In einem vergangene Woche erschienenen Artikel von Ferda Çetin hat der Kolumnist der Tageszeitung Yeni Özgür Politika unter der Überschrift „Merkel-City im Dschihadistengebiet“ auf den Bau von fünfzigtausend „Brickethäusern“ in der vom türkischen Staat und seinen dschihadistischen Söldnern kontrollierten Region Idlib in Syrien aufmerksam gemacht. Wie ANF-Recherchen ergeben haben, ist Deutschland mit 25 Millionen Euro der größte Sponsor für diese neu gebaute Stadt. Was mit den gezahlten Geldern passiert, ist von den deutschen Behörden bisher nicht untersucht worden.
Die AKP-Medien berichten seit einer Weile unter den Schlagzeilen „Türkei errichtet von Null auf eine nagelneue Stadt“, „Neue Stadt mit 50.000 Unterkünften in Idlib“, „Die Brickethäuser der Türkei öffnen Türen der Hoffnung für die Menschen in Idlib“ und „50 Brickethäuser von Erdogan für Idlib“. Beschlossen wurde das Brickethaus-Projekt jedoch beim Istanbul-Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 24. Januar 2020.
Das Duo Merkel-Erdogan trat nach diesem Gespräch vor einem Jahr gemeinsam vor die Presse. Die Bundeskanzlerin ergriff zuerst das Wort und erklärte, dass neben der Hilfen in Höhe von jeweils drei Milliarden Euro in zwei Tranchen im Rahmen des „Flüchtlingsdeals“ zwischen der EU und der Türkei auch materielle Unterstützung denkbar sei. In Idlib gebe es Richtung Türkei flüchtende Menschen, die den Winter in Zelten verbringen müssten, und Deutschland könne den Bau fester Häuser unterstützen.
Geldtransfer zwei Tage nach dem Kizilay-Skandal
Nach Merkel äußerte sich Erdogan auf ähnliche Weise: Die Probleme der Flüchtlinge in Idlib seien nicht mit Zelten zu lösen, von der türkischen Rothalbmondorganisation Kizilay und der Katastrophenschutzbehörde AFAD sei in erster Etappe der Bau von zehntausend Brickethäusern eingeleitet worden und diese Anzahl könne bei Bedarf noch erhöht werden. Einen Tag bevor Erdogan den Bau verkündete, war bereits auf der Internetseite der IHH eine entsprechende Mitteilung unter der Überschrift „10.000 Brickethäuser für Idlib sind das Ziel“ erschienen.
Eine Woche nach Merkels Türkei-Besuch gab das Auswärtige Amt am 31. Januar 2020 die erwartete Erklärung ab. Das Ministerium teilte mit, dass dem türkischen Kizilay 25 Millionen Euro für die Unterbringung von Zivilisten in Idlib zur Verfügung gestellt werden. Damit sei die Bundesrepublik einer der größten Spender für humanitäre Hilfe in Idlib, stellte das Auswärtige Amt selbstzufrieden fest.
„Merkel-City“ Mashhad Ruhin im Gouvernement Idlib, knapp fünf Kilometer von der türkischen Grenze entfernt
In diesen Tagen stand die offizielle türkische Hilfsorganisation Kizilay wegen eines der größten Skandale ihrer Geschichte im Fokus der Öffentlichkeit. Der Kizilay hatte der Ensar-Stiftung, die wegen sexualisierter Gewalt an Kindern aufgefallen war, ein Bestechungsgeld von acht Milliarden Dollar gezahlt. In den Skandal verwickelt war außerdem die Türgev-Stiftung der Erdogan-Familie. Am 29. Januar 2020, zwei Tage bevor die deutsche 25-Millionen-Euro-Hilfe angekündigt wurde, hatte der Kizilay die Anschuldigungen offiziell anerkannt.
Die deutschen Geldtransfers zum Kizilay blieben nicht darauf beschränkt. Vergangenen Mai antwortete die Merkel-Regierung auf eine Anfrage der Linksfraktion, dass dem Kizilay im Rahmen der Hilfen für Schutzsuchende aus Syrien, Irak und Afghanistan 463.000 Euro zugesagt worden sind. Die Gelder wurden 2019 und 2020 in drei Tranchen an den türkischen Staat weitergeleitet. Für zwei Hilfsprogramme für syrische Kinder, an denen der Kizilay beteiligt war, wurden der Organisation 1,6 Milliarden Euro von der Europäischen Union überwiesen.
IHH in Deutschland verboten
Was die IHH vom Kizilay unterscheidet, ist ihr offizielles Verbot in Deutschland seit 2010. Die IHH wurde unter dem damaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) wegen der Finanzierung von Terrororganisationen verboten, nachdem die Stiftung 6,6 Millionen Euro für die Hamas gesammelt hatte. Alle Einsprüche der AKP-Regierung wurden zurückgewiesen, 2018 entschied sogar das Bundesverfassungsgericht, dass das IHH-Verbot nicht verfassungswidrig ist und somit bestehen bleibt.
Bundesregierung bestreitet Zusammenarbeit
Die Bundesregierung bestreitet eine Zusammenarbeit mit der IHH bei der Hilfe für Flüchtlinge in Syrien in den letzten Jahren. Auf Nachfragen von Oppositionsparteien hieß es, dass die Hilfen über die Vermittlung lokaler Einrichtungen verteilt werden. Diese schwammige Aussage verweist auf die IHH, die wie eine Abteilung des Erdogan-Regimes arbeitet. Die Stiftung ist sehr aktiv in den vom türkischen Staat und seinen dschihadistischen Milizen kontrollierten Gebieten. In der Vergangenheit ist mehrmals mit Dokumenten und den Aussagen von Dschihadisten thematisiert worden, dass die IHH unter dem Deckmantel einer Hilfsorganisation geheimdienstlich arbeitet und Waffen in Krankenwagen an islamistische Organisationen wie den IS oder al-Nusra geliefert hat.
Dass die IHH direkt vor dem Treffen zwischen Merkel und Erdogan in das Brickethaus-Projekt eingestiegen ist, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der Kizilay das aus Deutschland bezogene Geld an diese Organisation weitergeleitet hat. Die IHH hat Aufnahmen von den aus vier Wänden bestehenden „Brickethäusern“ in einem Gebiet nahe der türkischen Grenze lanciert und engagiert sich in den besetzten Gebieten um Serêkaniyê und Girê Spî in Projekten, mit denen der Bevölkerung mit religiösem Lack der türkische Nationalismus eingeimpft wird. Zuletzt hat die IHH mit dem türkischen Staat einen Korankurs in Serêkaniyê eingerichtet, in dem nur Arabisch und Türkisch gesprochen wird.
Schweigen im Auswärtigen Amt
Der Merkel-Regierung ist es weniger wichtig, in welche Hände die Gelder geflossen sind und wo sie für welchen Zweck verwendet werden. Sie will das Erdogan-Regime zufriedenstellen. Sie will dafür sorgen, dass die Zehntausenden Menschen aus Idlib, die eventuell nach Deutschland kommen könnten, in der Türkei oder sogar möglichst weit entfernt in Syrien bleiben. Der Türkei hatten schließlich die 25 Millionen Euro nicht gereicht und Erdogan hatte Ende Februar 2020 die Grenzen nach Griechenland und Bulgarien geöffnet. Am 4. März 2020 kündigte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) eine Zahlung von 100 Millionen Euro „für das humanitäre Drama in Idlib“ an.
Während die Merkel-Regierung davon spricht, dass die Gelder die Schutzsuchenden über lokale Hilfsorganisationen erreichen, hüllt sich das Auswärtige Amt seit der Verkündung des Unterkunftprojekts in Idlib in Schweigen. Seit der ersten Mitteilung unter der Überschrift „Humanitäre Hilfe für Syrien“ auf der Internetseite des Ministeriums gibt es keine neuen Informationen über die aktuelle Lage des Häuserprojekts in Idlib.
49 Millionen an Dschihadisten in Idlib
Dass sich Deutschland für Idlib interessiert, ist nicht neu. Auffällig ist, dass Deutschland offenbar eine Tradition daraus macht, für angebliche Krankenhäuser oder Schulen Gelder an Dschihadisten zu leiten. In der Antwort auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion DIE LINKE im Oktober 2018 teilte das Auswärtige Amt mit, dass insgesamt 49 Millionen Euro nach Idlib geschickt worden sind.