Prozess gegen Mehmet Çakas in Celle fortgesetzt

Der in Celle verhandelte PKK-Prozess gegen Mehmet Çakas spiegelt die Willkür bei der Verfolgung von politisch aktiven Kurd:innen wider: Deutsche Beamte orientieren sich an der türkischen Justiz und bezeichnen eine HDP-Politikerin als „Terroristin“.

Der kurdische Aktivist Mehmet Çakas steht seit Anfang September in Celle vor Gericht. Dem 44-Jährigen wird von der Generalstaatsanwaltschaft Celle die Mitgliedschaft in der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vorgeworfen, welche nach §§129a/b StGB eine „terroristische Vereinigung im Ausland“ ist. Vergangene Woche wurde der am Oberlandesgericht (OLG) Celle anhängige Prozess gegen Çakas fortgesetzt. Zu Beginn des zweiten Verhandlungstages am Montag machte seine Verteidigung deutlich: „Es ist eine politische Entscheidung, ob jemand als Freiheitskämpfer oder als Terrorist behandelt wird.“

Ulrich von Klinggräff, einer der beiden Verteidiger von Çakas, verlas einen ausführlich begründeten Einstellungsantrag. Der Jurist betonte darin, dass es zu einer politischen Neubewertung der PKK kommen müsse vor dem Hintergrund der Berücksichtigung der Zustände im autokratischen System der Türkei. Es sei Fakt, dass die Türkei seit ihrer Staatsgründung gegen das friedliche Zusammenleben der Völker im eigenen Land handele. Unverständnis äußerte von Klinggräff daher, dass die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage die Positionen des türkischen Staats über politisch tätige Kurdinnen und Kurden im Ausland übernehme und diese als terroristisch deklariere. Wegen diesem Widerspruch sei die Anklageschrift auf Willkür zu prüfen, forderte er.

129a/b darf sich nicht gegen demokratische Befreiungsbewegungen richten

Auch die Verfolgungsermächtigungen, die dem Verfahren gegen seinen Mandanten zugrunde liegen, seien willkürlich erteilt worden beziehungsweise würden auf diese Weise aufrechterhalten. Von Klinggräff beantragte die Aufhebung des Haftbefehls gegen Çakas und die Einstellung des Verfahrens gemäß § 260 Abs. 3. Der Paragraph 129a/b StGB dürfe sich nicht gegen demokratische Befreiungsbewegungen richten. Auch Mittel und Gesetzesübertretungen, die faktisch nach §§129a/b strafbar wären, sollten legitim sein im Angesicht der Tyrannei, wurde Grünen-Politiker Volker Beck zitiert. Im weiteren Verlauf seines Einstellungsantrags ging von Klinggräff ausführlich auf die politische und ethnische Verfolgung in der Türkei ein.

Beamter bezeichnet Gesellschaftszentrum als PKK-Zentralverein

Am zweiten und dritten Prozesstag, der am Mittwoch stattfand, sagten vier Beamte vom polizeilichen Staatsschutz des Bundeskriminalamts (BKA) und der Landeskriminalämter (LKA) Bremen und Hannover aus. Dabei blieben einige von ihnen in ihren Aussagen widersprüchlich und es fiel auf, dass sie sich in politischen Wertungen stark an der türkischen Justiz orientieren. So wurde beispielsweise Leyla Güven, in der Türkei inhaftierte Politikerin der Demokratischen Partei der Völker (HDP), der 2020 das Abgeordnetenmandat entzogen wurde, schlicht als „Terroristin“ bezeichnet. In gleicher Weise undifferenziert blieben auch die Aussagen zum kurdischen Gesellschaftsverein Birati e.V., der durch den Beamten „salopp formuliert“ als PKK-Zentralverein betitelt wurde. Erst auf Nachfrage fand der Beamte passendere und differenziertere Begriffe.

Auch wurde über beschlagnahmten Sachgüter im Rahmen einer Hausdurchsuchung debattiert. Der Zeuge Finzenzius des LKA Bremen berichtete von der Beschlagnahmung von Aufnahmen kurdischer Musikvideos und kurdischer Folklore. Auf die Nachfrage von Rechtsanwalt Dr. Björn Elberling, ob der Zeuge glaube, dass es auch eine kurdische Kultur ohne PKK-Bezug gäbe, antwortete dieser erst nach kurzem Nachdenken mit Zustimmung.

Auch im weiteren Verlauf der Verhandlung stellte sich heraus, dass sich die Staatsbeamten des LKA offensichtlich nicht vorstellen können, das kurdischstämmige Menschen Politik machen und sich auf Abdullah Öcalan beziehen, ohne Mitglied in der PKK zu sein. Diese Haltung spiegelte einmal mehr die Tatsache der Kriminalisierung und Stigmatisierung kurdischer Aktivist:innen in Deutschland wider.

Atmosphäre des Terrorstigma

Die Gerichtsverhandlung findet in einer Atmosphäre des Terrorstigma statt, bei dem der Angeklagte mit einer hohen Glaswand zum Zuschauerraum isoliert wird. Mit Maschinengewehren ausgestattete Polizisten, eine mehrstufige Sicherheitsschleuse und weitere „Sicherheitsmaßnahmen“ sollen die „Gefährlichkeit“ von Çakas suggerieren und den Anschein erwecken, dass es sich hierbei um einen vermeintlichen Terroristen handelt.

Der nächste Gerichtstermin von Mehmet Çakas vor dem OLG Celle ist am Mittwoch (27. September) um 9:30 Uhr. Weitere Verhandlungstermine sind für den 4. und 10. Oktober um 10 Uhr und den 11. Oktober um 9:30 Uhr anberaumt.

Im November sind folgende Verhandlungstermine geplant:

1., 7., 8., 21., 22., 28., 29. November 2023.

Die Prozesstermine im Dezember sind: 5., 6., 12., 13., 19., 20. Dezember 2023.

Im Jahr 2024 stehen diese Termine an: 9. und 10. Januar 2024

Die Prozessbegleiter:innen und Aktivist:innen rufen alle Interessierten auf, an den Gerichtsverhandlungen teilzunehmen. „Wir finden, dass die Teilnahme an den Verhandlungen seitens Beobachter:innen und der Zivilgesellschaft stärker werden muss, um öffentlichen Druck aufzubauen. Mehmet Çakas wird keine konkrete Straftat vorgeworfen. Die deutsche Justiz wird hier als politisches Instrument verwendet, um politisch aktive Kurd:innen ohne konkret nachgewiesene Straftaten zu kriminalisieren. Kurd:innen sollen ihrer Rechte beraubt werden“, sagte Monika Blass. „Auch finden wir es enorm wichtig, dass wir Mehmet nicht allein lassen. Deshalb wünschen wir uns, dass ihm regelmäßig Briefe und Postkarten geschrieben werden.“

Die Postadresse von Mehmet Çakas, der Kirmanckî, Kurmancî, Türkisch und ein wenig Deutsch spricht, ist die JVA Hannover, Schulenburger Landstraße 145, 30165 Hannover.