Zum dritten Todestag: Erinnern an Heval Andok

Am 16. Oktober 2019 kam Konstantin Gedik (Andok Cotkar) in Serêkaniyê ums Leben. Er sicherte die Evakuierung einer Klinik, als er durch einen völkerrechtswidrigen Luftangriff der Türkei getötet wurde. In Kiel wurde ihm zu seinem dritten Todestag gedacht.

Zum dritten Todestag des Internationalisten Konstantin Gedig (Andok Cotkar) kamen am vergangenen Sonntag in Kiel viele Menschen zu einer würdevollen und kämpferischen Gedenkfeier zusammen. In vielfältigen Rede- und Musikbeiträgen wurde Heval Andok gedacht, der am 16. Oktober 2019 bei der Verteidigung von Serêkaniyê durch einen Luftangriff des NATO-Mitglieds Türkei getötet wurde.


Schon vor dem offiziellen Beginn der Gedenkfeier herrschte reges Treiben im Kurdischen Gemeindezentrum in Kiel. Freund*innen der kurdischen Befreiungsbewegung, Internationalist*innen und Antifaschist*innen von nah und fern begrüßten und unterhielten sich angeregt beim obligatorischen Glas Çay, drinnen wurde noch fleißig geprobt. Der Veranstaltungssaal des Zentrums war liebevoll mit unzähligen Fahnen der YPG, YPJ und PYD geschmückt und an den Wänden hingen die Porträts der unzähligen Kämpfer*innen, die für die kurdische Freiheit und den Kampf gegen den Faschismus gefallen sind. Gesäumt von Blumen und Kerzen blickte von einem roten Transparent das Konterfei von Konstantin Gedig.


Konstantin hatte sich 2016 den Volksverteidigungseinheiten (YPG) und ihrem Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) angeschlossen. Er nannte sich Andok, der Name des höchsten Berges in Amed (tr. Diyarbakir), und nahm den Nachnamen „Cotkar“ (Kurdisch für Bauer) an. In Rojava kämpfte Andok Cotkar an verschiedenen Fronten gegen den IS. Mit Beginn der neuerlichen Angriffe des türkischen Staates und seiner dschihadistischen Söldner auf Rojava meldete er sich als Freiwilliger und ging nach Serêkaniyê, um die Besatzung abzuwehren. Bei der Sicherung der Evakuierung des Şehîd-Roj-Hospitals und dem Versuch, ein Massaker zu verhindern, starb Konstantin Gedig. Er wurde nur 24 Jahre alt.

Leichnam von Konstantin noch immer nicht geborgen

Als die Veranstaltung um Punkt 14 Uhr eröffnet wurde, war kein einziger Platz im Kurdischen Gemeindezentrum mehr frei. Der Einladung des Kieler Defend-Kurdistan-Bündnisses zu der Gedenkveranstaltung folgten bis zu 150 Leute. Nach einer kurzen Begrüßung wurde zu Beginn ein Film mit Bildern aus Konstantins Leben gezeigt, von der Geburt bis zu seiner Zeit bei den YPG in Rojava. Anschließend wurde Konstantin und aller Gefallenen in einer Schweigeminute gedacht. In ihrer auf Deutsch und Kurdisch vorgetragenen Begrüßung betonten die Organisator*innen anschließend, dass diese Gedenkveranstaltung nicht nur ein Moment der gemeinsamen Trauer sein solle, sondern auch ein Ort des sich gegenseitig Stärkens und Kraftschöpfens in Gedenken an Andoks Ideale und den von ihm geführten Kampf. „Denn gerade die Vielfältigkeit und das Facettenreichtum der verschiedensten Aktivitäten, die sich auch im heutigen Programm widerspiegeln, geben uns die Kraft und die Stärke, den gemeinsamen Kampf gegen Faschist*innen überall auf der Welt fortzuführen, bis es sie nicht mehr gibt.“ Das Moderationsteam erklärte, dass die genauen Umstände von Konstantins Ermordung immer noch unklar sind und es weiterhin weder einen Leichnam noch einen offiziellen Gedenkort gibt. Ein Umstand, der die Wichtigkeit dieser Veranstaltung als Ort des Gedenkens und Erinnerns unterstreicht und gegen das Verschweigen und Vergessen wirken soll.

Nesrîn Abdullah: Den Kampf von Heval Andok weiterführen

Nach der Begrüßung durch einen Vertreter des Kurdischen Gemeindezentrums SH richtete sich Nesrîn Abdullah, YPJ-Kommandantin aus Rojava, in einer Videobotschaft an die Familie und Freund*innen von Andok. Heval Nesrîn drückte im Namen der YPJ, YPG, QSD und der Generalkommandantur der Verteidigungseinheiten ihr Mitgefühl und tiefsten Respekt gegenüber Şehîd Andok und seiner Familie für ihren entschlossenen Kampf für Menschenrechte aus. Sie betonte den internationalistischen Charakter der Rojava-Revolution, für den Andok so ein leuchtendes Beispiel war:

„Das, was Heval Andok getan hat, war nicht nur an einem Krieg teilzunehmen, an der Verteidigung teilzunehmen, seine Freund*innen medizinisch zu behandeln und sie vor dem Tode zu retten. Er hat mit seiner Persönlichkeit einen Gruß an alle Völker gesandt und gesagt: solange die Völker Seite an Seite stehen, kann kein Regime und kein System diese unter Besatzung bringen. Vielleicht können sie das Land besetzen, aber niemals werden sie die Köpfe, die Gedanken und die Seele besetzen können.“

Die YPJ-Kommandantin versprach, das Gedenken an Şehîd Andok und alle anderen Gefallenen aufrechtzuerhalten und den Kampf fortzuführen:

„Wir, die Freund*innen von Şehîd Andok und allen Gefallenen werden ihre Kämpfe weiterführen so lange auch nur ein Hauch von Leben in uns verbleibt. Als Revolutionär*innen, die für die Menschlichkeit und Freiheit aller Völker kämpfen, werden wir auf diesem Weg weitergehen.“


Eine weitere Botschaft aus Rojava sendeten anschließend Genoss*innen von YPG/YPJ-International, die Heval Andok das Lied „Heute hier, morgen dort“ des linken Liedermachers Hannes Wader widmeten. Kulturellen Bezug hatte auch der folgende Beitrag von Carsten Krinn und Jörn Böwe, die ihre Initiative „Literaturpreis Konstantin Andok“ vorstellten. Mit der Initiative soll ein linkes Solidaritätsnetzwerk entstehen, um aktive Menschen zu fördern, die literarische und journalistische Texte schreiben, die Partei für Menschlichkeit, Gerechtigkeit und politische und soziale Emanzipation ergreifen und dabei den Mut haben, über die herrschenden Verhältnisse hinaus zu denken. In der Rede hieß es dazu:

„Wir wollten einen anderen Weg gehen: Nicht vorrangig Projekte fördern, sondern Menschen unterstützen, Persönlichkeiten, die sich in herausragender Weise für eine demokratische, sozial gerechte Welt jenseits des Kapitalismus einsetzen. Menschen, die sich nicht von der Logik kapitalistischer Institutionen aufsaugen lassen, die unbequeme Fragen stellen, die Eigensinn und Widerständigkeit bewahren. Menschen, die Hoffnungsträger sind und, wie wir es genannt haben, Fenster zum Sozialismus öffnen.“

Die Initiator*innen benennen den Preis nach Konstantin, weil sein Mut, seine Empathie, sein Mitgefühl, sein Humanismus der Tat und seine Haltung, solidarisch zu handeln, wo er es für richtig und notwendig hielt, beispielhaft und heute wichtiger denn je sind.


Anschließend wurde eine Grußbotschaft von Emine Gözen für die Bielefelder „Initiative für Frieden und Hoffnung in Kurdistan e.V.“ verlesen. Der gemeinnützige Verein unterstützt Projekte in den Bereichen Bildung, Ökologie und Kunst in Nord- und Ostsyrien, in der ezidischen Region Şengal und im UN-Flüchtlingslager Mexmûr. Durch den Wiederaufbau zerstörter Infrastrukturen und natürlicher Grundlagen sollen insbesondere Kinder und Familien, die besonders unter den Folgen von Kriegen und Gewalt leiden, unterstützt und ein menschenwürdiges Leben ermöglicht werden. Dabei würdigt die Initiative Konstantin als Freund und Genossen, aber auch als Vorbild und Vorreiter eines fortschrittlichen Gesellschaftsmodells, der mit seinem Engagement und Einsatz es überhaupt erst ermöglicht hat, dort politische Projekte umzusetzen. In diesem Sinne hält jedes Projekt auch die Erinnerung an Menschen wie Konstantin aufrecht.

„Zana û Andok“

Eine Weltpremiere feierte anschließend ein frisch ins Leben gerufenes kurdisch-deutsches Musikprojekt, das sich weder von Sprach- noch von Tonlagenbarrieren aufhalten ließ und das kurdische Lied „Zana û Andok“ vortrug. Im folgenden Grußwort von Malbata Şehîdan (Familien der Gefallenen) wurde die Unabdingbarkeit des Internationalismus für den kurdischen Befreiungskampf verdeutlicht:

„Die Unterstützung von internationalistischen Held*innen wie Andok zeigt den Unterdrückten, dass sie nicht egal sind. Dass es weiterhin Menschen auf der Welt gibt, die unabhängig von ihrer Herkunft sich für Menschenleben einsetzen. Es ist ein Zeichen für Menschlichkeit, Widerstand und für internationale Solidarität.“

Auch Alexander Hoffmann, der Rechtsanwalt von Heval Andoks Familie, betonte in seiner Rede, dass Konstantin gezeigt hat, wie die Brücke der internationalen Solidarität den Alltag und die Kämpfe hier in Deutschland mit den Kämpfen und der Revolution in Rojava verbinden kann. Konstantin ist nicht weniger als die Kraft und die Inspiration, dass wir den Kampf für Freiheit und Emanzipation gewinnen können. Weiterhin verdeutlichte Hoffmann, dass der politische und rechtliche Druck aufrecht erhalten bleiben müsse, um die Bundesregierung zu einer konsequenten Aufklärung der Ermordung Andoks zu drängen und die Verantwortlichen für den Tod zur Rechenschaft zu ziehen.

Ute Ruß: „Auf Erinnerung zu bestehen, kann mitunter schon Widerstand sein“

Für den emotionalsten Moment des Nachmittags sorgte mit Sicherheit Ute Ruß, die Mutter von Konstantin, mit ihrer Rede. Ute erklärte, wie die Traurigkeit über den Tod ihres Sohnes sie begleitet und für immer bleiben wird. Gleichzeitig machte sie aber klar, wie sehr sie Konstantins Überzeugung und den Schritt, sich der Barbarei des Islamischen Staates entgegenzustellen – der sich eben nicht mit Worten besiegen lasse, wie Konstantin immer betonte – nachvollziehen kann. „Kein Land darf ein anderes überfallen, dass gilt auch für den NATO-Partner Türkei“, betonte sie weiter und machte damit das Unrecht deutlich, mit dem die kurdische Bevölkerung konfrontiert ist und weswegen Andok letztendlich sterben musste. In einer Analogie zum Tuch als Webwerk verbildlichte Ute aber auch, wieviel Unterstützung und Solidarität die Familie bis heute erfahren hat, wie viele tolle und kämpferische Menschen sie kennenlernen durften und wie inspirierend das für die Familie war. Konstantin, ein „einfacher Bauer aus Schleswig-Holstein“, ist dabei das Webwerk, das diese Erfahrungen und Freundschaften zusammengebracht hat. Abschließend zitierte Ute den Schriftsteller Siegfried Lenz mit seinen Worten „Auf Erinnerung zu bestehen - kann mitunter schon Widerstand sein - zumindest dann, wenn Vergesslichkeit großgeschrieben oder dekretiert wird“ und rief dazu auf, weiterhin widerständig zu sein und die Geschichte von Andok weiterzuerzählen.


Anschließend wurde das kämpferische Lied „Serhildan jiyan e“ von den drei Sänger*innen und den zwei sie begleitenden (und begnadeten) Saz-Spielern und mit Unterstützung aus dem Publikum gesungen und mit dem kämpferischen Refrain „Widerstand heißt Leben“ ging es in die Pause. Die Gruppe Jiyana Jin und ihre Familien hatten ein reichhaltiges Buffet vorbereitet, sodass es nach 40 Minuten gestärkt weitergehen konnte.

Den zweiten Teil der Gedenkfeier leitete Gisela, eine Freundin der Familie, die in der „Städtepartnerschaft Friedrichshain-Kreuzberg-Dêrik e.V.“ aktiv ist, ein. Diese Städtepartnerschaft wurde im Februar 2019 durch den Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg offiziell beschlossen und seitdem sind Mitglieder des Vereins zu regelmäßigen Austauschen in Dêrik. Dabei unterstützt der Verein kulturelle, ökologische und medizinische Projekte, etwa eine mobile Klinik, die einen niedrigschwelligen Zugang zu medizinischer Versorgung ermöglicht. Aus ihren Erfahrungen vor Ort berichtete Gisela, wie der Krieg und dessen Folgen kontinuierlich im Alltag der Menschen präsent sind. Mit Blick auf die politische Rolle Deutschlands klagt sie die Bundesregierung an, die alles versucht um die Umstände des Mordes an Konstantin zu vertuschen, was einmal mehr die politische Dimension des Todes zeigt.

Über die Parallelen zwischen Andok und dem Partisanen Rudolf Katrašnik

Eine weitere Rede hielt der Internationalist Felix aus Hamburg, der im Spätsommer 2016 einige Tage gemeinsam mit Konstantin in Rojava verbracht hat. Felix zog in seiner Rede Parallelen zwischen Andok und dem Partisanen Rudolf Katrašnik – Kampfname Gašper, der im heutigen Slowenien gegen die Besatzung der Deutschen im Zweiten Weltkrieg kämpfte.

„Warum erzähle ich heute diese Geschichte? Weil Gašper hätte auch Andok sein können und Andok Gašper. Zwischen dem Tod von Gašper und Andok liegen 75 Jahre. Es waren zwei unterschiedliche junge Menschen, die zu zwei unterschiedlichen Zeiten, in zwei unterschiedlichen Ländern und zwei unterschiedlichen Orten lebten und kämpften. Und doch gibt es eine herausstechende Gemeinsamkeit von Andok und Gašper:

Beide fielen sie an der Seite der Unterdrückten gegen faschistische Besatzer. Beide verteidigten sie ihre verwundeten Freunde bis zum Schluss. Sie opferten ihr eigenes Leben, um das anderer zu schützen. Bis zum Schluss waren sie nicht bereit sich der Ungerechtigkeit zu beugen und gaben schließlich ihr Leben für ihre Ideale. Gašper und Andok, zwei junge Menschen die mit ihrer Aufopferung Geschichte geschrieben haben.“

Konstantins Grundschullehrerin erinnert sich

Einen persönlichen und sehr lebhaften Einblick in das Leben von Konstantin gab seine ehemalige Grundschullehrerin Ilona. Für diese war Konstantin nicht nur ein Schüler, sondern er wurde zu einem Freund, der sie all die Jahre begleiten sollte. Auf den erneuten Chor-Auftritt mit dem Lied „Oy Kurdistan“ folgte noch die Rede von Lorenz Gösta Beutin, stellvertretender Parteivorsitzender von der Partei Die Linke, der sich an einer Kleinen Anfrage im Bundestag zu den Todesumständen von Konstantin im Juni 2022 beteiligt hat. Diese Anfrage wurde von der Regierung großenteils gedeckelt, weil Kenntnisse über bestimmte Vorgänge angeblich nicht vorliegen würden oder aus Gründen der nationalen Sicherheit nicht preisgegeben werden dürften. Vielmehr ein weiterer Beweis für die enge Kooperation der Bundesregierung mit der Türkei und dem Erdogan-Regime.

„Wir waren und sind die Barrikade gegen die barbarischen Mörderbanden“

Als letzter Beitrag wurde das Gedicht „Mein Name ist Andok“ von Ayşe Fehimli auf Kurdisch und Deutsch vorgetragen. Darin heißt es unter anderem:

„Mein Name ist ANDOK. Meine Genoss*innen und ich machten uns auf den Weg. Wir kämpften aus Liebe für Freiheit und Menschlichkeit. Seid gegrüßt, ihr Genoss*innen im Kampf für die Gerechtigkeit!

Wir waren und sind die Barrikade gegen die barbarischen Mörderbanden und wir werden den brutalen Feind, der die Sonne verdunkelt, gemeinsam besiegen. Hand in Hand, Genoss*innen, Schulter an Schulter. Wir sangen Kampflieder aus einem Mund. Wir waren und sind die Hüter*innen, Botschafter*innen, Kämpfer*innen, Guerillas eines freien Lebens. Vielleicht mussten und müssen wir auf diesem Weg sogar sterben.“

Die Gedenkfeier wurde mit dem gemeinsamen Singen des Widerstandsliedes „Bella Ciao“ geschlossen. Wie schon bei den vorangegangenen Gedenkfeiern wurde auch diesmal die letzte Strophe Heval Andok gewidmet. Auf dass wir sie nie vergessen werden, die Blume des Heval Andok, der für unsere Freiheit starb!