetes Verfahren. Sie haben bisher keine Nachricht von ihren fünf Kindern erhalten.

Zeugin von Plünderungen

Rechtsanwalt Tugay erklärte, dass die inhaftierten Frauen aus Efrîn sich aufgrund von Aussagen von FSA-Milizionären in Haft befinden und ihr gesamter Bedarf an Kleidung und anderem von den mitgefangenen Frauen gedeckt werde. Die Art und Weise der Inhaftierung stelle eine Rechtsverletzung dar, betont Tugay: „Hier werden Menschen aufgrund von Aussagen von Personen inhaftiert, die Häuser niederbrannten, vergewaltigten, plünderten, Frauen auf den Märkten verkauften und in den ersten Tagen der Operation die Hühner und Nutztiere als Beute stahlen.“

Es ist unbekannt, wie viele Menschen aus Efrîn sich in Gefängnissen in der Türkei befinden“

Der Anwalt hob hervor, dass all die Frauen aus Efrîn der „Mitgliedschaft“ beschuldigt werden: „Im Moment gibt es keine klaren Daten darüber, wie viele Frauen und Männer aus Efrîn in türkischen Gefängnissen inhaftiert sind. Die Personen, die aus Syrien und Efrîn gebracht und keine direkte Verbindung zu den als YPG und YPJ bezeichneten Bewaffneten haben, werden im Allgemeinen in die Zellen für 'Unabhängige' gesteckt. Da sie keine Verbindung zu ihren Familien, zu ihren Angehörigen oder zu Anwälten haben, gibt es niemanden, der die Situation, ja ihre Existenz verfolgt. Die Frauen haben keine Angaben zu sexualisierter Gewalt oder Angriffen gemacht, aber in einem anderen Umfeld, in dem sie in Ruhe hätten sprechen können, wären solche Aussagen möglich gewesen. Aber im Moment ist die einzige Erwartung dieser Frauen, neben der Forderung, dass diejenigen, die für ihr Drama verantwortlich sind, Rechenschaft ablegen müssen, so schnell wie möglich mit ihren Familien, mit ihren Kindern zusammenzukommen und ihre Heimat in Freiheit zu erreichen.

Bisher haben sie keinerlei juristische Unterstützung erhalten. In den Ermittlungsakten sieht es so aus, als gäbe es einen Anwalt. Aber wenn in der nächsten Zeit, im Fall, dass sie verurteilt werden, sich keine freiwilligen Anwälte finden, die sie vertreten, werden wir den Prozess verfolgen und versuchen, die notwendige juristische Unterstützung zu leisten.

Ein weiteres Problem ist, dass es keine Babynahrung gibt, sondern nur die Nahrung, die alle Gefangenen bekommen. Darüber hinaus muss den Gefangenen ermöglicht werden, von ihren Familien Unterstützung für Kleidung und andere Dinge zu erhalten. Diese Unterstützung ist von existenzieller Bedeutung. Und leider, da die Frauen aus Efrîn nicht von ihren Verwandten besucht werden, müssen sie, wie wir erfahren haben, ihren Bedarf durch die Unterstützung ihrer Mitgefangenen decken. Wir haben selbst als Anwälte unter uns aus Solidarität Versuche unternommen, zumindest die Grundbedürfnisse dieser Frauen zu decken.“

Eine Inhaftierung aufgrund einer Einzelaussage ist rechtswidrig“

Tugay appellierte an die Fraktionen im Parlament und betonte, dass es keine klare Zahl der Nichtkombattanten aus Efrîn gebe: „Es ist wichtig zu untersuchen, wie viele Männer und Frauen auch außerhalb von Tarsus auf diese Weise inhaftiert sind, das muss von den Gerichten ebenfalls verfolgt werden. Wenn es keine anderen Spuren gibt und man sich nur auf eine Aussage eines geheimen Zeugen oder Kronzeugen stützt, dann ist die Inhaftierung rechtswidrig. Es gibt entsprechende Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Wir wissen nicht einmal, wie viele Frauen sich in dieser Lage befinden. Bevor dagegen Widerspruch eingelegt und Hilfestellung geleistet werden kann, müssen Informationen gesammelt werden. Danach muss man den Bedarf hier feststellen und entsprechend einordnen. Noch vor der juristischen Unterstützung, der Sensibilisierung der Öffentlichkeit, der Beendigung des Dramas, dass die Inhaftierten erleben, müssen zunächst die absoluten Grundbedürfnisse sichergestellt werden. Das kann mit Unterstützung der Oppositionsfraktionen geschehen. Insbesondere Bewegungen wie die Frauenbewegung, müssen sich mit diesem Thema beschäftigen und dazu arbeiten.“

JinNews