Seit vergangenem November kommt es an Mädchenschulen im Iran zu Massenvergiftungen. Berichten zufolge sollen vier Schülerinnen gestorben sein, bis zu 8000 junge Frauen sind von den ungeklärten Anschlägen in über hundert Städten betroffen. Am Samstag wurde die Anschlagsserie in insgesamt zwölf Schulen in Sine (Sanandadsch), der Hauptstadt der Provinz Kurdistan, sowie in Khuzistan am Persischen Golf und in Gilan am Kaspischen Meer fortgesetzt. In Sine fanden Gasanschläge in zwei Schulen statt, viele Schülerinnen wurden mit Symptomen wie Atemnot und Übelkeit ins Krankenhaus eingeliefert.
Aus iranischen Justizkreisen wurde in den vergangenen Tagen behauptet, dass nur zehn Prozent der in Krankenhäusern behandelten Schülerinnen tatsächlich eine leichte Gasvergiftung erlitten haben, die restlichen neunzig Prozent hätten lediglich psychologische Angstsymptome gezeigt. Nach Angaben des Innenministeriums wurden knapp hundert Personen festgenommen, die durch die Verbreitung von unschädlichem und übelriechendem Gas für Unterrichtsausfall gesorgt hätten.
Der iranische Staat macht „ausländische Mächte“ für die Gasanschläge verantwortlich. In den iranischen Medien wird insbesondere der britische Botschafter Simon Shercliff beschuldigt. Mashregh News wirft dem Diplomaten eine direkte Beteiligung vor und schreibt, dass feindliche Geheimdienste mit den Anschlägen die eingeschlafenen Straßenproteste erneut anfachen wollen.
Die iranische Opposition hingegen geht davon aus, dass der Staat mit den Giftgasanschlägen die Anführerinnen der „Jin Jiyan Azadî“-Revolution bestrafen und einschüchtern will. Die Eltern der vergifteten Schülerinnen sind wütend auf die Behörden, weil keine Maßnahmen ergriffen werden.
Der Soziologieprofessor Saeed Paivanda von der Université de Lorraine erklärte im französischen Radiosender RFI, die anfängliche Theorie, dass eine kleine Gruppe extrem Konservativer gegen die Schulbildung von Mädchen vorgehe, sei zunächst vernünftig erschienen. Da sich das Phänomen jedoch so rasant ausgebreitet habe, werde in der iranischen Gesellschaft inzwischen von einer Täterschaft der Revolutionsgarden oder geheimdienstlicher Strukturen ausgegangen. „Das Ziel dabei ist die Entstehung einer psychologischen Atmosphäre. Es soll eine kollektive Angst verbreitet werden, ohne dabei zu weit zu gehen und größeren Schaden zu verursachen“, sagte der Soziologe.
Der schwedisch-iranische Arzt Abbas Mansouran geht von einer Form von Nervengas aus und sagt, dass die Anschläge auf höchst professionelle Weise durchgeführt werden. Gegenüber der kurdischen Nachrichtenagentur MA erklärte Mansouran: „Das Regime verheimlicht Informationen über das eingesetzte Gas. In den Krankenwagen, die zu den Schulen geschickt werden, und in den Krankenhäusern befinden sich Regierungsagenten. Sogar die Ergebnisse der entnommenen Blutproben werden geheim gehalten und Blutanalysen in Privatkliniken wurden verboten. Das Regime will nicht, dass diese Informationen öffentlich werden, was wiederum bedeutet, dass es selbst hinter diesen Vorfällen steckt.“