Die Kurdische Frauenbewegung in Europa (TJK-E) ruft zusammen mit dem in Düsseldorf ansässigen Kurdischen Frauenbüro für Frieden – Cenî e.V. sowie dem Frauendachverband in Nord- und Ostsyrien (Kongreya Star) und dem Dachverband der ezidischen Frauenräte (SMJÊ) angesichts der seit über drei Jahren andauernden Invasion von Efrîn und dem damit einhergehenden Feminizid und Genozid in der Region Frauenorganisationen, Feminist*innen und demokratische Kräfte dazu auf, sich der Kampagne „100 Gründe, um den Diktator zu verurteilen” anzuschließen. Die von der TJK-E ins Leben gerufene Initiative zielt auf die internationale Anerkennung von Feminizid als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die Aburteilung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan vor dem Strafgerichtshof.
„Mit dem am 20. Januar 2018 begonnen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg wurden Hunderttausende Menschen zur Flucht gezwungen. Unter anderem mit Waffen aus EU-Produktion wurden massive Kriegsverbrechen begangen. Krankenhäuser, Schulen, Trinkwasseranlagen und Getreidespeicher wurden gezielt unter Beschuss gesetzt. Ganze Dörfer der vor den Völkermorden geflohenen Ezid*innen, Armenier*innen und Assyrer*innen wurden zerstört. Die Neuansiedlung islamistischer Milizen in den Häusern der Vertriebenen wird mit Geldern aus den USA und der EU gefördert. Auch viele der islamistischen Milizen werden direkt und indirekt von den Hegemonialmächten unterstützt.
Kriegsverbrechen unter türkischer Besatzungsmacht
Bis heute hält die eindeutig völkerrechtswidrige Besatzung der Region Afrin mit Billigung der internationalen Staatengemeinschaft an. In den drei Jahren unter türkischer Besatzung wurden unzählige Kriegsverbrechen begangen, wie die Vereinten Nationen (UN) sowie zuletzt Human Rights Watch (HRW) feststellten. Die unter Kontrolle der Türkei stehenden islamistischen Milizen verbreiten Angst und Schrecken. Immer wieder kommt es zu Plünderungen, Bombenanschlägen, Zerstörung religiöser Stätten, Entführungen und willkürlichen Ermordungen. Dies führt bis heute zu weiteren Vertreibungen und damit einer Veränderung der demografischen Zusammensetzung der Bevölkerung. Vor allem die Situation der Frauen in Afrin hat sich massiv verschlechtert. Seit Beginn der Invasion sind nachweislich mehr als 200 Frauen entführt worden, davon sind bis heute 109 noch immer verschwunden und wurden wahrscheinlich ermordet. Die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher sein, der Menschenrechtsverein in Afrin geht von über 1000 entführten Frauen aus. Durch Lösegeldzahlungen zurückgekehrte Frauen berichten davon, dass sie Zeuginnen von Vergewaltigung, Folter und Mord wurden. In vielen Teilen wurde das Scharia-Recht eingeführt, Frauen werden gezwungen, Schleier zu tragen und vor allem Frauen religiöser Minderheiten verlassen mittlerweile aus Angst nicht mehr ihr Haus. Während früher Mädchen und Jungen gemeinsam zur Schule gingen und in ihrer Muttersprache unterrichtet wurden, findet heute strikt geschlechtergetrennter Unterricht in türkischer Sprache und entsprechend islamischer Vorstellungen statt.
Der Krieg gegen Afrin war und ist ein Krieg gegen Frauen
Das Ziel der Besatzung war neben der Neuverteilung des Mittleren Ostens vor allem auch die Zerschlagung der organisierten Frauenstrukturen, die seit der Revolution in Rojava 2012 aufgebaut worden waren. Afrin war der erste Kanton, der in den Umständen des arabischen Frühlings befreit wurde und derjenige Kanton, in dem die Frauenselbstorganisierung am stärksten fortgeschritten war. Durch die lange matriarchale Tradition und die starke Verbindung der Frauen zu ihrem Land und zur Natur schoßen schon kurz nach der Revolution unzählige Frauenkooperativen, Frauenkommunen und -räte, Gerechtigskeits- und Sicherheitsstruktuen aus dem Boden.
Als kurdische Frauen erklären wir, dass wir nicht ruhen werden, bis Afrin befreit ist und Frauen dort wieder ohne Angst und Schrecken selbstbestimmt leben können! Wir werden unseren Kampf fortführen und die Verantwortlichen für die Verbrechen, die in Afrin begangen wurden, zur Rechenschaft ziehen! Mit unserer Kampagne „100 Gründe für die Verurteilung Erdogans!“ möchten wir insbesondere auch die Auswirkungen der feminizidalen Politik der faschistischen AKP/MHP-Regierung in Afrin öffentlich machen. Mehr als 20 der in dieser Kampagne dargestellten Frauen lebten in Afrin. Unser Ziel ist es, Gerechtigkeit nicht nur für diese 20 Frauen zu fordern, sondern für alle Frauen, die unter türkischer Besatzung verschleppt, gefoltert, vergewaltigt und ermordet wurden. Die Befreiung Afrins bedeutet Gerechtigkeit für diese Frauen!
Organisierung und Frauenkampf als Antwort auf das Schweigen der Staaten
Einmal mehr fordern wir die internationalen Institutionen, die dafür geschaffen wurden für Frieden und Sicherheit zu sorgen, dazu auf, ihrer Aufgabe nachzukommen. Wir fordern die Entsendung internationaler Beobachtungsdelegationen, Sanktionen gegen die Besatzungsmacht Türkei, einen Stopp der Waffenlieferungen und die Anerkennung der demokratischen Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien! Vor allem aber rufen wir alle Frauenorganisationen, Feminist*innen und demokratische Kräfte dazu auf, sich unserer Kampagne anzuschließen und dafür zu sorgen, dass die Spirale der Kriege sich nicht weiter fortsetzt. Wir werden unseren Kampf nicht beenden bis jede Frau auf dieser Welt ein selbstbestimmtes und freies Leben führen kann!”