Wie Deutschland Kurden in Gefahr bringt

Täglich gibt es neue Meldungen über Kurd*innen, die um Leib und Leben fürchten, weil der deutsche Staat sie entweder fahrlässig oder absichtlich an den türkischen Staat ausliefert.

Nachdem im September mit Yilmaz S. ein Kooperationsanwalt der deutschen Botschaft in Ankara verhaftet wurde, ist nach Informationen vom Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) ein zweiter türkischer Vertrauensanwalt festgenommen worden, der im Auftrag des BAMF Asylgesuche überprüfte. Dabei ist davon auszugehen, dass mehrere tausend Akten von in Deutschland Schutzsuchenden in die Hände des türkischen Geheimdienstes gelangten. Den Juristen wird von den Behörden Spionage für ausländische Mächte vorgeworfen.

Der Hannoveraner Rechtsanwalt Dündar Kelloglu äußerte dem RND gegenüber: „Die türkischen Behörden sind also vermutlich im Besitz der Daten aller prominenten, in Deutschland Hilfe suchenden Flüchtlinge ab 2016. Für die Flüchtlinge ist damit aus einer abstrakten eine konkrete Gefahr geworden. Keiner dieser Menschen darf mehr abgeschoben werden.‘‘

Bekannt wurde jetzt auch, dass Kontaktbeamte des Bundeskriminalamts (BKA) den türkischen Justizbehörden Informationen über kurdische Aktivist*innen in Deutschland an die türkische Abteilung der internationalen Polizeibehörde Interpol übergeben haben. Betroffen ist die Kölner Deutsch-Kurdin Gönül Örs, Tochter der kurdischen Sängerin Hozan Canê, die festgehalten wurde, als sie ihre Mutter in der Türkei besuchen wollte.

Auf der Bundespressekonferenz vom 22. November 2019 gab ein Sprecher des Auswärtigen Amtes an, 60 deutsche Staatsangehörige seien in türkischer Haft, zu denen konsularischer Zugang bestehe bzw. Haftbesuche beantragt wurden. Daneben dürfen 55 Deutsche wegen einer Ausreisesperre die Türkei nicht verlassen.

Geradezu fürsorglich verschärft das Auswärtige Amt immer wieder die Reise- und Sicherheitswarnungen für die Türkei. „Es kommt in letzter Zeit vermehrt zu Festnahmen deutscher Staatsangehöriger, die in Deutschland in kurdischen Vereinen aktiv sind oder waren.“ Die Frage, wie diese Informationen in die Hände türkischer Sicherheitsorgane gelangen, erübrigt sich dann auch bei umfassenden Kooperation der Behörden beider Länder.

ANF berichtete mehrmals vom Fall Murat Akgül, der nach Abschiebung, Wiedereinreise und Untersuchungshaft nun erneut in einem Ankerzentrum festsitzt. Auch ihm wird Teilnahme an Aktivitäten in einem kurdischen Verein vorgeworfen. Sein Asylantrag wurde mittlerweile abgelehnt und aktuell läuft dagegen eine Klage. Es ist zu hoffen, dass die deutschen Behörden endlich erkennen, dass Kurd*innen, die einmal ins Visier türkischer oder deutscher Polizei- oder Geheimdienstbehörden gerieten, in der Türkei niemals sicher sind. Das Mindeste, was Deutschland nach den Datenskandalen jetzt tun muss, ist, Murat und alle anderen Betroffenen als politisch Verfolgte anzuerkennen.