Yaylalı: Das einzige Hindernis sind Öcalan und die PKK

Yannis Vasilis Yaylalı geht davon aus, dass die Opposition in der Türkei zu schwach ist. Er sagt, dass die kurdische Befreiungsbewegung das einzige Hindernis für die verbrecherischen Strukturen innerhalb des Staates ist.

Der Friedensaktivist Yannis Vasilis Yaylalı* nimmt im selbstverwalteten Flüchtlingscamp in Lavrio bei Athen an dem rotierenden Hungerstreik gegen die Isolation von Abdullah Öcalan teil und hat gegenüber ANF den Zusammenhang mit den Mafia-Verstrickungen des türkischen Staates erläutert.

Zur Situation in dem überwiegend von Kurdinnen und Kurden bewohnten Camp erklärt er: „Der griechische Staat hat unter verschiedenen Vorwänden die Unterstützung für das Camp eingestellt, das ist nicht hinnehmbar. Als Pontosgrieche appelliere ich an die griechische Regierung, von dieser Haltung abzusehen. So benimmt man sich nicht unter Freunden. Als Pontosgriechen begehen wir gerade den 102. Jahrestag des Völkermords an uns. Wir werden immer noch vom türkischen System bedroht. In dieser Situation müssen wir klären, wer Freund und wer Feind ist. Es gibt immer noch keine nationale politische Linie gegen das auf Genozid und Besatzung angelegte türkische Spezialkriegssystem.“

Die griechische Regierung müsse außerdem ihre auf Eigeninteressen basierende Haltung zum kurdischen Volk aufgeben und eine aufrichtige Beziehung pflegen, fährt Yaylalı fort: „Wenn sie sagt, dass eine freundschaftliche Beziehung zum kurdischen Volk besteht und es ein gemeinsames Schicksal gibt, dann muss sie sich auch dementsprechend verhalten. Die Auswirkungen des internationalen Komplotts, das sich in der Person von Abdullah Öcalan gegen das gesamte kurdische Volk richtete, dauern auch heute noch an. Griechenland hat sich bis heute nicht beim kurdischen Volk für seine Rolle dabei entschuldigt. Ganz abgesehen von einer Entschuldigung werden die Kurden und Oppositionelle drangsaliert. Das muss umgehend beendet werden, das kurdische Volk muss um Verzeihung gebeten werden. Und das Camp Lavrio muss seine Rechte zurückbekommen.“

Die Isolation ist ein Angriff auf die Gesellschaft“

Die Totalisolation von Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali bewertet Yaylalı als massiven Angriff auf die Gesamtgesellschaft. Dazu führt er aus:

„Für mich ist es eine große Ehre, am Widerstand gegen die Isolation von Abdullah Öcalan und in allen anderen Gefängnissen teilzuhaben. Es darf nicht vergessen werden, dass es sich bei der Isolationspolitik um einen massiven Angriff auf die Gesellschaft und ihre Sehnsucht nach Frieden handelt. Dass die AKP-Regierung für den eigenen Machterhalt nicht davor zurückschreckt, die Türkei, Kurdistan, den Mittleren Osten und sogar Europa in Brand zu setzen, hat sie mit ihrem schmutzigen Kriegskonzept gezeigt. Dieses Konzept setzt sie mit ebenso schmutzigen Bündnispartnern um. Vor hundert Jahren haben sich die Osmanen, die Ittihadisten und Mustafa Kemal [Atatürk] samt Freunden als zweite Generation der Jungtürken de facto auf die Vernichtung der christlichen Völker geeinigt. Genauso haben sich ihre heutigen Vertreter auf einen Genozid am kurdischen Volk verständigt, weil es das letzte Hindernis vor dem Jahrhundertprojekt einer Türkisierung der Region ist. Aus diesem Grund werden die vor hundert Jahren angewandten Methoden auch heute umgesetzt.“

„Mafiastrukturen im Staat gibt es seit über hundert Jahren“

Zu der aktuellen Debatte über die Verstrickungen zwischen Staat und organisierter Kriminalität in der Türkei erklärt Yaylalı: „Heute werden Leute wie Sedat Peker, Alaattin Çakıcı und Abdullah Çatlı aus dem Gefängnis geholt, um sie beim Völkermord an den Kurden zu benutzen. Der Krieg gegen die Kurden wird mit dem Gewinn aus Drogenhandel und ähnlichen mafiösen Tätigkeiten finanziert. Mafiosi und andere Verbrecher genießen Immunität und werden geschützt. Das Vorgehen aus der Vergangenheit wird an die Gegenwart angepasst. Bestes Beispiel dafür ist der osmanische Offizier Topal Osman, der eine zentrale Figur beim Völkermord an den Armeniern und Griechen war. Als Mustafa Kemal am 19. Mai 1919 in Samsun auftauchte, war Topal Osman die erste Person, mit er zusammentraf, obwohl dieser aufgrund der Massaker an den Armeniern gesucht wurde. Das wirft ein bezeichnendes Licht auf die später gegründete Republik Türkei. Bekanntlich haben später noch weitere Verbrecher, die an den Pogromen gegen die Griechen in Thrakien und der Ägäis beteiligt waren, Aufgaben bekommen. Für den Genozid an den Armeniern sind die Gefängnisse geöffnet worden. In ähnlicher Weise haben auch Mustafa Kemal und seine Kollegen Mörder aus dem Gefängnis geholt. Topal Osman ist gegen die Pontosgriechen eingesetzt worden. Alles, was Topal Osman und ähnliche Mörder, Diebe und Vergewaltiger in jener Zeit getan haben, wurde stillschweigend hingenommen. Bereits bei der Gründung der Republik gab es Verbrecher, Räuber, Putsche und gegenseitige Attentate. Das zieht sich bis heute hin.“

Keine Aufarbeitung zu erwarten“

Yannis Vasilis Yaylalı war in den neunziger Jahren als Offizier der türkischen Armee in Nordkurdistan stationiert. Er sagt, dass bereits damals die Mafiastrukturen innerhalb des Staates aufgeflogen sind, aber niemals eine Aufarbeitung stattgefunden hat. Der Unterschied zu den neunziger Jahren sei lediglich, dass die Verbindung zwischen Staat und Mafia heute offen fortgesetzt wird:

„In den 1990er Jahren sind durch die Geständnisse von Hüseyin Oğuz, der für den Militärgeheimdienst arbeitete, und des Überläufers Kahraman Bilgiç ähnliche Verbindungen wie die heute von Sedat Peker gestreuten Verstrickungen öffentlich geworden. Es ging damals um die sogenannte Yüksekova-Bande. In der gleichen Zeit kam es zum Susurluk-Skandal. So wie heute die Beziehungen zwischen Politikern, Mafia, Polizei und Militär und die von ihnen begangenen Verbrechen gestreut werden, sind damals ähnliche Dinge aufgeflogen. Bei der Gründung der Republik sind die Verbrecher zum Wohle des damaligen Systems geschützt worden. Das hat sich Ende der 1990er Jahre wiederholt. Sedat Peker erzählt heute eigentlich nur so viel von den damaligen Ereignisse, dass er sich selbst retten kann. Mit hoher Wahrscheinlichkeit tut er das in der Hoffnung, dass der Bluff an bestimmter Stelle gesehen wird und es zu einer Einigung kommt. Mit der Zeit wird sich herausstellen, wie sich sein Auftritt entwickeln wird.

Die heutige Situation überschreitet jedoch die Lage der neunziger Jahre. Damals ist versucht worden, diese Verbindungen im Verborgenen zu führen. Heute finden die Beziehungen zwischen Staat, Islamisten und Mafia ganz offen statt und es wird versucht, sie zu legitimieren.

Es sollte nicht vergessen werden, dass das faschistische und mörderische System ähnliche Personen in der Vergangenheit ausgeschaltet hat. Das wissen wir von Topal Osman über Yakup Cemil bis Abdullah Çatlı. Die Erwartung, dass aus dem aktuellen Geschehen eine Aufarbeitung erfolgt, ist illusorisch, weil die Opposition nicht stark genug ist, um diese Clique dazu zu zwingen.“

Das einzige Hindernis sind Abdullah Öcalan und die PKK“

Yannis Vasilis Yaylalı geht davon aus, dass die Opposition in der Türkei zu schwach ist. Er sagt, dass die kurdische Befreiungsbewegung das einzige Hindernis für die verbrecherischen Strukturen innerhalb des Staates ist: „Aus diesem Grund wird die Isolation von Abdullah Öcalan verschärft und es wird alles daran gesetzt, die PKK als kurdische Selbstverteidigungskraft auszuschalten. Wie in der Vergangenheit wird auch heute darauf gesetzt, eine willenlose und isolierte Gesellschaft zu schaffen und die Angriffe bis zur endgültigen Vernichtung fortzuführen. Darauf basiert die Aggression gegen Imrali, die anderen Gefängnisse, die PKK, die HDP und alle, die an ihrer Seite stehen.“

Yaylalı unterstreicht, dass der türkische Staat im Falle einer gelungen Vollendung des Völkermords an den Kurden auch erneut die Völker angreifen wird, an denen er bereits einen Genozid verübt hat: „Dass die Wünsche des aggressiv-imperialistischen Staates nicht mit dem Genozid am kurdischen Volk enden, haben bereits die Provokationen in Arzach, Libyen, im Mittelmeer und in der Ägäis gezeigt. Aus diesem Grund müssen Opposition und Bevölkerung aus Kurdistan und der Türkei einen gemeinsamen Kampf gegen diesen Staat führen, in den später auch Staaten und die Bevölkerung von Ländern wie Griechenland und Armenien einbezogen werden.

Eine Niederlage der Kurden bedeutet eine Niederlage für uns alle, wenn sie gewinnen, gewinnen wir alle. In diesem Sinne sollten wir Abdullah Öcalan und allen isolierten Gefangenen eine Stimme verleihen. Um die Isolation drinnen und draußen zu durchbrechen, rufe ich alle zur Mobilmachung auf.“


*Yannis Vasilis Yaylalı hieß nicht immer so. Früher war sein Name Ibrahim Yaylalı und er entsprach dem Heldenmodell des türkischen Staates. Er war in den 90er Jahren Offizier der türkischen Armee und beteiligte sich an Kriegsverbrechen im Krieg in Kurdistan. Viele weitere Gräueltaten sah er mit eigenen Augen. Er wurde 1994 verwundet und von der Guerilla gefangen genommen. Dies wurde zu einem Wendepunkt in seinem Leben. Er befand sich zwei Jahre und acht Monate in Haft bei der Guerilla und lernte dort, aus seiner islamistischen und rassistischen Sozialisation auszubrechen; er lernte das Paradigma Abdullah Öcalans kennen. Gleichzeitig erfuhr er, dass sein Vater zur griechischen Bevölkerungsgruppe in der Türkei gehörte. Er beschreibt diese Situation als einen Befreiungsschlag. Aus dem Militär und Kriegsverbrecher Ibrahim wurde der Friedensaktivist und Antimilitarist Yannis Vasilis. Nach seiner Freilassung wurde er für dreieinhalb Monate in der Türkei inhaftiert. Seither stellt er sich offen gegen Militarismus und Krieg und zog nach dem Massaker von Roboskî in das Dorf in den kurdischen Bergen. Mittlerweile musste er vor dem AKP/MHP-Regime nach Griechenland fliehen.