Derzeit befinden sich elf Kurden in deutscher Straf- beziehungsweise Untersuchungshaft, weil ihnen gemäß Paragraph 129b Strafgesetzbuch (StGB) vorgeworfen wird, als „Kader“ für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in Deutschland tätig gewesen zu sein. Grundlage dieser Verfahren ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahr 2010: Die PKK sei nicht mehr als kriminelle Vereinigung im Inland, sondern nunmehr als terroristische Vereinigung im Ausland anzusehen.
Wie der Kölner Rechtshilfefonds AZADÎ mitteilt, stehen demnächst drei der inhaftierten Aktivisten vor Gericht. In Frankfurt am Main wird an einem Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) der Prozess gegen Ali Ö. fortgesetzt. Der 55-Jährige befindet sich seit seiner Festnahme im Mai vergangenen Jahres unter verschärften Bedingungen in Untersuchungshaft, weil er verschiedene „PKK-Gebiete“ politisch und organisatorisch betreut haben soll.
Konkret soll Ö. Versammlungen durchgeführt, die Arbeit von Aktivist:innen koordiniert oder zur Teilnahme an Festivals oder anderen Großveranstaltungen mobilisiert, Nachwuchs angeworben und Spendengeldkampagnen überwacht haben. Die Verhandlungstermine sind am 18., 22., 27. und 29. September und beginnen jeweils um 9:30 Uhr, Saal II, Gebäude E, Konrad-Adenauer-Str. 20, Frankfurt am Main.
OLG Koblenz: 129b-Prozess gegen Sabri Ç. wird eröffnet
In Koblenz wird am kommenden Donnerstag das Staatsschutzverfahren gegen Sabri Ç. eröffnet. Der 52-Jährige war auf Ersuchen der bundesdeutschen Strafverfolgungsbehörden im Juni 2022 mittels eines europäischen Haftbefehls in Paris fest- und in Auslieferungshaft genommen worden. Anfang des Jahres erfolgte seine Überstellung nach Deutschland. Seitdem befindet er sich in der JVA Wittlich.
Sabri Ç. wird beschuldigt, als hauptamtlicher Kader das „PKK-Gebiet“ Saarbrücken verantwortlich geleitet zu haben. Damit habe er sich „Verbrechen“ nach §§ 129a und b StGB schuldig gemacht. Neben den typischen finanziellen, organisatorischen und propagandistischen Aufgaben soll er laut Anklage ebenfalls Parteinachwuchs rekrutiert haben.
Der Prozessauftakt gegen Ç. beginnt um 9:30 Uhr vor dem Oberlandesgericht (OLG) Koblenz, Regierungsstr. 7. Weitere Verhandlungen – ebenfalls jeweils ab 9:30 Uhr – sind wie folgt terminiert:
Mittwoch, 6. September
Donnerstag, 7. September
Dienstag, 12. September
Mittwoch, 13. September
Donnerstag, 14. September
Dienstag, 19. September
Mittwoch, 20. September
Freitag, 22. September
Montag, 25. September und
Mittwoch, 27. September
Prozessauftakt gegen Mehmet Çakas
Vor dem OLG Celle beginnt kommenden Montag (4. September) der Prozess gegen Mehmet Çakas. Der kurdische Aktivist war Ende vergangenen Jahres auf Antrag der deutschen Strafverfolgungsbehörden in Mailand/Italien fest- und in Auslieferungshaft genommen worden. Eine Überstellung an die deutsche Justiz erfolgte Anfang März dieses Jahres. Er befindet sich in Untersuchungshaft in der JVA Hannover.
Die Anklage wirft Çakas vor, im Rahmen seiner PKK-Mitgliedschaft unter dem „Decknamen“ Şervan von Juli 2017 bis Januar 2018 das „PKK-Gebiet“ Berlin verantwortlich geleitet zu haben, ab 2018 das Gebiet Hannover und von 2019 bis mindestens Sommer 2021 das Gebiet Bremen. Der 44-Jährige soll in dieser Funktion – laut Anklage „stets konspirativ“ – für die Koordinierung organisatorischer, personeller und finanzieller Angelegenheiten zuständig gewesen sein. Vorgehalten wird ihm außerdem, in dem von ihm geleiteten Gebiet „mehrfach als Schlichter“ tätig gewesen zu sein und anlässlich einer Trauerveranstaltung eine „PKK-Propagandarede“ gehalten zu haben. Einer individuellen Straftat wird Çakas nicht beschuldig; strafbar ist lediglich die ihm von der Anklage vorgeworfene PKK-Mitgliedschaft. Der Generalbundesanwalt hat das Verfahren wegen „minderer Bedeutung“ an die Generalstaatsanwaltschaft Celle abgegeben.
Zum Prozessauftakt haben die Initiativen „Women Defend Rojava“ und „Defend Kurdistan“ zur einer Solidaritätskundgebung um 9:00 Uhr vor dem OLG Celle aufgerufen. Unter dem Motto „Freiheit für alle politischen Gefangenen – Frieden für Kurdistan“ sollten sich viele treffen, um ihre Solidarität mit Mehmet Çakas und anderen Betroffenen staatlicher Repression zu zeigen. Die Verhandlung beginnt um 10:00 Uhr in Saal H 94, Eingang Kanzleistraße in Celle.
Die weiteren Termine sind:
Montag, 18. September, 10:00 Uhr
Mittwoch, 20. September, 9:30 Uhr und
Mittwoch, 27. September, 9:30 Uhr.
Keine individuellen Straftaten
Laut AZADÎ sind nach aktuellem Stand 65 Aktivist:innen von abgeschlossenen bzw. laufenden §129a/b-Verfahren betroffen. In den meisten dieser Verfahren geht es jedoch nicht um individuelle Straftaten von Angeklagten, sondern um deren politische Gesinnung. Grundlage ist das umstrittene Betätigungsverbot der PKK von 1993 und die laut § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB erforderliche Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) zur strafrechtlichen Verfolgung von Funktionsträger:innen (Gebiets-, Regions- und Sektorleiter). Eine generelle Ermächtigung hat das Ministerium 2011 ausgestellt, die bis heute automatisch gegen diesen Personenkreis angewendet wird. Jederzeit können aber auch Einzelermächtigungen erteilt werden gegen Menschen, deren Funktion die Behörden als weniger hochrangig einstufen. In jüngster Zeit erteilt das FDP-geführte Bundesjustizministerium zunehmend Einzelermächtigungen zur strafrechtlichen Verfolgung von Aktivist:innen nach §§ 129a/b. Weil die Behörden bei den meisten wegen eines festen Wohnsitzes und einer Familiengebundenheit keine Fluchtgefahr annehmen, bleiben sie von einer Inhaftierung verschont. Ihre genaue Zahl ist AZADÎ nicht bekannt.
Umfangreiches DHKP-C-Verfahren in Düsseldorf
AZADÎ weist außerdem auf ein umfangreiches 129b-Verfahren in Düsseldorf gegen drei Aktivist:innen hin, die vom Generalbundesanwalt beschuldigt werden, das sogenannte Deutschland-Komitee für die Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) gebildet zu haben. Seit ihrer Festnahme im Mai des vergangenen Jahres befinden sich Özgül Emre, Ihsan Cibelik und Serkan Küpeli in Untersuchungshaft. Das Verfahren, das am 14. Juni 2023 vor dem 7. Strafsenat des OLG Düsseldorf eröffnet wurde, wird an folgenden Tagen fortgesetzt:
Dienstag, 19. September
Mittwoch, 20. September
Mittwoch, 27. September und
Donnerstag, 28. September
Die Verhandlungen beginnen jeweils um 9:30 Uhr (am 27.9.: 9:30 bis 12:30 Uhr) vor dem OLG Düsseldorf-Hamm, Kapellweg 36.