Vortrag an der Universität Frankfurt: Giftgas in Kurdistan

Referent:innen der YXK/JXK haben bei einer Veranstaltung an der Goethe-Universität Frankfurt über den Einsatz von Chemiewaffen durch die türkische Armee in Kurdistan und die deutsche Verantwortung im historischen Kontext gesprochen.

Im Rahmen eines Vortrages klärten Aktivist:innen der Studierendenverbände YXK/JXK an der Universität Frankfurt am Dienstag über die aktuellen Giftgasangriffe des türkischen Staates in Kurdistan auf und betonten die historische Verantwortung Deutschlands. Zugleich wurde Seyit Riza gedacht, der den Aufstand gegen die Assimilations- und Türkisierungspolitik des kemalistischen türkischen Staats in Dersim anführte und am 15. November 1938 hingerichtet wurde.

Am Anfang des Vortrages gingen die Studierenden auf die strategische Partnerschaft zwischen dem deutschen und dem türkischen Staat ein: Von der Zusammenarbeit zwischen deutschem Kaiserreich und osmanischem Reich über den deutsch-türkischen Freundschaftsvertrag zwischen den Nazis und den Kemalisten bis hin zu der heutigen faktischen Partnerschaft zwischen Bundesregierung und AKP/MHP-Regime - immer wieder deckten sich deutsche und türkische Staatsinteressen.

Heute überlagern sich die expansionistischen neo-osmanischen Pläne des türkischen Staates mit dem deutschen Vorhaben, die Öl- und Gasvorkommen in Südkurdistan/Nordirak auszubeuten und an den europäischen Markt anzuschließen. Aus diesem Grund hätte Außenministerin Annalena Baerbock im Juli bei ihrem Antrittsbesuch in der Türkei die Invasionspläne des türkischen Staates in Rojava oder die Provokationen gegen griechische Inseln kritisiert, aber kein Wort zum Krieg in Südkurdistan/Nordirak verloren, so die Referent:innen. Deutschland habe großes Interesse daran, dass die Türkei Südkurdistan/Nordirak besetzt. Deshalb unterstütze sie faktisch gesehen den Einsatz von Giftgas gegen die kurdischen Freiheitskämpfer:innen und verhindere eine Untersuchungskommission.

Auch das Ausmaß der aktuellen Giftgaseinsätze und weiterer verbotener Kampfstoffe wie Phosphorbomben, thermobarische Vakuumbomben und taktische Nuklearwaffen wurde in dem Vortrag angesprochen. Vom 14. April bis zum 22. September 2022 gab es nach Angaben der Volksverteidigungskräfte (HPG) 2476 Einsätze mit verbotenen Waffen. Auf der Veranstaltung wurde auch das vor einem Monat veröffentlichte Video der sterbenden Guerillakämpfer:innen Baz Mordem und Helbest Koçerîn gezeigt.

Deutsche Kontinuitäten: Giftgas in Dersim

Die aktuelle Lage in Kurdistan wurde in dem Vortrag mit den Giftgaseinsätzen in Dersim 1937/1938 und Halabja 1988 in Zusammenhang gebracht. So wie die deutsch-türkische Zusammenarbeit eine Kontinuität hat, hat auch die Unterdrückung der Kurd:innen eine Kontinuität, erläuterten die Referent:innen: „Die Erinnerung an Seyit Riza ist heute deshalb so wichtig, um uns bewusst zu machen, mit was für einem Feind wir heute kämpfen. Seyit Rizas Worte sind eine Lehre für uns heute: ,Ich wurde mit euren Lügen und Tricks nicht fertig, darunter habe ich gelitten. Aber dass ich vor euch nicht in die Knie gegangen bin, das soll euch zum Leid werden.' Der türkische Staat schreckt vor nichts zurück. Wenn wir Kurd:innen eine Zukunft wollen, dann dürfen wir nicht mehr auf die Lügen und Tricks des türkischen Staates hereinfallen. Wir müssen uns an die Seite der Guerilla stellen, die heute die Widerstandstradition der Kurd:innen verkörpert.“

Der Vortrag wurde von den Zuhörer:innen positiv bewertet. Im Anschluss entstand eine intensive Diskussion über die Rolle der vom Barzanî-Clan dominierten Partei PDK. Es wurde mit Bedauern festgestellt, dass die PDK früher vielleicht etwas für die Kurd:innen erkämpft hat, aber seit Jahrzehnten nichts mehr für die Kurd:innen unternimmt. „Sie hat gegenüber der Türkei und anderen Großmächten aufgegeben und konzentriert sich nur noch auf eigenen Gewinn“, hieß es in der Diskussion. Es gab besonderes Unverständnis darüber, dass die PDK im Frühjahr die aus Europa gespendeten Gasmasken für die Guerilla beschlagnahmt hat.