Vor dem Staatsschutzsenat am Oberlandesgericht Celle ist die Hauptverhandlung gegen den kurdischen Aktivisten Mehmet Çakas eröffnet worden. Dem 44-Jährigen wird von der Generalstaatsanwaltschaft Celle Mitgliedschaft in der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vorgeworfen, nach §§129a/b StGB eine „terroristische Vereinigung im Ausland“.
Die Initiativen „Women Defend Rojava" und „Defend Kurdistan" hatten zu Solidarität aufgerufen und mit einer Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude die Einstellung des Verfahrens und die Freilassung des Aktivisten gefordert.
Mehmet Çakas war Ende vergangenen Jahres auf Antrag der deutschen Strafverfolgungsbehörden in Mailand in Auslieferungshaft genommen worden. Eine Überstellung aus Italien an die deutsche Justiz erfolgte Anfang März dieses Jahres. Er befindet sich in Untersuchungshaft in der JVA Hannover.
Mehmet Çakas (Archiv)
Bei der heutigen Eröffnung des Hauptverfahrens wurde der Angeklagte von Dutzenden solidarischen Prozessbeobachter:innen mit Applaus begrüßt. Mehmet Çakas erklärte vor Gericht, sich auf Kurdisch (Kurmancî) zu äußern. Nach der Personalienfeststellung wurde die Anklage durch die Vertreterin der Generalstaatsanwaltschaft verlesen. Dabei stach vor allem die Liste der vorgeworfenen Aktivitäten heraus: Aktionen für die Freiheit von Abdullah Öcalan und zu seiner rechtswidrigen Isolation in türkischer Haft, zum Tag gegen Gewalt an Frauen und zu den Angriffen auf die Region Şengal im Nordirak, in der der „Islamische Staat“ (IS) im August 2014 einen Völkermord an der ezidischen Gemeinschaft begangen hat. Auch soll der Angeklagte als Streitschlichter fungiert, Reden gehalten und Personen zu politischen Aktivitäten mobilisiert haben. Individuelle Straftaten werden Mehmet Çakas nicht vorgeworfen. Die Strafbarkeit liegt lediglich in dem Vorwurf der mitgliedschaftlichen Betätigung für die PKK im Zeitraum 2018 bis 2021 in Hannover und Bremen.
Im weiteren Verlauf der Prozesseröffnung bewertete die Staatsanwaltschaft die PKK und die Rolle von Abdullah Öcalan. Der kurdische Vordenker und Philosoph ist seit 1999 auf der Gefängnisinsel Imrali inhaftiert und befindet sich seit vielen Jahren ohne ein Lebenszeichen in Isolationshaft. Die deutsche Justiz ist laut Anklageschrift der Ansicht, dass er in dieser Situation alle möglichen Arbeiten von kurdischen Organisationen überwache und ratifiziere. Eine Benennung der Verbrechen und Unterdrückung des türkischen Staates gab es nicht und damit auch keine Kontextualisierung von Terrorvorwürfen gegenüber der PKK.
Verteidigt wird Mehmet Çakas von den Rechtsanwälten Dr. Björn Elberling und Ulrich von Klinggräff, die nach der Anklageverlesung ein kurzes Statement gegenüber ANF abgaben. „Auch in dieser Anklage wird unserem Mandanten, so wie das bei den sogenannten PKK-Verfahren die Regel ist, nicht vorgeworfen, dass er in Deutschland etwas getan hätte, das für sich genommen strafbar wäre. Ihm wird vorgeworfen, Demonstrationen organisiert zu haben, an Trauerveranstaltungen teilzunehmen, Streit zwischen kurdischen Familien zu schlichten. Das sind einige der Tätigkeiten, von denen die deutsche Justiz sagt, wenn das ein kurdischer Mensch in Deutschland macht, von dem sie der Meinung ist, er sei in die Strukturen eingebunden, dann ist das strafbar, dann ist das Terrorismus. Unser Mandant wird sich zu gegebener Zeit dazu äußern, was von einer solchen Konstruktion zu halten ist. Auch wir als Verteidigung werden natürlich deutlich machen, dass diese Konstruktion für uns nicht akzeptabel ist“, erklärte Rechtsanwalt Elberling. Sein Kollege von Klinggräff bewertete die Anklageschrift als klassisches Beispiel für Verfahren, mit denen versucht wird, legale Tätigkeiten und demokratisches Handeln zu kriminalisieren.
Solidarität mit Mehmet Çakas
Bei der Solidaritätskundgebung vor dem Gerichtsgebäude betonte ein Bruder des Angeklagten in einer Rede, dass er und seine gesamte Familie hinter Mehmet Çakas stehen. In einem Redebeitrag von „Women Defend Rojava" und „Defend Kurdistan" wurde die Kriminalisierung kurdischer Aktivist:innen in Deutschland scharf kritisiert. Die Initiativen forderten die Aufhebung des PKK-Verbots sowie die umfängliche politische Anerkennung und Unterstützung der kurdischen Befreiungsbewegung und der Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien.
„Wir können sehen, dass parallel zum intensiver werdenden Krieg in Kurdistan auch die Repression staatlicher Institutionen in der BRD gegenüber politisch aktiven Kurd:innen und solidarischen Menschen und Gruppen in den letzten Jahren immer mehr ausarten. Mit Hilfe des Terrorkonstruktes, welches mit dem PKK-Verbot begründet wird, werden die Grundrechte der kurdischen Community in Deutschland massiv eingeschränkt und politische Aktivitäten im Sinne der Versammlungs- und Organisationsfreiheit kriminalisiert", so Maria Weber von „Women Defend Rojava".
Generalverdacht gegen die kurdische Community in Deutschland
Weiter erklärten die Initiativen auf der Kundgebung: „Während die PKK seit Jahrzehnten versucht, gemeinsam mit weiteren demokratischen Kräften ein friedliches und solidarisches Miteinander in der Region Kurdistans aufzubauen, bombardiert der NATO-Partner Türkei Zivilist:innen, entvölkert ganze Landstriche und unterdrückt und ermordet die Bevölkerung. Zudem beherbergt und fördert dieser NATO-Partner Terrrorbanden wie den sogenannten ,Islamischen Staat', die Muslimbrüder, Al-Qaida und ähnliche Ableger.
Die PKK ist seit 1993 in Deutschland nach dem Vereinsgesetz verboten. Dieses Verbot bietet die Grundlage zur Kriminalisierung von Kurd:innen und hält bis heute an. Eine weitere Grundlage ist der §129a/b, der seit 2011 auch gegen vermeintliche PKK-Mitglieder verwendet wird. Es herrscht ein Generalverdacht des sogenannten ,PKK-Bezuges' bei jeglicher politischer, kultureller und sozialer Aktivität, die mit der kurdischen Identität verbunden ist. Konzerte und Festivals wurden und werden verboten, es gibt mehrere Fälle, in denen die deutsche Polizei bei kurdischen Familienfeiern intervenierte.
Eine fortwährende Überwachung, Diffamierung und Kriminalisierung wird legitimiert und das Bild jeder Kurde, jede Kurdin sei ein/eine potentielle Terrorist:in wurde geschaffen. Dadurch werden erhebliche Grundrechtseingriffe in die Versammlungsfreiheit, sowie in die Meinungsfreiheit begründet. Selbst ganze Archive, die die kulturelle Vielfalt der kurdischen Literatur, Sprache, Kunst und Kultur erhalten - also die Existenzgrundlage der kurdischen Identität - werden beschlagnahmt und der Verlag und Vertrieb von Musik verboten.
Entgegen dieser Kriminalisierung sind kurdische Strukturen maßgeblich an einem Demokratisierungsprozess im Nahen und Mittleren Osten beteiligt, der auf den Werten Basisdemokratie, Frauenbefreiung und Ökologie basiert. Die dort bisher erzielten Fortschritte in verschiedenen Teilen Kurdistans inspirieren Menschen und Bewegungen in der ganzen Welt.“
Nächster Verhandlungstermin am 18. September
Der nächste Gerichtstermin von Mehmet Çakas vor dem Oberlandesgericht Celle ist am Montag, dem 18. September, um 10 Uhr. Weitere Verhandlungstermine sind für den 20. und 27. September um 9.30 Uhr, 4., 10., 11. Oktober, 1., 7., 8., 21., 22., 28., 29. November, 5., 6., 12., 13., 19., 20. Dezember 2023 sowie 9. und 10. Januar 2024 anberaumt.
Postadresse von Mehmet Çakas
Mehmet Çakas spricht Kirmanckî, Kurmancî, Türkisch und ein wenig Deutsch. Seine Postadresse ist Schulenburger Landstraße 145, 30165 Hannover.