Abendlicher Polizeiüberfall bei Semra Güzel

Die türkische Polizei hat in Amed die Wohnung der HDP-Abgeordneten Semra Güzel überfallen. Begründet wurde das abendliche Vorgehen mit einer Aufforderung zum persönlichen Erscheinen beim Staatsanwalt zur Beschuldigtenvernehmung in einem Terrorverfahren.

Die türkische Polizei hat die Wohnung der HDP-Abgeordneten Semra Güzel überfallen. Begründet wurde das am Freitagabend in Amed (tr. Diyarbakır) durchgeführte Vorgehen mit einer Aufforderung zum persönlichen Erscheinen zwecks einer Vernehmung als Beschuldigte. Grundlage ist ein Ermittlungsverfahren gegen die Politikerin, deren parlamentarische Immunität am Dienstag in der türkischen Nationalversammlung aufgehoben worden war. Güzel war nicht anwesend, als die Polizei in den späten Abendstunden ohne Ankündigung vor ihrer Wohnung im Stadtteil Payas (Kayapınar) auftauchte. Im Beisein ihres hinzugerufenen Rechtsbeistands mussten sich die Beamten am Ende damit zufriedengeben, ein Protokoll der Maßnahme anzufertigen und wieder abziehen.

Das gegen Semra Güzel anhängige Ermittlungsverfahren bezieht sich auf die Vorwürfe Landesverrat und Terrorismus. Offiziell wurde es am Freitag eingeleitet, nur wenige Stunden vor dem Polizeiüberfall vom Abend. Zur Erhebung der öffentlichen Klage hat das türkische Justizministerium die Oberstaatsanwaltschaft von Ankara berufen. Ob diese die Zivilklage am Ende einreichen wird, hängt von der Beweiswürdigung ab, gilt aber als wahrscheinlich. Güzel wird im nächsten Schritt eine Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft über sich ergehen lassen müssen. Eine entsprechende Vorladung lag bislang nicht vor. Ob diese am Freitag durch die Polizei mündlich erlassen werden sollte oder eine versuchte zwangsweise Vorführung geplant war, ist unklar.

Güzel selbst hat sich bisher nicht zu dem Vorfall geäußert. Bei ihren Fraktionskolleginnen rief die überfallartige Polizeiaktion wütende Reaktionen hervor. Die Parlamentarierin Ayşe Acar Başaran etwa kritisierte den „Polizeibesuch“ bei Güzel als typische Praxis der gezielten Schikane. „So funktionieren die Mechanismen in diesem Land, wenn es um Kurdinnen und Kurden sowie um Frauen geht“, schrieb Başaran im Kurznachrichtendienst Twitter. Die Vizefraktionsvorsitzende Meral Danış Beştaş bezeichnete den Vorgang als „rechtswidrig und willkürlich“. Die Vorladung zur Beschuldigtenvernehmung müsse von der Staatsanwaltschaft kommen und nicht durch Polizisten persönlich übermittelt werden, die unangemeldet vor der Wohnung einer Abgeordneten aufkreuzten. „Wir scheinen es hier mit einer Fortsetzung des politischen Putschs vom 4. November zu tun zu haben“, sagte Beştaş. Ähnlich wie gestern in Amed hatte es sich an jenem Novembertag im Jahr 2016 verhalten, als mehrere HDP-Abgeordnete, darunter die früheren Vorsitzenden Figen Yüksekdağ und Selahattin Demirtaş, festgenommen wurden, nachdem ihnen kurz zuvor auf Betreiben Erdoğans die Immunität entzogen worden war. Die HDP spricht in dem Zusammenhang vom „Putsch vom 4. November 2016“.