Şimal Ülkem Güneş: Subjekte des Kampfes

Frauen sind zerrissen, sie sind sich selbst fremd. Sie sind dazu gebracht worden, sich an Männern zu orientieren, Männer ins Zentrum zu stellen und eine patriarchale Denkweise zu übernehmen.

Nach jahrelanger Isolation haben Abdullah Öcalans Anwälte ihren Mandanten seit Mai dreimal besuchen können. Şimal Ülkem Güneş ist Koordinationsmitglied der PAJK (Partei der Freien Frau) und hat sich im ANF-Interview zum Aspekt der Frauenbefreiung in den bekannt gewordenen Gesprächsinhalten geäußert.

Abdullah Öcalan geht bei jedem Gespräch auf die Frauenfrage ein. Was ist der Grund, wie sollte damit umgegangen werden?

Ganz richtig, bei jedem Gespräch hat er gesondert die Frauenfrage thematisiert und kontinuierlich seine Meinung dazu gesagt. Er hat das Thema schon immer mit Sorgfalt behandelt, sich ausführlich damit auseinandergesetzt und nach historisch-gesellschaftlichen Gesichtspunkten analysiert. Das Niveau, das Frauen in Kurdistan erreicht haben, ist ein Ergebnis seiner Bemühungen.

Öcalan hat die Frauenfrage nicht wie Lenin oder Marx hinausgeschoben oder oberflächlich behandelt. Er hat Frauen als Subjekte des Kampfes definiert und ihnen immer eine Führungsrolle zugesprochen. Diese Erwartung hat er an Frauen gehabt. Meiner Meinung nach ist es eine der wichtigsten Entwicklungen, dass die für Freiheit kämpfenden Frauen nicht den Männern vertrauen und basierend auf ihrer eigenen Stärke leben und kämpfen. Dieses Ziel verfolgt Öcalan auch jetzt. Der Frauenkampf soll in eine Frauenrevolution münden und bei der Lösung aller gesellschaftlichen Probleme soll die Sichtweise von Frauen eine Rolle spielen.

Im Gespräch mit seinen Anwält*innen hat Öcalan am 12. Juni zum Thema Gewalt gegen Frauen gesagt: „Keine Frau sollte denken, dass sie nicht betroffen ist. Was euren Geschlechtsgenossinnen angetan wird, gilt euch allen.“ Wie bewerten Sie das?

Abdullah Öcalan sagt, dass die Frauenfrage nicht individualisiert betrachtet werden kann und das Problem einer Frau alle Frauen betrifft. Auf dieser Lösungsperspektive beruht auch die Frauenbefreiungsideologie. Der Staat ist ein Produkt der patriarchalen Mentalität. In der bestehenden Situation unterliegen die Gesellschaft, die Geschichte, die Religion usw. einem männlichen Monopol. Frauen haben keinen Lebensraum. Von einem Tausende Jahre währenden matriarchalen Zeitalter sind nur noch Bruchstücke übrig. Der Kampf von Frauen und ihre Position in der Gesellschaft bauen auf diesen Bruchstücken auf. Individuell dagegen zu kämpfen, mag Sinn machen. Da es sich jedoch um ein fünfzehntausendjähriges Problem handelt, ist ein organisierter und gesellschaftlicher Kampf notwendig. Die patriarchale Denkweise hat sich in den Genen festgesetzt. Deshalb hat Öcalan immer die Notwendigkeit dargelegt, dass Frauen zusammen mit ihren Geschlechtsgenossinnen kämpfen müssen.

Frauen sind zerrissen, sie sind sich selbst fremd. Sie sind dazu gebracht worden, sich an Männern zu orientieren, Männer ins Zentrum zu stellen und eine patriarchale Denkweise zu übernehmen. Deshalb ist unser Ziel die Rückkehr der Frauen zu ihrem eigenen Selbst. Frauen müssen mit sich selbst Frieden schließen. Sie müssen ihr eigenes Geschlecht mögen und der eigenen Identität den Vorrang geben. Eine Frau, die zu sich zurückgefunden hat, richtet sich nicht nach Männern. Die Auffassung, dass ein Angriff auf eine Frau ein Angriff auf alle Frauen ist, führt zu einem organisierten, starken, geplanten und politischen Kampf. Frauen müssen sich organisieren. Im modernen kapitalistischen System werden Frauen vor allem in dieser Hinsicht angegriffen. Mit einem ideologisch-liberalen Umgang werden Frauen voneinander isoliert und in egoistische Existenzen verwandelt. Abdullah Öcalans Umgang mit dieser Frage motiviert Frauen hingegen, sich zu organisieren, ihre Kräfte zu bündeln, Beziehungen zu knüpfen, Bündnisse aufzubauen und politisch-strategisch vorzugehen. Wichtig sind vor allem ein Bewusstsein und die Liebe zum eigenen Geschlecht.