„Der Aufstand von Frauen lässt sich nicht aufhalten“

Am 8. März haben Frauen in der Türkei mit bemerkenswerter Entschlossenheit Polizeibarrikaden überwunden und ihre Rechte eingefordert. Einige der Straßenkämpferinnen in Istanbul haben sich gegenüber ANF zum feministischen Nachtmarsch geäußert.

In Istanbul haben Frauen trotz Verbot durch das Gouverneursamt und massive Behinderung durch die Polizei am 8. März zum 20. Mal einen feministischen Nachtmarsch am Taksim durchgeführt. Auf dem Weg wurden Barrikaden durchbrochen, um ein weiteres Mal deutlich zu machen, dass die frauenfeindliche Politik der Regierung und des Kapitals und die weitere Verschärfung von Ausbeutung, Armut und Diskriminierung nicht zugelassen werden darf.

Einige dieser Frauen, die sich dem verweigern, was für Frauen als angemessen gilt, haben sich gegenüber ANF dazu geäußert, wie der Lebensraum von Frauen durch staatlich-männliche Gewalt beschnitten werden soll und wie sie sich dagegen wehren.

Diese Rebellion wird nicht aufhören“

Rüya Kurtuluş ist in der vordersten Reihe beim feministischen Nachtmarsch mitgelaufen. Sie sagt, dass Frauen zum wiederholten Mal unter Beweis gestellt haben, sich von Barrikaden und Verboten nicht aufhalten zu lassen. Der Aufstand von Frauen habe aus den Wohnungen, Straßen, Schulen und Arbeitsstellen auf den Nachtmarsch übergegriffen: „Wir sind in diesem Jahr auf Barrikaden gestoßen und haben sie kämpfend überwunden. Tausende Frauen sind zusammengekommen, um lautstark ihre Forderungen zu stellen. Wir haben ein weiteres Mal bewiesen, dass dieser Aufstand erst enden wird, wenn wir eine feministische Welt gegründet haben.“

Videoaufnahme vom feministischen Nachtmarsch am 8. März in Istanbul

Mit den Barrikaden sei versucht worden, die Frauen unter Kontrolle zu halten, fährt Rüya fort: „Die Regierung ist frauenfeindlich und lässt jedes Jahr ein Großaufgebot der Istanbuler Polizei am Taksim auffahren. Wir kennen diese Haltung sehr gut. In diesem Land gibt es Barrikaden gegen alle, die ihre Rechte einfordern und dafür kämpfen. Frauen sollen jedoch noch mehr unter Kontrolle gehalten werden. Die Frauen sind allerdings nicht mehr so wie früher. Sie sind aufgewacht und wollen Gleichberechtigung. Sie fordern Rechenschaft für die Mehrarbeit, die ihnen in den zwei Jahren der Pandemie zugemutet wird. Sie wollen frei leben. Aus diesem Grund wird versucht, Frauen noch stärker zu unterdrücken. Das lassen sich die Frauen nicht gefallen und gehen auf die Straße. Diese Rebellion wird nicht aufhören.“

Wir können alles erreichen und verändern“

Semra Aslan sieht in dem Verbot des feministischen Nachtmarschs einen Beweis für die Frauenfeindlichkeit der Regierung und ihre Angst vor Frauen. Sie sagt, die Frauen hätten ein weiteres Mal gezeigt, dass sie diese Politik nicht zulassen. Für alle Frauen seien die Auswirkungen der Regierungspolitik spürbar. Im Land herrsche eine schwere Wirtschaftskrise und die Rechnung dafür müssten vor allem Frauen tragen: „Frauen sind von einer extremen Verarmung betroffen. Wir sind die ersten, die im Krisenfall ihre Arbeitsstelle verlieren. Frauen sind auch diejenigen, die in der Familie gegen die Armut kämpfen müssen. Wir werden die Straßen nicht verlassen und gegen die frauenfeindliche Politik, den Feminizid und die Ausbeutung unserer Körper kämpfen. Im ganzen Land werden Rechte beschnitten, aber wir Frauen halten zusammen und haben Hoffnung. Uns ist bewusst, dass wir als Frauen alles erreichen und verändern können. Es ist Zeit für Veränderung, deshalb sagen wir: Es lebe der 8. März, es lebe unser Kampf. Wir werden den Kampf weiter ausbauen.“

Mit Sakine Cansiz im Gefängnis

Mevlude Acar ist seit Jahren in der Frauen- und der kurdischen Befreiungsbewegung aktiv. Für sie ist das Verbot der Demonstration am 8. März ein sicheres Anzeichen für die Angst vor der Stärke von Frauen. Mevlude war vor vielen Jahren mit der 2013 in Paris ermordeten Revolutionärin Sakine Cansiz zusammen im Gefängnis und weiß genau, wovon sie spricht, wenn es um männlich-staatliche Gewalt und den Widerstand von Frauen geht. Sie betont, dass Rechte erkämpft werden müssen. Dass Frauen heutzutage bewusster, stärker und entschlossener sind, lässt sie mit Hoffnung in die Zukunft blicken.

Zeit für Veränderung, Zeit der Frauen

Auch Hatice Başkale war bereits im Gefängnis. Sie wurde im Zuge einer Operation gegen die HDP verhaftet und musste ihr zweijähriges Kind mit ins Gefängnis nehmen. Zu den massiven Polizeiübergriffen am 8. März sagt sie, dass die Regierung „eine Masse schweigender Frauen“ erschaffen will. Frauen sollen auf den häuslichen Raum beschränkt werden und ein Sklavendasein führen, sagt die kurdische Aktivistin: „Inzwischen beugen sich Frauen dieser Politik nicht mehr, sie erheben ihre Stimmen in allen Bereichen des Lebens, in der Politik, im Parlament, auf der Straße. Ich bin Mutter und Kurdin. Die Dimension der Feindseligkeit uns gegenüber habe ich begriffen, als ich mit meinem zweijährigen Kind ins Gefängnis gesteckt wurde. Ich wurde verhaftet, weil ich Kurdin bin, und war ein Jahr und acht Monate mit meinem Kind im Gefängnis. Dort gab es viele Frauen wie mich. Sie wurden verhaftet, weil sie ihre Rechte als Frauen und Frieden gefordert haben. Auch heute sind viele von ihnen noch im Gefängnis, obwohl sie sehr krank sind. Ich habe nie die Hoffnung verloren und bin gestärkt und viel bewusster wieder herausgekommen. Mir selbst habe ich geschworen, die Rechte von Frauen noch viel vehementer als früher zu verteidigen. Heute trete ich noch stärker für die Werte ein, an die ich glaube. Auch wenn wir ins Gefängnis kommen, geben wir niemals auf. Ohnehin gibt es inzwischen keinen großen Unterschied zwischen drinnen und draußen mehr. Es ist überall wie im Gefängnis. Es ist Zeit für Veränderung und es ist die Zeit der Frauen.“