VS-Bericht: Erst verbieten und dann wundern?

Im VS-Bericht für 2018 wird festgestellt, dass nur sehr wenige Menschen am kurdischen Kulturfestival teilgenommen haben. Nicht erwähnt wird allerdings, dass gar kein Festival stattgefunden hat, weil es verboten worden ist.

Am Donnerstag ist der Verfassungsschutzbericht 2018 in Berlin vorgestellt worden. Die Kriminalisierung der kurdischen Befreiungsbewegung wird in dem Bericht in gewohnter Weise fortgesetzt. Auffällig war in diesem Jahr lediglich eine Statistik über die Teilnehmerzahlen bei dem kurdischen Kulturfestival, das alljährlich ein unverzichtbarer Treffpunkt für Kurdinnen und Kurden in Deutschland ist.

Im Verfassungsschutzbericht wird behauptet, dass die Teilnahme an dem Festival zunehmend sinkt: „Noch nie zuvor im genannten Zeitraum haben so wenige Anhänger der Organisation an der an sich sehr beliebten und für die PKK in ihrem Jahreskalender eminent wichtigen Großveranstaltung teilgenommen“, stellen die Verfassungsschützer fest. Nicht erwähnt werden dabei die zunehmenden Verbote und Einschränkungen beim Festival. In einer statistischen Darstellung werden die Teilnahmezahlen für 2009, 2011 und 2012 mit 40.000 angegeben, im Jahr 2018 soll die Zahl „überraschend“ auf die 3500 gesunken sein. 2018 hat jedoch gar kein Festival stattgefunden.

Das für 2018 im nordrhein-westfälischen Dinslaken geplante 26. Internationale Kurdische Kulturfestival wurde von den Behörden verboten. Am 8. September fand stattdessen in Düsseldorf eine Kundgebung statt, auf der gegen das Verbot protestiert wurde.

Ebenfalls auffällig in der VS-Darstellung ist die Tatsache, dass in den vergangenen Jahren in den deutschen Medien, die sich nach Polizeiangaben richten, niemals von 40.000 Teilnehmern die Rede gewesen ist. Daran zeigt sich, dass der Verfassungsschutz andere Informationen über kurdische Veranstaltungen archiviert als Polizei und Medien.

Absichtlich verdrehte Fakten

Tahir Köçer ist Ko-Vorsitzender der in diesem Jahr gegründeten bundesweiten Föderation KON-MED. In einer Stellungnahme zum VS-Bericht erinnerte er gegenüber ANF an die Hunderttausenden Kurdinnen und Kurden, die seit Anfang der 1980er Jahre vor dem Krieg in Kurdistan nach Deutschland geflohen sind. Seiner Meinung nach verdreht der Verfassungsschutz die Fakten zum Organisierungsgrad der Kurden absichtlich: „Bei den nach Deutschland geflüchteten Kurdinnen und Kurden handelt es sich um politische Menschen. Sie sind zu Flüchtlingen geworden, weil sie aufgrund ihrer politischen Einstellung in ihrem Land nicht leben konnten. In den Ländern, in die sie gekommen sind, haben sie sich kulturell und gesellschaftlich organisiert. Es entstanden immer mehr Vereine und schließlich wurde YEK-KOM als Dachverband in Deutschland gegründet. Zu Beginn der 1990er Jahre gab es noch keine dreißig Vereine, 2014 waren es 55. Jetzt gibt es 70 Vereine und 80 Räte.“

Laut VS-Bericht haben 2018 ungefähr 6000 kurdische Demonstrationen und Kundgebungen stattgefunden, erklärt Köçer: „In Wirklichkeit waren es 8017. Im vergangenen Jahr haben in allen Städten und sogar in manchen Dörfern kurdische Aktivitäten stattgefunden, weil wir gegen die Angriffe des türkischen Staates und vor allem die Besatzung von Efrîn auf die Straßen gegangen sind. Manchmal gab es sogar drei verschiedene Aktionen am selben Tag in einer Stadt.“

Der Darstellung von sinkenden Teilnahmezahlen beim kurdischen Kulturfestival entbehrt nach Köçers Ansicht „jeglicher Ethik“. „Es handelt sich um eine bewusste Verbotspolitik, mit der dem türkischen Staat signalisiert wird: ‚Während ihr die Kurden in eurem Land unterdrückt, bleiben auch wir hier nicht untätig und zerstören die organisierten Strukturen der Kurden.‘“

Bundesrepublik will Verbote in andere Länder ausweiten

Tahir Köçer ruft den deutschen Staat dazu auf, von seiner Kriminalisierungspolitik den Kurden gegenüber abzusehen: „Unsere Mitglieder fühlen sich inzwischen so, als ob sie der türkischen Polizei gegenüberstehen würden. Die Angriffe auf sie unterscheiden sich nicht besonders von denen türkischer Polizisten. Beide Staaten denken zu diesem Thema gleich. In Gesprächen mit deutschen Behörden und Politikern machen wir immer wieder darauf aufmerksam, dass es nur zwei Staaten gibt, in denen die kurdischen Symbole verboten sind: Die Türkei und die Bundesrepublik. Der deutsche Staat begnügt sich dabei nicht mit seinen eigenen Verboten, sondern setzt auch andere Länder unter Druck, damit sie das Gleiche tun. Uns ist beispielsweise bekannt, dass Deutschland Lobbyarbeit zu diesem Thema in Frankreich und Österreich macht. Wir fordern, dass diese Verbote von Symbolen, die für einen in der ganzen Welt geachteten Kampf stehen, ein Ende finden.“