„Merkel-City“ im Dschihadistengebiet
Mit Unterstützung der EU und der Bundesregierung errichtet die Türkei eine „Stadt“ aus unbewohnbaren Häusern, in denen Schutzsuchende aus Syrien untergebracht werden sollen.
Mit Unterstützung der EU und der Bundesregierung errichtet die Türkei eine „Stadt“ aus unbewohnbaren Häusern, in denen Schutzsuchende aus Syrien untergebracht werden sollen.
Nicht einmal fünf Kilometer von der türkischen Grenze entfernt, in Mashhad Ruhin im Gouvernement Idlib, entsteht eine neue Stadt. In dem von islamistischen Milizen und der Türkei kontrollierten Gebiet werden 50.000 Wohnungen für syrische Flüchtlinge hochgezogen. Der Bau ist nach Angaben türkischer Medien praktisch abgeschlossen. In der Ausgabe der Zeitung „Hürriyet“ vom 2. Januar werden auch Bilder der Stadt verbreitet.
16 Quadratmeter große „Häuser“ ohne Wasser und Strom
Aber das, was dort gebaut wurde, lässt sich kaum als Häuser bezeichnen. Dennoch präsentierten die Medien der AKP die Flüchtlingsstadt im Kriegsgebiet mit großer Begeisterung als „Briketthäuser“, welche die Menschen vor dem Winter schützen sollen. Die meisten dieser Behausungen verfügen nur über ein Zimmer und haben eine Fläche von 16 Quadratmetern. Sie sind mit Planen abgedeckt, außerdem gibt es weder WCs noch Bäder. Laut einem Leiter der Einrichtung sollen Gemeinschaftsbäder und -toiletten errichtet werden. „In diesen Häusern werden Kriegswitwen wohnen“, heißt es. Es gibt weder Strom noch eine Kanalisation.
32 Quadratmeter als „Luxuswohnungen“ für Milizionäre
Es gibt aber offenbar auch eine „Hierarchie“ unter den Häusern. Für die Angehörigen von protürkischen Milizanführern wurden „luxuriösere“ Häuser gebaut. Was in diesem Lager „Luxus“ ist, zeigt, wie schlimm die dortige Normalität sein wird. Die „Luxushäuser“ haben 32 Quadratmeter und zumindest ein Betondach und sind höchstwahrscheinlich für Angehörige der SNA-Söldnertruppen der Türkei gedacht. In diesen Häusern gibt es Toiletten, Küchen und Bäder. 50 dieser Häuser wurden von Erdoğan persönlich und 57 weitere von seiner Ehefrau Emine Erdoğan finanziert. In den Provinzen der Türkei und Nordkurdistans sammelten die Gouverneure für die Errichtung von 5.000 dieser Häuser. Was mit diesen Geldern geschehen ist, oder ob es sich um die von der Familie Erdoğan „gegebenen“ Gelder handelt, ist eine ungeklärte Frage.
Offene Unterstützung durch internationale Gemeinschaft
Während die Vereinten Nationen, die EU und Deutschland nicht willens sind, die türkische Invasion in Nordsyrien ernsthaft zu kritisieren, obwohl dort Hunderttausende vertrieben werden, unterstützen sie ganz offen die Türkei bei der Errichtung von Häusern in „sicheren Gebieten“. Wenn man auf die Entwicklungen der letzten zwei Jahre zurückblickt, wird man leicht erkennen, dass diese Siedlung Schritt für Schritt im Rahmen eines internationalen Plans gebaut wurde und vor allem auf deutsche Unterstützung zurückzuführen ist.
Mit Drohung und Erpressung zur „Sicherheitszone“
So hatte der AKP-Chef Recep Tayyip Erdoğan bei einem Treffen der AKP-Provinzvorsitzenden am 5. September 2019 erklärt, dass man „die Tore öffnen werde“, weil Europa seine versprochene Hilfe nicht geleistet habe. Erdoğan forderte mit der gleichen Erpressung eine „sichere Zone“ in Syrien.
Am 23. September 2019 stellte Erdoğan auf der 74. Sitzung der Vereinten Nationen sein Konzept von „einer sicheren Zone“ in Syrien vor. Aus John Boltons Buch „The Room Where It Happened“ erfahren wir, dass diese Karte von James Jeffrey, dem US-Sonderbeauftragten für Syrien, im November 2018 erstellt und US-Präsident Donald Trump vorgelegt worden war. Diese Karte schloss große Teile Nordsyriens ein.
Merkel bestätigt Unterstützung – Türkei marschiert in Nordsyrien ein
Bei einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel am 24. September 2019 in New York sprach Erdoğan über die Gebiete, in denen nach Syrien zurückkehrende Flüchtlinge angesiedelt werden sollen. Die Bundeskanzlerin erklärte ihre Unterstützung für die Errichtung einer Sicherheitszone und für die Beschleunigung der Finanzierung der „Flüchtlingsfazilität“ (Unterbringung) für die Türkei. Am gleichen Tag marschierte die türkische Armee auf einem 120 Kilometer breiten Streifen zwischen Serêkaniyê und Girê Spî 35 Kilometer tief in Rojava ein und besetzte das Gebiet.
Angela Merkel erklärte am 22. Oktober 2019, der Vorschlag von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer für eine „internationale Sicherheitszone" für Nordsyrien verspreche „Hoffnung“. Auch wenn es viele Fragezeichen gebe, sei die Umsetzung dieser Idee „einen Versuch wert“. Erdoğan erklärte am 5. Dezember 2019 gegenüber türkischen Journalisten: „Wir haben die Situation in Syrien auf einem Gipfeltreffen mit der Türkei, Großbritannien, Deutschland, Frankreich erörtert ... Ich werde keine Namen nennen, nur ein Land hat versprochen, uns zu unterstützen.“
Das Land, das Erdoğan nicht nannte, war Deutschland. Bundeskanzlerin Merkel betonte am 2. März 2020 erneut, man brauche eine sichere Zone für Hunderttausende Syrer, die sich derzeit an der syrisch-türkischen Grenze befinden. Am 3. März bekräftigte sie diese Forderung nochmals auf der CDU/CSU-Fraktionssitzung.
Geld, politische Interessen und Handelsabkommen stechen Völkerrecht und Moral aus
Warum sind Bundesregierung und Kanzlerin Angela Merkel so engagiert in ihrer Unterstützung der Türkei, eine „sichere Zone“ auf syrischem Territorium zu schaffen und dort Millionen von Menschen unterzubringen?
Abgesehen von der historischen Tiefe der Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei, die bis ins Osmanische Reich zurückzuverfolgen ist, gibt es aktuelle Gründe für diese Haltung. Nach den Zahlen des UN-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) aus dem Jahr 2019 sind 5,7 Millionen Menschen vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflohen. Eine Million dieser Flüchtlinge ist nach Europa gekommen, 770.000 von ihnen suchten Zuflucht in Deutschland. Die Bundesregierung setzt alles daran, um die EU stärker nach außen abzuschotten, und arbeitet in diesem Zusammenhang eng mit der Türkei zusammen. Insbesondere der sogenannte EU/Türkei-Deal stellt einen wichtigen Faktor für die Abschottung der EU dar. Seine Konsequenz sind Massenlager auf den griechischen Inseln, in denen geprüft wird, ob Schutzsuchende wieder in die Türkei zurückgeschoben werden können.
Durch eine „sichere Zone“ in Syrien könnte diese Grenze der Abschottung der EU noch weiter nach vorne, direkt in die besetzten Gebiete in Syrien verlagert werden. Wenn es um Geld, politische Interessen und Handelsabkommen geht, bedeuten Souveränität, Völkerrecht und Moral nichts mehr.
Die Bundesregierung und Bundeskanzlerin Angela Merkel haben sich stets gegen Vorschläge der Europäischen Union zur Aussetzung der Hilfe für die Türkei ausgesprochen und damit ihre Linie der politischen und wirtschaftlichen Unterstützung für die Türkei bis heute beibehalten.
Die Europäische Union hat am 17. Dezember 2020 im Rahmen des EU/Türkei-Deals erneut eine Tranche von 780 Millionen Euro für die Türkei gewährt. Doch auch das war nicht genug, so stellte die EU der Türkei 485 Millionen Euro an „zusätzlicher finanzieller Hilfe“ für syrische Flüchtlinge zur Verfügung. Dabei wird die Türkei von der EU finanziell in einer Zeit unterstützt, in der das Land im Mittelmeer, in Libyen, auf Zypern und in Armenien Krieg führt.
Wegen der Spannungen hatte Bundeskanzlerin Merkel Mühe, die Staaten der Europäischen Union von Finanzhilfen für die Türkei zu überzeugen. „Abhilfe“ wurde aber gefunden: Die bereitgestellten Finanzmittel sollten direkt den nichtstaatlichen Organisationen, welche die Projekte durchführen, und nicht der türkischen Regierung zugewiesen werden. Der türkische Staat hatte aber auch hierfür bereits Vorbereitungen getroffen.
Die finanzielle Unterstützung der Europäischen Union für syrische Flüchtlinge wird also über den Türkischen Roten Halbmond, Sadaka Taşı, Hayrat, der Humanitarian Relief Foundation (IHH), Deniz Feneri, der DIYANET-Stiftung, der Aziz-Mahmut-Hüdayi-Stiftung, dem Yedi Başak İnsani Yardım Derneği, der İstanbul Fetih Cemiyeti, KIYAMDER und dem Beşir-Verein gewährt. Die Hilfe wird von der Organisation AFAD koordiniert. Von diesen Mitteln sollen 50.000 „Wohnungen“ in Idlib errichtet werden. Die Stiftungen haben eines gemein. Sie alle stehen dem AKP-Regime sowohl institutionell als auch personell sehr nahe und sind in Skandale um die Unterstützung für Dschihadistenorganisationen verwickelt.
„Verwendung billigsten Materials deutet auf massiven Geldabfluss hin“
Durch diese Vereine und Stiftungen floss die Hilfe der EU an die AKP/MHP-Regierung. Es wäre ein der Untersuchung wertes Thema, wie viel Geld für die Errichtung der Behausungen wirklich ausgegeben wurde. Es ist an den Aufnahmen offensichtlich, dass nur billigstes Material verwendet wurde und die Häuser eine Gefahr für die Gesundheit der Bewohner*innen darstellen. Um dies festzustellen, reichen sogar die Werbevideos der AKP aus. Der Verdacht liegt nahe, dass der Staat die Mittel abgeführt hat und deshalb nur das Allerbilligste vom Billigen verwendet wurde.
Eine Nachrichten-Website titelte mit der Überschrift „Lasst die Europäische Union kommen und die Häuser in Idlib sehen“. Diese Überschrift ist genau richtig. Denn der eigentliche Erfinder und Finanzier dieser „Briketthäuser“ ist die Europäische Union, die es zugelassen hat, dass die Türkei ihre „Sicherheitszone errichtet“. Die „Chefarchitektin“ dieser „Stadt“ ist ohne Zweifel Angela Merkel. Wenn für diese Stadt noch ein Name benötigt wird, dann sollte er „Merkel-City“ lauten.