Die Strafabteilung des Amtsgerichts Ankara hat im Fall der HDP-Abgeordneten Semra Güzel einen Beschluss zur Fahndung erlassen. Die Anordnung wurde am Donnerstag auf Antrag der Oberstaatsanwaltschaft Ankara erteilt. Zur Begründung teilte die Behörde mit, Güzel habe einer Vorladung zur Befragung als Beschuldigte in einem Verfahren nicht Folge geleistet.
Das gegen Semra Güzel anhängige Verfahren bezieht sich auf die Vorwürfe Landesverrat und „Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation“. Offiziell wurde es eingeleitet, nachdem Anfang März die parlamentarische Immunität der 38-Jährigen in der türkischen Nationalversammlung aufgehoben wurde. Die Vorarbeit hierzu leistete eine medial aufwendige und offenbar vom Innenministerium gelenkte Diffamierungskampagne gegen die kurdische Politikerin und Ärztin in regierungsnahen Blättern. Deren Ausgangspunkt sind Fotos, die Güzel mit ihrem ehemaligen Verlobten, dem Guerillakämpfer Volkan Bora (Nom de Guerre: Koçero Meletî) zeigen. Die Aufnahmen waren 2014 in einem südkurdischen Guerillacamp entstanden, als eine Delegation der HDP im Rahmen des Friedensprozesses mit staatlichem Wissen die PKK besuchte, um weitere Schritte zur Deeskalation zu besprechen.
Die HDP sieht in der Schmierenkampagne gegen Güzel ein Propaganda-Manöver im Zuge des Verbotsverfahrens gegen die Partei. Die Veröffentlichung der Fotos von ihr und ihrem Ex-Verlobten sowie die Aufhebung ihrer Immunität seien Teil eines umfassenderen Versuchs, die HDP weiter zu kriminalisieren und ihre mögliche Auflösung durch das Verfassungsgericht vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen zu rechtfertigen, die normalerweise für Juni 2023 angesetzt sind. Sollte Güzel verurteilt werden, droht ihr eine langjährige Haftstrafe.
Polizeibesuch bei Güzel
Nur wenige Tage nach dem Entzug der Abgeordnetenimmunität hatte die türkische Polizei in Amed (tr. Diyarbakır) die Wohnung von Semra Güzel überfallen. Begründet worden war das abendliche Vorgehen ohne jegliche Ankündigung schon damals mit einer Aufforderung zum persönlichen Erscheinen zwecks Vernehmung. Güzel war zum Zeitpunkt der Razzia nicht anwesend. Ihre Fraktionskollegin Ayşe Acar Başaran hatte den Vorgang als „typische Praxis der gezielten Schikane“ bezeichnet.