Am 6. Mai 1972, vor exakt 53 Jahren, wurden Deniz Gezmiş, Yusuf Aslan und Hüseyin İnan vom türkischen Staat ermordet. Was ihre Mörder damals auslöschen wollten, war weit mehr als drei junge Leben – es war der Geist des Aufbruchs, der Widerstand gegen Imperialismus und Faschismus, der Traum von einer freien, solidarischen Gesellschaft. Doch die Geschichte hat anders entschieden: Die letzten Worte der drei Sprösslinge der Revolution hallen bis heute nach – als politischer Kompass für alle, die sich dem autoritären Kapitalismus entgegenstellen.
Die Revolte einer Generation
Die 68er-Bewegung war global – aber auch zutiefst lokal. In der Türkei waren es Studierende wie Deniz Gezmiş, Yusuf Aslan und Hüseyin İnan, die gegen die US-Militärpräsenz, den autoritären Staat und die soziale Ungleichheit rebellierten. Sie organisierten Proteste, besetzten Universitäten, setzten sich mit marxistischer Theorie auseinander und versuchten, Theorie in Praxis zu übersetzen. Ihre Kritik am Reformismus der Arbeiterpartei der Türkei (TİP) führte schließlich zur Gründung der Volksbefreiungsarmee der Türkei (THKO) – einer revolutionären Organisation, die für eine sozialistische Türkei kämpfte.
Deniz Gezmiş spricht beim Prozess vor dem Militärgericht, 1971 | Bildrechte: Deniz Gezmiş Vakfı
Widerstand in Aktion
Deniz Gezmiş wurde durch seinen Einsatz bei den Protesten gegen die 6. US-Flotte in Istanbul zum Symbol der studentischen Bewegung. Gemeinsam mit Yusuf Aslan und anderen setzte er Zeichen der Solidarität mit den antikolonialen Kämpfen weltweit. Als der berüchtigte US-Diplomat Robert Komer, bekannt für seine Rolle im Vietnamkrieg, die Technische Universität des Nahen Ostens (ODTÜ) in Ankara besuchte, wurde sein Auto angezündet – ein symbolischer Akt gegen die imperiale Arroganz der USA, getragen von Studierenden, die wussten, dass der Kampf gegen Ausbeutung keine Landesgrenzen kennt.
Internationalistische Praxis: Von Ankara nach Palästina
Die drei jungen Revolutionäre sahen den bewaffneten Kampf nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel zum Bruch mit einem repressiven System, das keine Spielräume für grundlegende Veränderung ließ. Auf ihrem Weg suchten sie internationalistische Solidarität. In Palästina erhielten sie militärisches Training von der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) – sie kämpften dort nicht nur an der Seite der Unterdrückten, sondern lernten auch, wie Widerstand praktisch organisiert wird. Die Erfahrungen flossen in den Aufbau der THKO ein, ebenso wie die theoretischen Überlegungen von Hüseyin İnan, der das strategische Papier „Der Weg der türkischen Revolution“ verfasste.
Die Gründungsproklamation der THKO wurde bei einer spektakulären Aktion am 4. März 1971 öffentlich gemacht: Vier US-Soldaten wurden entführt, ihre Papiere zusammen mit der Proklamation zurückgelassen. Darin hieß es unter anderem: „Habt keine Angst vor der Anzahl, dem Reichtum, der Macht und den Waffen des Feindes. Wenn wir sie dem Feind entreißen, wird niemand uns aufhalten können. Lasst uns an unsere eigene Kraft glauben. Vor dem Willen des Volkes kann keine Macht bestehen.“
Staatliche Repression und politische Rache
Nach dem Militärputsch vom 12. März 1971 begann eine brutale Repressionswelle gegen linke Organisationen. Deniz Gezmiş und Yusuf Aslan wurden am 16. März in Sivas gefasst, Hüseyin wenige Tage später in Kayseri. Vor dem Militärgericht verteidigten sie sich nicht als Angeklagte, sondern als Vertreter einer unterdrückten Klasse – ihr politisches Selbstverständnis blieb bis zum Schluss ungebrochen.
Am 9. Oktober 1971 fällte das Gericht das Todesurteil wegen „versuchten Umsturzes der verfassungsmäßigen Ordnung“. Am 10. März 1972 stimmte das Parlament dem Urteil zu – trotz massiver Proteste und Appelle im In- und Ausland. Die konservative Adalet Partisi (AP) stellte sich geschlossen hinter das Urteil, Teile der republikanischen CHP stimmten zu oder blieben der Abstimmung fern.
Yusuf Aslan. Deniz Gezmiş und Hüseyin İnan (v.l.n.r.) bei ihrem letzten Hofgang am 5. Mai 1972 | Bildrechte: Deniz Gezmiş Vakfı
Befreiungsversuch und staatliche Hinrichtung
Eine dramatische Rettungsaktion durch Mahir Çayan und andere Mitglieder der Schwesterorganisation THKP-C scheiterte: Drei ausländische Techniker wurden in Ünye entführt, um einen Austausch zu erzwingen. Doch die Aktion endete tragisch: In Kızıldere wurden Çayan und neun weitere Genossen vom Militär regelrecht hingerichtet. Ein einziger aus der Gruppe überlebte: der spätere Journalist, Verleger, Schriftsteller und HDP-Abgeordnete Ertuğrul Kürkçü.
Auch zahlreiche Petitionen und Appelle aus der Bevölkerung konnten die Hinrichtung nicht verhindern. Am Morgen des 6. Mai 1972 wurden Deniz Gezmiş, Yusuf Aslan und Hüseyin İnan im Gefängnis Ulucanlar erhängt. Jahre später gab der damalige Militärstaatsanwalt Baki Tuğ zu: „Natürlich wäre die Todesstrafe nicht notwendig gewesen. Hätten sie sich etwas gemäßigter gegeben, wären sie wohl nicht hingerichtet worden.“ Ein Satz, der deutlich macht, dass es dem Staat ausschließlich um Disziplinierung ging.
Worte, die nicht sterben
Die letzten Worte der drei Sprösslinge der Revolution wurden zum Vermächtnis der revolutionären Bewegung:
Yusuf Aslan: „Ich sterbe ein einziges Mal für die Unabhängigkeit meines Landes und das Glück meines Volkes. Ihr aber, die ihr uns hinrichtet, werdet jeden Tag an eurer Schande sterben. Wir dienen dem Volk – ihr dient Amerika! Es lebe die Revolution, nieder mit dem Faschismus!“
Hüseyin İnan: „Ich habe für das Glück meines Volkes und die Unabhängigkeit unseres Landes gekämpft, ohne je persönliche Interessen zu verfolgen. Ich habe diese Fahne mit Ehre getragen – jetzt übergebe ich sie dem Volk. Es leben die Arbeiter, die Bauern, es leben die Revolutionäre! Nieder mit dem Faschismus!“
Deniz Gezmiş: „Es lebe ein vollständig unabhängiges Türkei! Es lebe die große Ideologie des Marxismus-Leninismus! Es lebe der gemeinsame Befreiungskampf der türkischen und kurdischen Völker! Nieder mit dem Imperialismus! Es leben die Arbeiter und Bauern!“
Politisches Erbe: Gemeinsamer Kampf gegen Ausbeutung
Besonders Deniz Gezmişs Bezug auf das kurdische Volk war ein Bruch mit nationalistischen Dogmen. In einer Zeit, in der die Existenz des kurdischen Volkes öffentlich kaum anerkannt war, benannte er am Galgen klar die Notwendigkeit eines gemeinsamen Befreiungskampfes – von Kurd:innen und Türk:innen, von Unterdrückten jeder Herkunft. Diese Haltung steht bis heute im Widerspruch zu nationalistischer Vereinnahmung, die seine letzten Worte bisweilen in „Brüderlichkeit“ umdeuten will, um den antikolonialen Kern zu entschärfen.
Doch die Wahrheit bleibt: Die drei Sprösslinge waren Revolutionäre – Internationalisten, Klassenkämpfer, Antifaschisten. Sie sind tot – aber ihr Kampf lebt weiter. Ihre Träume bleiben aktuell in Zeiten, in denen autoritäre Strukturen, Ausbeutung und Nationalismus erneut erstarken.
Denn solange es Unterdrückung gibt, bleibt Widerstand legitim.